Kongresspräsidenten-Interview: 30. Jahrestagung der Gesellschaft für Virologie e. V.

17. März 2021 | Bildung und Wissenschaft, Natur & Gesundheit | Keine Kommentare

Neue Entwicklungen zur aktuellen SARS-CoV-2-Forschung sind ein wichtiger Themenschwerpunkt bei der 30. Jahrestagung der Gesellschaft für Virologie (GfV, Society for Virology), der größten wissenschaftlichen Fachgesellschaft der Virologie in Europa. Vom 24. bis 26. März 2021 diskutieren rund 1.000 junge und etablierte Wissenschaftler aus der ganzen Welt ihre neuesten Erkenntnisse und versuchen in einem intensiven Austausch, die Entwicklung neuer Forschungskonzepte interdisziplinär voranzutreiben.

Kongresspräsident Prof. Dr. med. Thomas Schulz vom Institut für Virologie an der Medizinischen Hochschule Hannover gibt diesbezüglich schein einmal erste Einblicke in Schwerpunkte und Highlights des digitalen Kongresses:

Drei Tage lang werden bei der 30. Jahrestagung der GfV neueste Entwicklungen aus dem gesamten Spektrum der Virologie vorgestellt. Was sind die Top-Themen und Schwerpunkte?

Prof. Schulz: Ein besonderer Fokus liegt in diesem Jahr auf der Evolution und der Ausbreitung neu auftretender Viren. Dabei liegt ein Schwerpunkt naturgemäß auf SARS-CoV-2. In mehreren Plenarsitzungen sowie in verschiedenen Workshops geht es um neue Erkenntnisse zur Diagnostik, Epidemiologie oder Impfstoffentwicklung, aber auch der Zellbiologie von SARS-CoV-2. Wir erwarten spannende Diskussionen in allen diesen Bereichen.

Die weltweite Verbreitung von SARS-CoV-2 zeigt, wie gefährlich ein neu auftretendes Virus für den Menschen sein kann. In verschiedenen Ländern breiten sich unterschiedliche Varianten aus. Wie könnten sich die Infektionsmechanismen noch weiter verändern?

Prof. Schulz: Das Auftreten von Mutationen und neuen Varianten ist an sich für ein RNA Virus wie das SARS-CoV-2 nichts Ungewöhnliches. Es gibt inzwischen eine ganze Reihe von SARS-CoV-2 Varianten. Die meisten haben keine klinische oder epidemiologische Bedeutung. Es gibt auch Beispiele für SARS-CoV-2 Varianten, welche sich eher nicht so gut vermehren und dann wieder verschwinden. Einige wenige Varianten scheinen einen Vorteil zu haben, dergestalt, dass sie sich leichter ausbreiten können oder zum Beispiel neutralisierenden Antikörpern, auch solchen, die durch eine Impfung induziert werden, „entkommen“ können. Ein Beispiel zu Risiken der Südafrika-Variante B.1.351: Es gibt Impfstoffe, die gegen diese Variante nicht so gut zu schützen scheinen und in Südafrika hat man kürzlich entschieden, einen eigentlich sehr guten und vor allem vergleichsweise preiswerten Impfstoff deshalb erst einmal nicht weiter zu verwenden. Umgekehrt scheinen die bisherigen Impfstoffe mit einer anderen Variante, B.1.1.7, kein Problem zu haben. Dann gibt es Beispiele dafür, dass sich das Virus abschwächt und wir beobachten
deshalb manchmal auch Varianten, die wieder aussterben. Da sind noch viele Fragen offen und es gibt auch nicht eine Antwort darauf. Wir können noch nicht wissen, in welche Richtung die Entwicklung insgesamt gehen wird, zumal die breite Anwendung von Impfstoffen im Verlauf von 2021 das Bild natürlich sehr verändern wird.

Bei der Impfstoffentwicklung müssen Unschädlichkeit und Wirksamkeit aufwändig getestet werden, ein langwieriger Prozess. Gegen viele Viruserkrankungen wie HIV oder die Afrikanische Schweinepest gibt es trotz größter Bemühungen noch immer keine wirksamen Impfstoffe. Wie kommt es, dass jetzt gleich mehrere SARS-CoV-2-Impfstoffe zugelassen werden konnten?

Prof. Schulz: Viren sind sehr unterschiedlich. Für einige kann man leichter Impfstoffe entwickeln, für andere nicht. Wie sich gezeigt hat, funktioniert das für die Familie der Coronaviren ganz gut. Das liegt an der Familie, zu der die Viren gehören. Seit dem Auftreten von SARS im Jahr 2003 und von MERS im Jahr 2012 haben wir gelernt, dass man gegen Coronaviren ganz gut Impfstoffe entwickeln kann. Allerdings ist deren Entwicklung nur langsam vorangekommen, da das SARS-Coronavirus ja wieder verschwunden ist und die Anzahl der mit dem MERS-Coronavirus Infizierten nicht so große Dimensionen angenommen hat wie jetzt bei SARS-CoV-2. Mit den bei den ersten beiden für den Menschen hochgefährlichen Coronaviren gemachten Erfahrungen und Techniken konnte man aber jetzt bei SARS-CoV-2 sehr schnell starten.

Wie konnte der neue mRNA-Impfstoff so schnell entwickelt werden?

