Sozialdemokrat leistet Wahlkampfhilfe fĂŒr FDP: Wolfgang Clement im Steintor-Variete.

21. Januar 2016 | Nachrichten | 12 Kommentare

Die Liberale WĂ€hlerinitiative hat fĂŒr die Wahlveranstaltung im Steintor-Variete hochkarĂ€tiges Personal aufgefahren. Hauptredner ist der ehemalige W20160120_203026irtschaftsminister Wolfgang Clement, das zieht Publikum in den Saal. In Sachsen-Anhalt ist die FDP nicht im Landtag vertreten, liegt auch bei den aktuellen Umfragen nur um drei Prozent. Eine „Liberale WĂ€hlerinitiative“ will das Ă€ndern.  Die Eröffnungsrede hĂ€lt Dr. Horst Rehberger, Wirtschaftsminister des Landes a. D. , gefolgt von Nicola Beer, GeneralsekretĂ€rin der Bundes-FDP.  Beide sind gekommen, um den FDP-Spitzenkandidaten Frank Sitta zu lobpreisen („ein bemerkenswerter Quereinsteiger), aber vor allem, um den Stargast des heutigen Abends einzufĂŒhren. Wolfgang Clement sei Architekt der Agenda 2010, der Grund, weshalb es der Bundesrepublik wirtschaftlich in der letzten Zeit so gut gegangen sei, sagte Rehberger sinngemĂ€ĂŸ.

Derart viel Lob fĂŒr  Clement, langjĂ€hriges sozialdemokratisches Urgestein aus NRW, lĂ€ĂŸt aufhorchen.  Doch Clement hat seit seinem  Ausscheiden aus der SPD im Jahre 2008, dem langjĂ€hrige Querelen mit seiner Partei vorangegangen waren, nicht aus der Politik verabschiedet. Heute kĂ€mpft er fĂŒr eine sozialliberale Poltik, und deshalb ist er heute hier in Halle.

Clement, ehemaliger Wirtschaftsminister der Rot-GrĂŒnen Koalition der Bundesrepublik, tritt ans Rednerpult und erklĂ€rt, warum er nun ausgerechnet hier ist. „Wir brauchen in Deutschland eine krĂ€ftige liberale Stimme“.  Heftiger Applaus im Saal.  Er nimmt Bezug auf die Schlußlichtposition des Landes: „Wer vom letzten 16. Platz wegkommen will, der muß Menschen ĂŒberzeugen, hierher zu kommen, und nicht die Abwanderung zĂ€hlen“. In Sachsen-Anhalt werde nur versucht, den Mangel zu verwalten, sagt er. Dabei gebe es hier beste Voraussetzungen, beispielsweise UniversitĂ€ten und Forschungseinrichtungen. „Warum schafft man es nicht zu sagen, Leute, kommt her !“

Die Welt erlebe schwere Zeiten, die von einem GefĂŒhl der Unsicherheit geprĂ€gt seien. Dies werde auch beflĂŒgelt durch eine sich radikal gewandelte Kommunikationswelt. Die „sozialen Medien“ seien nicht sozial. Sie wirken nicht orientierend, sondern verstĂ€rken die Unsicherheit. Erschrocken habe ihn ein Tweet, den er wĂ€hrend einer Fernsehdebatte auf dem Handy registriert hat: „die Gleise nach Auschwitz liegen noch“.

Man dĂŒrfe nicht zulasssen, dass PEGIDA und AfD alle negative Stimmung in einen Topf rĂŒhren. „Da bleibt nicht Positives mehr ĂŒbrig“. Politische  Themen mĂŒsse man  differenzierter sehen.

Zum FlĂŒchtlingsthema trifft Clement klare Aussagen, die er stakkatomĂ€ĂŸig als Credo in den Saal wirft:

1 „ich war stolz“, sagt er, als „Merkel nicht wie Resteuropa zusah, wie FlĂŒchtlinge im Meer versinken. Ich stehe dazu: Wer vom Krieg betroffen ist, hat Anspruch auf unnseren Schutz.“ Bewunderung empfindet er fĂŒr die Worte des griechischen Ministers fĂŒr Migration, Giannis Mouzalas: Dieses Europa darf nicht ins Mittelalter verfallen“

Der PrĂ€sident des Verfassungsgerichtes, der jĂŒngst Merkels Politik verfassungsrechtlich in Frage gestellt hat, sich aber nicht getraut habe, zu handeln: er hĂ€tte lieber gleich schweigen sollen. Denn Merkel hĂ€tte nur das umgesetzt, was Tenor vieler Verfassungsgerichtsurteile gewesen sei: Dass es unrecht sei, FlĂŒchtlinge in EuropĂ€ische NachbarlĂ€nder auszuweisen, wenn ihnen dort nicht – wie beispielsweise in Ungarn – Menschenrechte gewĂ€hrt wĂŒrden.  „Angela Merkel hat nicht gegen die Dubliner VertrĂ€ge verstoßen. Sie hat sie menschenrechtskonform reformiert“,  so Clement.

