Archäologen erforschen Stuckkunst aus Gerbstedt

30. Juni 2020 | Bildung und Wissenschaft | Keine Kommentare

Aus der ehemaligen, längst eingeebneten Klosterkirche von Gerbstedt konnten bei Ausgrabungen Stuckfragmente aus dem Hochmittelalter geborgen werden. Die Fragmente, die aus dem ersten Viertel des 12. Jhdt. stammen, zeigen figürliche und ornamentale Darstellungen unterschiedlicher Dimensionen und von hoher Qualität. Sie können jetzt Dank der Förderung der Ernst von Siemens Kunststiftung eingehend erforscht werden.
Bedeutung der Gerbstedter Funde
Der Gerbstedter Fundkomplex nimmt eine herausragende Rolle innerhalb der deutschen Stuckplastik ein. Der Harzraum ist eine der großen mittelalterlichen Stucklandschaften Europas. Voraussetzung waren die Eigenschaften des aus den umfangreichen Lagerstätten des Harzes stammenden Hochbrandgipses. Er erlaubte ein einzigartiges Bearbeitungsspektrum von Guss über Modellierung bis hin zu Schnitzen und steinmetzartige Gestaltung. Etliche solcher Stuckarbeiten aus der Region Sachsen-Anhalt sind erhalten geblieben, wie z.B. das Heilige Grab in der Stiftkirche zu Gernrode.

Gerbstedt ist eine Kleinstadt im nordöstlichen Landkreis Mansfeld-Südharz auf der Mansfelder Platte in Sachsen-Anhalt mit ca. 7000 Einwohnern. Das Gebiet der Stadt Gerbstedt ist schon sehr lange besiedelt, dies bezeugen viele Funde, z.B. Kreisgrabenanlagen (Belleben und Lodderstedt, ringförmige Graben- und Wallkonstruktionen aus dem Jung- und Altneolithikum, 5500–3300 v. Chr.). Außerdem wurden Grabhügel oder ganze Gräberfelder ausgegraben. Es wurden sehr viele Steinkistengräber gefunden, in denen die Toten mit dem Kopf nach Süden begraben waren. Außerdem legte man hier ein Fürstengrab der Aunjetitzer Kultur (Frühbronzezeit ca. 2300 v. Chr. bis 1500 v. Chr.) frei.

Löwe

Aufstieg und Niedergang des Klosters
Vermutlich um das Jahr 969 wurde vom Markgraf Rikdag von Meißen das Kloster Gerbstedt für Benediktinerinnen gegründet. Seine Schwester Eilsuid war die erste Äbtissin. Die erste urkundliche Erwähnung des Gerbstedter Klosters stammt aus dem Jahre 985. Das Kloster Gerbstedt wurde vom Gründer mit reichhaltigen Besitztümern ausgestattet. Es fiel nach dem Tod von Rikdags Sohn Karl im Jahre 1014 an die Wettiner. Es erlebte im 12. Jahrhundert eine wirtschaftliche Blütezeit. Zu dieser Zeit erfolgte auch ein Neubau der Klosterkirche. Es entstand damals an Stelle eines schlichteren Vorgängerbaus eine prächtige romanische Basilika, welche mit reichhaltigem Inventar ausgestattet wurde. Das Schicksal des Klosters Gerbstedt wendete sich im 13. Jahrhundert. Die eigentlich mit seinem Schutz beauftragten weltlichen Herrscher plünderten den Klosterbesitz. Im Jahre 1442 gelangten der Ort Gerbstedt sowie das Kloster in den Besitz der Mansfelder Grafen. Trotz des eigentlich umfangreichen Landbesitzes trat eine enorme Verarmung ein. Die umfangreichen Klostergebäude konnten nicht mehr instand gehalten werden. Im Verlauf des Bauernkrieges wurde das Kloster Gerbstedt 1525 geplündert. Während des 30jährigen Krieges wurde die Bausubstanz massiv beeinträchtigt und vernachlässigt. 1650 stürzte das Kirchenschiff der Klosterkirche ein. In den Jahren 1739 bis 1741 baute man rund 200 Meter von der einstigen Kirche des Klosters entfernt als Ersatz die St.-Johannis-Kirche. Ein Kirchturm der Klosterkirche dient heute noch als Kirchturm, steht aber getrennt von der Kirche. Das neue Bauwerk wurde im Stil des Barock errichtet. In seiner Innenausstattung finden sich einige jüngere, erhaltene Relikte der Klosterkirche wieder. Zu diesen gehört z.B. der wertvolle spätmittelalterliche Marienaltar.
400 Stuckfragmente

