Wenn Wildschweine die Sau rauslassen

14. August 2021 | Bildung und Wissenschaft | Keine Kommentare

Wildschwein (aus A.Lonicerus 1679)

Ursprünglich waren Wildschweine weit verbreitet. Im 19. Jahrhundert waren sie in Dänemark, Deutschland, Österreich, Italien und der Schweiz weitgehend verschwunden. Nach dem 2.Weltkrieg begannen die Wildschweine ihr ursprüngliches Verbreitungsgebiet wieder zu besiedeln. In den letzten Jahrzehnten haben sie darüberhinaus zunehmend  den stadtnahen und städtischen Raum entdeckt. Wildschweine sind nämlich außerordentlich anpassungsfähig. Sie sind weitaus intelligenter und lernfähiger als wir ihnen zugestehen. Die Beschimpfung „Du dummes Schwein“ ist völlig unangebracht. Sie lernen recht schnell, wo ihnen Gefahr droht und wo nicht. Da, wo sie bejagt werden, durchschauen sie die Jagdstrategien und machen sich geschickt rar, während sie in unbejagden Gebieten ihre Scheu vor Menschen verlieren, weil sie verstanden haben, dass ihnen hier keine Gefahr droht. Schnell haben die Schweine gelernt, dass man von der menschengeschaffenen Kulturlandschaft äußerst bequem und gefahrlos  profitieren kann. Allerdings ignorieren sie  Vorschriften wie Verkehrsregeln. Rotlicht sehen sie nicht besonders gut.

Sie fressen, was ihnen vor die Schnauze kommt. Ob Eicheln im Laubwald, Wurzeln, Blumenzwiebeln oder Mais und Kartoffeln frisch vom Acker. Den Schweinen schmeckt alles. Selbst Aas verschmähen sie nicht. Sie können den Boden aufbrechen und kommen so an Nahrung, die anderen Tieren nicht so leicht zugänglich ist. Unsere Agrarlandschaft ist ein wahres Schlaraffenland für die Schwarzkittel. Auf landwirtschaftlichen Flächen können sie beträchtlichen Schaden anrichten. Und nicht nur dort. Ungeniert machen sie sich sogar in Gärten und Parkanlagen zu schaffen, wühlen die Flächen auf der Suche nach Blumenzwiebeln um und hinterlassen großflächige Verwüstungen. Diese Kollateralschäden sind oft größer als der „Mundraub“. Inzwischen werden die Schweine in den schussfreien Stadtrandgebieten noch dreister. Sie haben unsere Mülltonnen als ergiebige Futterquelle entdeckt. Waschbären und Füchse machen es ihnen vor. Die Frischlinge kapieren schnell, dass wir Menschen ungerührt beträchtliche Lebensmittelmengen wegwerfen. In den Stadtrandgebieten von Berlin sind Wildschweine zu einer regelechten Plage geworden. Sie verursachen Sachschäden und Unfälle.

Die vom Menschen geschaffenen Schweineparadiesischen Bedingungen sichern den Tieren Gesundheit, ein langes Leben und hohe Fortpflanzungsraten. Die optimale Ernährungssituation (vor allem durch Mais) lassen den Wildschweinnachwuchs immer früher geschlechtsreif werden. Wie groß die Wildschweinbestände wirklich sind, weiß man nicht. Aber die Statistiken über die Zahlen erlegter Wildschweine geben Hinweise. Erschossen wurden 2009/2010 ca. 440.000, 2014/2015 ca. 520.000, 2019/2020 ca. 880.000 Wildschweine. Jagdverbände leiten daraus einen derzeitigen Bestand von über 2 Millionen Tieren ab.

Was tun? Durch Jagd wird man die Wildschweinschwemme nicht ohne weiteres regulieren können, da die Tiere darauf mit schnellerer Reproduktion reagieren. Ein Abschuss müsste mit Rücksicht auf die Sozialstruktur der Wildschweinpopulationen erfolgen; also nicht vorrangig ältere Muttertiere, die Leitbachen, abschießen, da dann jüngere Tiere rasch geschlechtsreif werden. Im urbanen Raum ist Abschuss keine Lösung, wird von der Bevölkerung sogar abgelehnt. Empfängnisverhütung wäre stattdessen geeignet. Allerdings nicht mit der Hormonpille für die Sau, sondern mit  Antikörpern gegen die Bildung von steuernden Neurohormonen bei Bachen und Keilern. Diese aktive Impfung würde bei den Schweinen die Lust auf Sex verhindern. 

Das Fleisch jüngerer Wildschweine ist magerer und schmackhafter als das von Hausschweinen. Außerdem erfüllt es Bio-Qualitätsansprüche. Es sollte auf Trichinen geprüft sein.

Auch das noch:

Die Barden Insterburg & Co. thematisierten des öfteren unsere Schweine, z.B. mit diesem Gedicht:

Neulich hat man mir gesagt, 

wie die Würste werden gemacht.

Fängt man ganz von vorne an, 

ist da erst der Bauersmann.

Kauft sich ein klein‘ Ferkelein, 

daraus wird ein großes Schwein.

Fütterts mit Kartoffelschalen, 

größer wirds von Mal zu Malen.

Wiegt das Schwein zwei Zentner, 

wird es nie ein Rentner.

Bevor es danach trachtet, 

wird es flugs geschlachtet.

Man schlägt es auf den Schädel, 

das Fleisch bleibt dadurch edel.

In Schälchen fließt das Blut, 

das ist für Wurst so gut.

Am Haken hängt die Sau, 

nun kommt die Bauersfrau.

Damit es geht noch besser, 

schleift sie vorher das Messer.

Erst schneidet sie raus die Leber als Vitaminegeber.

Die Vitamine D sind viel dort in der Näh.

Dann zieht sie raus die Schwärme der vielgewund’nen Därme,

gereinigt von dem Kot, kommt Wurst rein für das Brot.

Die schönen runden Schinken, die rechten wie die linken,

hängt man dann in den Rauch, das schmeckt dem Menschenbauch.

Ihr lieben süßen Schweine – 

der Mensch ist unterschiedlich.

Ich esse lieber keine, 

ich finde Euch sehr niedlich.

(H. J. Ferenz)

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