Prof. Schulz: Bei der Impfstoffforschung gegen SARS-CoV-2 kamen ganz neue technische Entwicklungen hinzu, wie etwa die Verwendung von in einer geeigneten Formulierung applizierten mRNA als Impfstoff. Das Beispiel der so erfolgreichen SARS-CoV-2 Impfstoffe auf mRNA Basis zeigt die Bedeutung von virologischer und immunologischer Grundlagenforschung für die Entwicklung solcher neuen Impfstofftechnologien. Ferner ist das schnelle Hochfahren der Produktion dieser Impfstoffe, die wir in den letzten Monaten gesehen haben, ebenfalls eine sehr große Leistung. Wir können uns glücklich schätzen, dass wir in den letzten Jahrzehnten durch langjährige Grundlagen und Impfstoffforschung die Basis dafür gelegt haben, dass es jetzt so schnell möglich war, hochwirksame Impfstoffe gegen SARS-CoV-2 zu entwickeln. Wenn wir 100 Jahre zurück und daran denken, welche Möglichkeiten die Menschen 1918/19 bei der Spanischen Grippe, der letzten vergleichbar großen Viruspandemie, hatten und welche Möglichkeiten wir heute dank langjähriger vorbereitender Forschung haben, so müssen wir eigentlich sehr dankbar sein.

Was bedeuten diese Erfolge für die weitere Entwicklung?

Prof. Schulz: Die Pandemie beflügelt gleichzeitig auch weitere Forschung. So haben wir mit der raschen Entwicklung von SARS-CoV-2 Impfstoffen auf mRNA Basis zum ersten Mal unter Beweis gestellt, dass man mit dieser Technik effektive Impfstoffe gegen Krankheitserreger herstellen kann. Zwar sind dies Impfstoffe, die in der Handhabung schwierig und teuer, daher eher etwas für die erste Welt sind, aber es ist zu erwarten, dass man mit dieser neuen Technologie auch versuchen wird, Impfstoffe gegen Krankheitserreger zu entwickeln, gegen die wir bisher noch nicht viel in der Hand hatten. Das ist ein großer Erkenntnisgewinn, und diese neue Technologie wird dann auch laufend
verbessert werden, um die Handhabbarkeit solcher Impfstoffe zu erleichtern.

Gleichzeitig wurden auch Impfstoffe gegen SARS-CoV-2 mit anderen Techniken entwickelt, zum Teil zugelassen, zum Teil noch in der Entwicklung oder kurz vor der Zulassung.

Prof. Schulz: Weltweit hat man nicht nur auf die Entwicklung des mRNA-Impfstoff gesetzt. Es gibt auch Impfstoffentwicklungen mit konventionelleren Techniken, zum Beispiel mit einem inaktivierten SARS-CoV-2. Mehrere Forschergruppen haben andere virale Vektoren verwandt, eine Technologie, mit der man früher bei anderen Viren schon erste klinische Erfahrungen hatte, aber noch kaum Impfstoffe für die Verwendung in der Klinik zugelassen waren. Zu diesen Impfstoffen, die einen viralen Vektor verwenden, zählen zum Beispiel die Impfstoffe von AstraZeneca/ Universität Oxford, oder von Johnson & Johnson. Auch beim Sputnik-Impfstoff enthält ein viraler Vektor die Erbinformation für das Spike-Protein von SARS-CoV-2. Somit ist das ganze Spektrum von alten und lange erprobten Techniken, von neuen Technologien, mit denen es schon klinische Erfahrung gab, bis hin zu ganz neuen Techniken bei der Impfstoffentwicklung gegen SARS-CoV-2 ins Feld geführt worden. Einige dieser Impfstoffe funktionieren überraschend gut und zeigen eine viel bessere Schutzwirkung, als wir dies am Anfang der Pandemie hoffen konnten. Somit sind wir jetzt nicht nur in der Situation, dass wir die Pandemie werden eindämmen können, sondern die massive Anstrengung vieler Forscher und Firmen hat auch das ganze Feld der Vakzin-Entwicklung schon sehr vorangebracht.

War es aus Expertensicht zu erwarten, dass die Entwicklung und Zulassung gleich mehrerer SARSCoV-2 Impfstoffe so schnell ging? Wie konnte das gelingen?

Prof. Schulz: Wir haben dies am Anfang der Pandemie zwar gehofft – schließlich wussten wir auf Grund der Erfahrung mit SARS und MERS, dass man gegen diese Coronaviren gut wirksame Impfstoffe entwickeln kann –, aber sicher sein konnten wir uns vor 12 Monaten nicht. Wie es gelingen konnte? Einmal, weil das Virus sich dafür eignet. Auch mit herkömmlichen Technologien sind SARS-CoV-2 Impfstoffe entwickelt worden. Aber, wie oben schon gesagt, es kamen dann Erkenntnisse aus der Grundlagenforschung der Vakzin-Entwicklung der letzten 20 Jahre hinzu. Da diese jetzt zum Einsatz gekommen sind, haben wir jetzt ganz neue Optionen. Die in westlichen
Ländern zuerst zugelassenen Impfstoffe wurden meistens mit den neuen Technologien entwickelt. Und es kommen jetzt weitere, auf neuen Technologien beruhende Impfstoffe hinzu, d.h. die Entwicklung wird weitergehen.

Weitere Kongress-Highlights sind Vorträge von 19 renommierten Hauptrednern aus den USA, Deutschland, Kanada, Großbritannien, Dänemark, der Schweiz und China. Welche Themen stehen diesmal im Fokus?

Prof. Schulz: Wir haben nationale und internationale Expertenvorträge, auf die ich mich jetzt schon freue. Wichtige Themen sind zum Beispiel der Ursprung von SARS-CoV-2 und von anderen Viren, neu auftretende Viren und virale Evolution, zugrunde liegende Pathomechanismen und Replikation, Immunantworten auf SARS-CoV-2 und SARS-CoV-2 Impfstoffe, Systemansätze in der Virologie und Wirkstoffforschung. Wir sind froh, renommierte Redner aus der ganzen Welt für unseren Kongress gewonnen zu haben, alles Experten in der Virusforschung, auf deren hochkarätige Vorträge wir sehr gespannt sind.

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