Fries mit Ranken und Vögeln

Bei verschiedenen Tiefbaumaßnahmen im Bereich der ehemaligen Klosterkirche kamen im 19. und 20. Jahrhundert über 400 Fragmente einer einzigartigen mittelalterlichen Innenraumgestaltung mit plastischen Reliefs aus Stuck zum Vorschein. Die Fragmente ließen bereits auf den ersten Blick Bruchstücke von Figuren und Ornamenten unterschiedlicher Dimension und von hoher Qualität erkennen. Mit Unterstützung der Ernst von Siemens-Stiftung werden diese bedeutenden, kaum bekannten Zeugnisse hochmittelalterlichen Kunstschaffens vom Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie in Halle/Saale konserviert und in ihrer Gesamtheit wissenschaftlich bearbeitet. Die Fragmente weisen darauf hin, dass es sich hier um Reste eines ansehnlichen romanischen Bildprogramms handelt. Mindestens 13 ornamentale Bänder sind erkennbar, die größere Bildfelder rahmten. Über die möglichen Szenen kann der Vergleich mit anderen Plastiken, z.B. in der Stiftskirche in Quedlinburg möglicherweise weiterhelfen.
An den Stuckfragmenten sind Spuren früherer Bemalung nachweisbar. Die heute weißgrau erscheinenden Skulpturen waren also einst recht bunt. Ihre spurenanalytische Aufklärung wird zeigen wie überraschend farbig die Darstellungen waren.
Gerbstedter Basilisk

Gerbstedter Basilisk

Zu den bemerkenswerten Stuckfragmenten gehört ein Basilisk. Der Basilisk ist ein mythisches Tier. Es wird oft als Echsen- oder drachenähnliche Fabelwesen mit dem Oberkörper eines Hahns, auf dem Kopf eine Krone, und dem Unterleib einer Schlange dargestellt. Basilisken tauchen im mitteldeutschen Fundspektrum erst in der späten römischen Kaiserzeit auf. Ein prägnantes Beispiel eines Basilisken findet sich in ornamentalen spätromanischen Stuckresten aus Gerbstedt.
Man könnte vermuten, dass sich der Basilisk im mitteldeutschen Raum aus frühbronzezeitlichen, saurierartigen Echsendarstellungen entwickelte, vielleicht angeregt durch Dinosaurier-Fossilien, denn die Saurier waren bereits seit über 60 Mio Jahren ausgestorben. Dass Basilisken mit Kronen beschrieben werden, könnte auf die Beschreibung einer realen Schlange, der Gekrönten Schnauzennatter (Lytorhynchus diadema) zurückgehen, die eine Diadem-artige Zeichnung auf dem Kopf trägt.
In der Alchemie war die vermeintliche Asche des Basilisken begehrt. Sie galt als Mittel gegen andere giftige Tiere und soll in der Lage sein, Silber in Gold zu verwandeln. Andere alchemistische Quellen behaupteten sogar, Basilisken erschaffen zu können, die Kupfer in Gold verwandeln. Ein mittelalterliches Gedicht über den Basilisken lautet: „Wenn wer dich sah, lebendig ist, so ist erlogen sein Geschicht, denn wenn er nicht starb, kennt er dich nicht, und starb er, so bezeugt er dich nicht.“ (Quelle: https://drachen.fandom.com/de/wiki/Basilisk).
Die archäologischen, kunsthistorischen und naturwissenschaftlichen Ergebnisse des interdisziplinären Stuckskulpturen-Projekts werden in einer Sonderausstellung dokumentiert, diskutiert und animiert. Sie wird einmal mehr zeigen, wie gut Wissenschaftler Spuren unserer Geschichte zum Leben erwecken können.
(H.J. Ferenz)

Print Friendly, PDF & Email

Kommentar schreiben