Die „wahre“ Geschichte über Rudolph, das rotnasige Rentier

25. Dezember 2019 | Natur & Gesundheit | Ein Kommentar

Jeder kennt inzwischen Rudolph, das rotnasige, allgegenwärtige Rentier. Doch, was hat es mit dem schlittenziehenden Arbeitstier des Nikolaus auf sich? Hier ist die wenig bekannte, aber „wahre“ Geschichte des berühmten Hirschs aus der Arktis.

Es war im eiskalten Winter des Jahres 1939, als der sibirische Rentierzüchter Sergei Nikolaus sr. in der Nähe seiner wandernden Rentiere ein Jungtier mit leuchtend roter Nase entdeckte. Es war offensichtlich von der Herde verstoßen. Sergej N. fing das magere, traurig blickende Tier ein und nahm es mit zu seinem Lagerplatz. Seine Lebensabschnittsgefährtin schloss das niedliche Rentier in ihr Herz, nannte  es Rudolph und päppelte es zu einem kräftigen Junghirsch auf, der fleißig und willig den Schlitten des Sergeij Nikolaus zog. Rasch gelangte die Kunde vom roten Rudolph bis nach Moskau. Zunächst im stalinistischen Sibirien als Roter Stern (Красная звезда) der sozialistischen Revolution verehrt, fiel Rudolph aber wegen seiner über Stalin herausragenden, individuellen Erscheinung umgehend in Ungnade und wurde samt seinem Halter wieder ins ferne Sibirien verbannt. Sergeij Nikolaus jr. setzte sich verbittert samt Rudolph von Kamschatka ins amerikanische Alaska ab. Dort beschrieb das ungewöhnliche Rentier erstmals fachwissenschaftlich Robert L. May. Die mit Zeichnungen von Daisy Gillen versehene Publikation, erschien im Montgomery Kaufhaus, Chicago, USA, in der Reihe: „Maxton Books for little people“, und erfreute sich rasch großer Verbreitung, wozu 1949 ein auch heute noch populäres Lied von Gene Autrey beitrug („Rudolph the red-nosed raindeer had a shiny nose …“). Sergeij Nikolaus jr. setzte Rudolph erfolgreich in seinem Zuchtprogramm ein. Er erkannte rasch den adaptiven Vorteil der rotnasigen Mutante bei ungünstigen meteorologischen Bedingungen, aber auch die weihnachtlichen Marketingchancen. Im nebeltrüben Alaska verbesserten die rotleuchtenden Nasen seine navigatorischen Leistungen erheblich. Umgehend ließ er sich die Rasse mit der leuchtenden Nase patentieren. Ihr Prinzip fand in der Smog-belasteten Industrielandschaft erfolgreich serienmäßig Verwendung, z.B. als Nebelschlussleuchte an unseren Autos. Inzwischen erforschte man, warum Rudolphs´s Nase rot leuchtet. Ursache ist Bioluminiszenz. Bioluminiszenz beruht auf einer chemischen Reaktion in spezialisierten Zellen. Glühwürmchen und Tiefseeorganismen nutzen diese Lichterzeugung z.B. zur Kommunikation. Rotes Licht wird jedoch selten erzeugt.

Die Rudolphs wurden sehr erfolgreich vermehrt. Sie stehen längst nicht mehr auf der Roten Liste bedrohter Tierarten. Sie sind inzwischen so häufig, dass sie insbesondere im Winter eine Landplage darstellen. Jäger und sonstige Waffenbesitzer in Amerika – und nicht nur dort – fordern, den Bestand durch Abschuss zu regulieren. Man arbeitet an einem Vermarktungskonzept für Fleisch und Rotwurst. Forschungsprojekte zur Erzeugung und Nutzung der Bioluminiszenz zur effektvollen Färbung von Lebensmitteln oder im Rotlicht-Milieu sind beantragt. Rheinische Psychologen wollen die saisonal stimmungssteigernde Wirkung rotleuchtender Nasen analysieren. Eine natürliche, umweltverträgliche Kontrolle der Rudolph-Bestände erscheint nachhaltig erreichbar.

Übrigens, die Vermutung, dass Rudolph möglicherweise weiblich sei und eigentlich Rudolphine heißen müsste, gilt als widerlegt. Zwar tragen sowohl männliche und weibliche Rentiere Geweihe, was einzigartig unter den Hirscharten ist. Sie werfen das Geweih aber zu unterschiedlichen Jahreszeiten ab: die weiblichen Tiere im Frühjahr, die männlichen bereits im Herbst. Die Erstbeschreibung von Rudolph zeigt ihn schlittenziehend ohne Geweih.

(H.J. Ferenz, in Anlehnung an Nature 426, 768 (2003))

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