Nach Pleite von Abrechnungsfirma: jede fünfte Apotheke gerät in Finanznot

25. September 2020 | Wirtschaft | 10 Kommentare

Jede 5. Apotheke in Sachsen-Anhalt ist  aktuell unverschuldet in akuten Zahlungsnöten. Sie bangen um ihre ausstehenden Gelder für die Abrechnung der Rezepte mit den  Krankenkassen. Hintergrund: Am 15. September 2020 hat ein großes  Rezeptabrechnungszentrum für Apotheken plötzlich und völlig unerwartet  Insolvenz angemeldet.

Bei der Arzneimittelversorgung gehen Apotheken zunächst in finanzielle Vorleistung, sie bezahlen das gesamte Arzneimittel. Rechenzentren bilden eine Schnittstelle zwischen Apotheken und Krankenkassen. Im Auftrag der Apotheken werden die Rezepte digitalisiert und zusammengefasst mit den Krankenkassen abgerechnet. Die von den Krankenkassen gezahlten Gelder werden dann auf die einzelnen Apotheken aufgeteilt. Dieser Abrechnungsprozess ist mittlerweile für eine einzelne Apotheke zu komplex, um sie ohne Unterstützung eines Rechenzentrums zu leisten. Nun sind ca. 2.900 Apotheken bundesweit von dieser Insolvenz betroffen, in Sachsen-Anhalt sind es deutlich mehr als 100 der insgesamt 581 öffentlichen Apotheken.

Die aus dieser Insolvenz resultierenden Zahlungsausfälle sind existenzbedrohend und bewegen sich pro Apotheke in einem Bereich von ca. 120.000 EUR bis 400.000 EUR, teilweise sogar noch darüber hinaus. „Da dieses Geld dringend für die Bezahlung der Rechnungen für die vom Großhandel und der Industrie gelieferten Arzneimittel, aber auch für Mieten, Gehälter und Sozialbeiträge benötigt wird, geraten viele der von der Insolvenz des Rechenzentrums betroffenen Apotheken unverschuldet in eine akute finanzielle Notlage. Auch wenn nur ein kleiner Teil der betroffenen Apotheken selbst Insolvenz anmelden muss, kommt es zu gefährlichen Liquiditätsproblemen, die die Existenz des Unternehmens Apotheke und damit die wohnortnahe Arzneimittelversorgung als Ganzes gefährden können“, zeichnet Dr. Jens-Andreas Münch, Präsident der Apothekerkammer Sachsen-Anhalt ein düsteres Bild. Wenn erst einmal eine Apothekenschließung gerade im ländlichen Raum erfolgt ist, wird sich dort keine neue Apotheke mehr ansiedeln. Dafür ist die Attraktivität mittlerweile einfach zu gering.


In einem Brief an den Ministerpräsidenten des Landes Sachsen-Anhalt wendet sich die Apothekerkammer und der Landesapothekerverband mit einem Hilferuf an die Politik. „Es geht hier um Gelder der Sozialversichertengemeinschaft, die durch ein Insolvenzverfahren nicht ausgezahlt werden können und damit trotz bereits erbrachter Leistung den Apotheken nicht zur Verfügung stehen. Es ist zu berücksichtigen, dass die Apothekerschaft gesetzlichbeauftragt ist, die Arzneimittelversorgung der Bevölkerung sicherzustellen. Danach hat die Apotheke die Verpflichtung, das verordnete Arzneimittel abzugeben. Diese Verpflichtung gilt völlig unabhängig davon, ob sich dies wirtschaftlich rechnet. Gerade bei hochpreisigen Arzneimitteln sind die Apotheken in Folge der gesetzlichen im Sozialgesetzbuch Teil V verankerten langen Zahlungsfristen für die Krankenkassen gezwungen, die für sie unwirtschaftliche Zwischenfinanzierung zu übernehmen“, erklärt der
Kammerpräsident.

„Der ersatzlose Ausfall einer ganzen Monatsabrechnung ist für nahezu jeden Apothekeninhaber existenzbedrohend. In der stark regulierten Arzneimittelversorgung tragen die Apotheken ohnehin ein großes finanzielles Risiko bei seit Jahren kaum angepassten Honoraren. Rabattverträge, Lieferengpässe, Retaxationen (Zahlungsweigerungen der Krankenkassen) und die Vorfinanzierungskosten für immer mehr hochpreisige Arzneimittel belasten die wirtschaftliche Situation ohnehin schwer“, erklärt Mathias Arnold, Vorsitzender des
Landesapothekerverbandes Sachsen-Anhalt (LAV).

Apothekerkammer und LAV hoffen nun auf ein zeitnahes Gesprächsangebot von der Landespolitik, um im Ergebnis Lösungen bzw. Hilfsangebote für die Apotheker zu finden.

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