Baustoffe der Natur – Chitin

1. Februar 2020 | Bildung und Wissenschaft | Keine Kommentare

Die Natur bietet ein großes Reservoir von Materialien, die sich seit Millionen von Jahren durch permanente Anpassung als Baustoffe bewährt haben. Man versucht heute jedoch nicht, die Natur zu kopieren, sondern ihre Prinzipien und Konstruktionen zu verstehen und in abgewandelter Form technisch anwendbar zu machen.
z.B. Chitin

Sandlaufkäfer: Die schillernde Farbe des Käfers kommt durch eine mehrschichtige Struktur zustande. Parallele Schichten aus Chitin erzeugen konstruktive Interferenz und lassen den Käfer in den auffallenden Strukturfarben erscheinen.

Chitin ist das zweithäufigste Biopolymer nach der Cellulose auf unserem Planeten. Es ist ein Polymer aus verknüpften Zuckermolekülen (N-Acetylglucosamin). Es ist Hauptbestandteil des Außenskeletts der Gliederfüßer (Insekten, Krebse, Spinnen) und der Zellwände von Pilzen. Den Hauptanteil der irdischen Chitinmengen bilden die Kleinkrebse des Zooplanktons (Krill) in den Ozeanen. Es ist unlöslich in Wasser.
Das Außenskelett ist ein flexibler, aus mehreren Komponenten zusammengesetzter Hochleistungs-Verbundwerkstoff. Grundbestandteil sind Fasern aus Chitin. Jeweils 19 Chitinfasern lagern sich anti-parallel zueinander zu einem kristallinen Bündel, einer Mikrofibrille, aneinander. Die Chitin-Mikrofibrillen werden von Strukturproteinen umhüllt. Je nach Anteil und Zusammensetzung der Proteinkomponente entsteht entweder eine harte und feste Cuticula, die ausgehärtete Exoskelettplatten (Sklerite), Gliedmaßen, Haare, Mundwerkzeuge und ähnliche Strukturen hervorbringt, oder eine weiche und biegsame Cuticula, die z.B. die flexible und dehnbare Hülle von vielen Insektenlarven aufbaut, oder die harten Körperteile über Gelenkmembranen beweglich hält. Da das Exoskelett nicht mitwachsen kann, muss es abgestreift und erneuert werden. Dazu ist es zunächst weich und dehnbar. Der rasch einsetzende Prozess des Aushärtens der Cuticula wird als Sklerotisierung bezeichnet. Entgegen der landläufigen Meinung ist nicht Chitin dafür verantwortlich, dass ein Insektenpanzer hart ist. Chitin ist für dessen Weichheit, Biegsamkeit und Reißfestigkeit verantwortlich. Erst im Zusammenspiel mit dem Strukturprotein Sklerotin wird die Cuticula hart und stabil. Andere eingelagerte Polysaccharide oder anorganische Salze (Kalkeinlagerungen) modifizieren die Eigenschaften des Exoskeletts, machen es knackig, was beim Verspeisen eines Hummers richtig Arbeit verursacht. Chitin ermöglichte die Vielgestaltigkeit von Gliedertieren.
Nach Aufklärung der Biosynthese von Chitin konnte man Hemmstoffe der Chitinbiosynthese suchen und entwickeln. Manche Pflanzen wehren sich mit solchen Wirkstoffen gegen das Gefressenwerden. Diese Blocker stören den Aufbau des Exoskeletts (z.B. bei der Metamorphose oder Häutung), es wird instabil, was fatale Folgen für das Insekt hat. Solche Hemmstoffe haben deshalb als selektiv wirkende Insektizide Bedeutung erlangt. Ihre Wirkung beschränkt sich ja auf Gliedertiere.
Natürliches Chitin steht als nachwachsender Rohstoff reichlich zur Verfügung. Durch Kochen von Chitin mit Kalilauge entsteht Chitosan, ein Biopolymer das aus etwa 2000 Molekülen besteht. Chitosan ist im Gegensatz zu Chitin mehroderweniger löslich in verschiedenen Medien. Es ist ungiftig, antibakteriell, antiviral und antiallergen. Es findet bereits vielseitige Verwendung, z.B. in Medizinprodukten. Es bindet Fette. Die Verwendung als Nahrungszusatz ist aber in vielen Ländern einschließlich Deutschland illegal. Des Weiteren findet Chitosan Verwendung in Zahnpasten oder als Papierzusatz sowie zum Ausfällen von Trübungen in der Getränkemittelindustrie. In der Arzneimittelindustrie wird an Chitosan geforscht, um es zur Mikroverkapselung und gezielten Freisetzung pharmakologischer Wirkstoffe zu verwenden. Chitin ist außerdem Ausgangsstoff für die technische Herstellung von Glucosamin, einem natürlichen Bestandteil des Knorpels und der Gelenkflüssigkeit und wird u.a. in Mitteln gegen Arthrose verwendet. Die Verwendungsmöglichkeiten dieses Biopolymers sind noch lange nicht ausgeschöpft. Kreativität ist gefragt. Die verstärkte Nutzung natürlicher Chitinressourcen (z.B. Krill) stört aber auch wichtige Nahrungsketten.
(H.J. Ferenz)

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