Schon gewusst? Wie Tierhäute zu Leder werden
6. April 2019 | Bildung und Wissenschaft | 5 KommentareDass man sich mit der Haut und dem Fell erlegter Tiere schützen, wärmen und schmücken kann, haben insbesondere unsere frierenden Urahninnen sicher schon früh entdeckt. Nur, wie konnte man die Felle vor dem Erhärten und Verfaulen schützen? Schnell lernte man, dass man mit dem Fett und Hirn der Beute die Häute einigermaßen geschmeidig erhalten und durch Räuchern eine gewisse Konservierung erreichen kann. Struktur und Eigenschaften der Haut werden wesentlich durch Kollagenfasern (99% des Trockengewichtes) bestimmt. Diese Proteinketten haben eine bemerkenswerte Zugfestigkeit. Sie sind in einem dreidimensionalen Geflecht untereinander vernetzt und bewirken die mechanischen Eigenschaften der Haut. Aber Fäulnisprozesse zerstören die quervernetzenden Proteine. Durch geeignete Behandlung gelang es, die Quervernetzung immer besser zu konservieren. Damit war die Gerbung erfunden. Erste Erfolge hatte man mit Fischtran, der in die Haut eingewalkt wurde. Fischöl enthält nämlich mehrfach ungesättigte Fettsäuren, die mit den Kollagenfasern reagieren und eine Quervernetzung bewirken können. Solange man in zugigen Höhlen wohnte, war die stinkende Körperbedeckung wohl auszuhalten, ließ vielleicht sogar Zecken und Mücken das Weite suchen. Schon früh bekannt und bis in die jüngere Zeit verwendet wurden pflanzliche Gerbstoffe, wie Extrakte aus Eichenrinde, Kastanien und Akazien (Lohgerbung). Heutzutage schätzt man diese Effekte eher bei der Reifung von Rotwein in Eichenfässern. Die im Holz enthaltenen phenolischen Substanzen tragen zur Vernetzung der Kollagenfasern bei. Da die chemischen Bindungen recht schwach sind, dauert die Lohgerbung etliche Monate.
Die erste Gerbung mit Mineralien gelang in der Steinzeit mit Alaun. Besonders vielseitig war Kaliumaluminium-Alaun, kurz Kalialaun. Kalialaun zerfällt in wässriger Lösung vollständig zu Kalium-, Aluminium- und Sulfat-Ionen. Die Sulfationen bleichen unerwünschte Verfärbungen. Sie wirken auch bakterienabtötend und keimhemmend. Im Gegensatz zur Lohgerbung mit Pflanzengerbstoffen wirkte Kali-Alaun also farbneutral bzw. aufhellend auf das Leder. Die Römer sammelten Urin und bleichten mit dem darin enthaltenen Ammoniak das Leder. Die Entdeckung von Chromsalzen für die Gerbung ermöglicht bis heute eine erheblich schnellere und effizientere Gerbung der Tierhäute. Ist der Säuregrad der Gerbbrühe richtig eingestellt, bilden sich Chromkomplexe, die mit dem Kollagen in Wechselwirkung treten und deren Vernetzung bewirken.
70% der Tierhäute, die zu Leder verarbeitet werden stammen von Rindern. Es sind genau genommen Schlachtabfälle. Meistens werden sie zur Lagerung erst einmal eingesalzen. Zur weiteren Verarbeitung werden sie dann gewaschen, von Fleischresten und Haaren befreit. Alkalisalze und Natriumsulfid lösen unerwünschte Proteine und lockern das Keratin der Haare, die abgeschabt werden. Vor der weiteren Behandlung wird die aufgequollene Haut parallel zur Oberfläche geschnitten. Man gewinnt so letztlich dünnere Rohleder. Die Lederbearbeitung ist damit aber noch längst nicht abgeschlossen. Pressen, Falzen, Nachgerben, Färben, Fetten, Trocknen schließen sich an.