Nun seien aber Millionen von FlĂŒchtlingen plötzlich und ĂŒberraschend hier. „Das ĂŒberfordert uns tatsĂ€chlich, und zwar praktisch“, rĂ€umt er ein. Die private Hilfe sei ĂŒberwĂ€ltigend gewesen, doch die staatliche Seite handle konfus, unĂŒbersehbar, chaotisch. Hier zeige sich, dass Deutschland nicht im digitalen Zeitalter angekommen sei.  Nichts sei vernetzt, nichts  kompatibel. Man hĂ€tte auf die außergewöhnliche Lage auch einmal außergewöhnlich reagieren können. Warum nicht pensionierte Lehrer und Polizisten in den Dienst zurĂŒckholen? Es mĂŒsse organisiert und gehandelt werden.

SelbstverstĂ€ndlch muß man Zuwanderung steueren, findet auch Clement. Dazu schlĂ€gt er Kategorien vor:

  1. „Wir brauchen ein Einwanderungsgesetz“. Deutschland werde ohne Zuwanderung mit seinem demografischen Problem unweigerlich wirtschaftlich in die Katastrophe stĂŒrzen. In einem Zuwanderunsggesetz mĂŒssen klare Kriterien festgelegt werden, wer erwĂŒnscht ist. Dies richte sich insbesondere nach Qualifikation und Qualifizierbarkeit.

2. KriegsflĂŒchtlinge genießen unseren uneingeschrĂ€nkten Schutz, bis sich die Situation in ihren HeimatlĂ€ndern beruhigt habe. Danach mĂŒsse entschieden werden, wer zurĂŒck gehen könne und mĂŒsse, denn die HerkunftslĂ€ner brĂ€uchten die RĂŒckkehrer  zum Wiederaufbau des Landes. Wer dennoch in Deutschland bleiben wolle, mĂŒsse die Kriterien des Zuwanderungsgesetzes erfĂŒllen.

3. Es mĂŒsse unbĂŒrokratische Möglichkeiten geben, diejenigen zurĂŒckzufĂŒhren, fĂŒr die es keine Bleibeperspektive gebe. Hier fĂŒhrt Clement das Beispiel der Schweiz an, die finanzielle Anreize fĂŒr RĂŒckkehrer schaffe (Beifall im Saal)

Besonders hat sich die WĂ€hlerinitiative um Clement dem Thema Bildung verschrieben. Das Bildungssystem entlasse erschreckend viele Kinder ohne Abschluß, sagt Clement, dabei gĂ€be es keine Kinder ohne Talent. Wichtig sind ihm Ganztagsschulen. Nur so hĂ€tten auch Kinder aus bildungsfernen Schichten eine Chance, ihren FĂ€higkeiten gemĂ€ĂŸ gefördert zu werden.

Clement findet auch Worte fĂŒr seine eigene Generation. Seit seinem Ausscheiden aus der Politik sei er ungesteuert. Er beziehe ein Ruhegehalt,  wolle aber noch lange keine Ruhe. So wie viele seiner Altersgenossen, die sich noch bester Gesundheit erfreuen. Ihr Wunsch sei: weiter Arbeiten, etwas tun. Die Begrenzung der Lebensarbeitszeit sei nicht mehr zeitgemĂ€ĂŸ, findet Clement.

Zu vielen Dingen nimmt er noch Stellung. Fracking beispielsweise: („erwiesenermaßen ungefĂ€hrlich, trotzdem leider verboten“), Marktwirtschaft und Zinspolitik „Niedrigzinsen sind ein gewaltiges Investitionsprogramm. Nutzen wir es jetzt, denn wir mĂŒssen fĂŒr viel schwierigere Zeiten wappnen“)

GenerationengesprĂ€ch als Wahlkampfhilfe fĂŒr den Kandidaten Sitta

Wolfgang Clement ist ja nicht ohne Anlass hier: der Spitzenkandidat der FDP, Frank Sitta, braucht UnterstĂŒtzung. Ein moderiertes ZwiegesprĂ€ch am wackligen Plastetisch auf der BĂŒhne bildet den zweiten Teil des Programms im Varietee.  Die Moderatorin reicht das Mikrophon zwischen den Generationen hin und her. „Jung“ ist der Kandidat der hiesigen FDP, Frank Sitta, Politikwissenschaftler und Eventmanager. Ein richtiges ZwiegesprĂ€ch wird es nicht. Denn man ist sich doch zu einig. „Recht hat er ja“, sagt Clement mehrfach ĂŒber Sitta.  Digitale Infrastruktur mĂŒsse her, sagen beide, um UnternehmensgrĂŒndungen zu erleichtern. Junge Unternehmen brĂ€uchten Risikokapital, das staatlich als Fördergeld ausgereicht werden mĂŒsse, meint Sitta, und erntet ĂŒberraschenderweise dafĂŒr keinen hörbaren Widerspruch.