Die traditionelle Lederproduktion brachte erhebliche Umweltbelastungen mit sich. Die Gerber gingen im Mittelalter in Stadtvierteln nahe fließender
Gewässer ihrem Handwerk nach. Straßennamen wie Gerbergasse erinnern noch daran. Die Geruchsbelästigung war beträchtlich. Die Abwässer waren stark belastet. Bei der Verarbeitung von Leder kommen verschiedene, nicht unbedenkliche Stoffe zum Einsatz, z.B. reduzierende Agenzien oder Konservierungsmittel. Auch Farbmittel spielen eine wichtige Rolle in diesem Zusammenhang. Problematisch sind Azofarbstoffe, die auf der Basis von krebserregenden Aminen hergestellt werden. Nach der Aufnahme in den Körper oder bei Kontakt mit der Haut können diese Farbstoffe wieder in ihre Ausgangsstoffe gespalten werden, die dann für den Verbraucher eine gesundheitliche Gefährdung darstellen. Wasserlösliche Chrom(VI)-Verbindungen sind sehr potente Kontaktallergene. Zudem sind zahlreiche Chrom(VI)-Verbindungen als krebserregend eingestuft. Leder ist bei Lagerung oder Transport unter Feuchtbedingungen besonders anfällig für mikrobiellen Befall. Deshalb wurde Dimethylfumarat (DMF) intensiv als Biozid zur Abtötung von Schimmelpilzen eingesetzt. Die Chemikalie verursachte in einer Reihe von Fällen eine Sensibilisierung bei Hautkontakt. Dies ist besonders schwerwiegend, da eine Sensibilisierung unumkehrbar ist. Vorsicht ist generell geboten bei Kauf von scheinbar günstigen Lederprodukten im Ausland, da Rückstandskontrollen dort oft unzureichend sind.
In der Stadt Halle/Saale ist vom Gerberviertel nichts mehr zu sehen. Es befand sich an einem Nebenarm der Saale. In den Jahren 1894/95 wurde die bis dahin als offener Nebenarm der Saale fließende Gerbersaale mit einem Gewölbe überbaut, um hier eine Straße, den Hallorenring, errichten zu können. Der Verlauf der einstigen Gerbersaale war und ist noch immer die heutige Straße am Hallorenring. Ein Teil der Gerbersaale wurde beim Bau der Hochstraße verfüllt, der verbleibende Teil dient der Ableitung von Regenwasser aus dem Kanalnetz der Stadt Halle. Das mdr-Funkhaus hat die Anschrift Gerberstr.2. Daneben steht die Händelhalle, und davor befindet sich heute dort das B & B Hotel und daneben das Finanzamt.
(H.J. Ferenz)
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Ich kenne sie noch aus eigener Anschauung:
Dem heutigen Friedemann- Bach- Haus schräg gegenüber befand sich der Straßenzug „Spitze“, auf der linken Seite davon, also vom Hallorenring aus, konnte man einen Teil des Produktionsprozesses der Gerber noch in den ersten Nachkriegsjahren sehen. Es waren Kaninchenfelle, die aufgezogen waren auf ?? , den Begriff kenne ich nicht. Jedenfalls sah man Kaninchenfelle mit der Innenseite nach außen. Das Fell bildete die Innenseite. Das war eine Stufe des Herstellungsprozesses. Trocknen? Oder?
Betuchte Frauen, die in der Zeit zuvor Fuchspelze über den Schultern getragen hatten, das war damals „in“, mokierten sich über Frauen in Pelzmänteln, die aus Kaninchenfellen gefertigt waren und nannten das Fell geringschätzig „Karniköl“ mit der Betonung auf dem Ö. Einfache Leute waren selbst darauf stolz, einen Pelzmantel zu besitzen, wenn er auch nicht aus Persianer ( Fell ungeborener Schäfchen) , Zobel oder Nerz waren. Widersinnig ist das Tragen von Pelzmänteln ohnehin, denn das eigentlich wärmende Fell wird nicht am Körper, sondern nach außen getragen. Wer angibt, hat eben mehr vom Leben!
Es ist übrigens lange her, dass ich eine Frau im Pelzmantel sah.Beim Klimawandel eine Ausgabe, die man sich sparen kann.
Dafür sind wir jetzzt uniform gekleidet: Steppmäntel und Steppjacken, wohin man schaut. Schön warm und windabweisend und sogar Ausländer und Wessis(!) müssen dem Ost-Slogan zustimmen:
Chemie bringt Brot, Wohlstand und Schönheit, weil farbenfroh und preisgünstig! ( NUr leider den Herstellern nicht)
hei-wu: Beruht auf einer Legende (überliefert seit 1240), dass der Teufel die Sünden der Menschen selbst nicht auf einer Kuhhaut notieren konnte. Jeder wusste aber, dass Pergament aus kleineren Tierhäuten gefertigt wurden. Der Spruch sollte die Sündhaftigkeit der Menschen illustrieren.
Welche Version hättest du den gerne?
„Das geht auf keine Kuhhaut“ – wo kommt denn der Spruch her?
Das Gerberdenkmal in Wolmirstedt:
https://www.volksstimme.de/lokal/wolmirstedt/zerstoert-gerber-brunnen-der-domaene-zerstoert