Sitta meint, man mĂŒsse die Lehrinhalte der Schulen modernisieren. Kreide und Tafel im Klassenzimmer, hochtechnisiertes Kinderzimmer zuhause: diese Welten mĂŒsse man angleichen. Und der Politikwissenschaftler betont: statt den  dritten thermodynamischen Hauptsatz im Unterricht zu lehren, solle man lieber in den Schulen auch betriebswirtschaftliche Grundlagen vermitteln.

Im Saal regte sich kein Protest, offenbar gehören mehr Betriebswirte als  MINT-Fachleute zum WÀhlerpotential der FDP.

 

 

Print Friendly, PDF & Email

Startseite Foren Sozialdemokrat leistet Wahlkampfhilfe fĂŒr FDP: Wolfgang Clement im Steintor-Variete.

Ansicht von 13 BeitrÀgen - 1 bis 13 (von insgesamt 13)
  • Autor
    BeitrÀge
  • #200178

    Die Liberale WĂ€hlerinitiative hat fĂŒr die Wahlveranstaltung im Steintor-Variete hochkarĂ€tiges Personal aufgefahren. Hauptredner ist der ehemalige Wirt
    [Der komplette Artikel: Sozialdemokrat leistet Wahlkampfhilfe fĂŒr FDP: Wolfgang Clement im Steintor-Variete.]

    #200179

    Die FDP ist offenbar unfĂ€hig, einen Wahlkampf allein zu fĂŒhren.

    #200180

    Der TotengrÀber unserer Wirtschaft, Herr Rehberger!
    Weiche, …, weiche!
    Und wo ist zwei Daumen hoch Conni?
    Sachsen Anhalt braucht Mut zur spĂ€tgermanisch dekadenten LĂŒcke!
    Und von Herrn Clement hat sich die SPD bis heute nicht erholt.
    Wie … muß man sein, um in Halle mit Harz 4 Wahlkampf zu machen.

    #200181

    Wo Scheiße, ist kann Schokolade nicht sein. So einfach ist das. Hoffendlich fĂ€ll keiner darauf rein.

    #200182

    irgendwie ist die Überschrift schon nicht korrekt.
    „Sozialdemokrat“

    #200183

    Es gibt auch außerhalb der SPD Sozialdemokraten. Es gibt auch Christen, die nicht in der Kirche sind.

    #200184

    @HeiWu: selbst bei einigen SPDlern muß das „Sozial“ schon angezweifelt werden.

    #200281

    „Heute kĂ€mpft er fĂŒr eine sozialliberale Poltik, und deshalb ist er heute hier in Halle.“

    Die FDP in Halle versteht sich schon immer als neoliberal, wer hat ihn nur so vorgefĂŒhrt! 🙂

    #200282

    Ich finde es unfair, wie hier ĂŒber Splitterparteien hergezogen wird. Sie geben sich solche MĂŒhe, WĂ€hlerInnen zu finden.

    #200283

    Anonym

    Um als politische Partei anerkannt zu werden, brauchen sie eine ausreichende Zahl an Mitgliedern. Die HĂŒrde mĂŒssen sie erst mal nehmen…

    #200291

    War wohl sein grĂ¶ĂŸter Fehler, die Leute mit H4 zu „beglĂŒcken“. Er hĂ€tte sie alle als WĂ€hler kaufen mĂŒssen, statt sie als Feinde aufzubauen…
    Pure Blasphemie, das dann noch als positiv fĂŒr die Republik zu verkaufen… aber der kerl glaubt den Blödsinn, den er verzapft. Und er wird ja gut dafĂŒr bezahlt…

    #200294

    Seid wann sind Dinos hochkarÀtig?

    #200308

    Pure Blasphemie, das dann noch als positiv fĂŒr die Republik zu verkaufen


    GotteslÀsterung? Sach mal, ist Hartz4 jetzt eine Religion?

Ansicht von 13 BeitrÀgen - 1 bis 13 (von insgesamt 13)
  • Du musst angemeldet sein, um auf dieses Thema antworten zu können.