Kohle vor Personen – Angst vor dem Kollabieren des deutschen Bahnnetzes

18. August 2022 | Wirtschaft | 7 Kommentare

Wenn es nach den Plänen der Bundesregierung geht, dann werden in der kommenden Zeit vermutlich Güterzüge, die mit Kohle, Gas oder Öl beladen sind, Vorrang vor Personenzügen bekommen. Grund dafür ist die sich weiter verschärfende Energiekrise und der zugleich extrem heiße Sommer. – Aber der Reihe nach:

Derzeit ist es in Deutschland ungewöhnlich trocken. Meteorologen sprechen bereits von einer außergewöhnlichen Dürre. Neben zahlreichen, teils verheerenden  Waldbränden sind auch viele der wichtigen Wasserstraßen von der Trockenheit betroffen. Ein Beispiel hierfür ist eine der verkehrsreichsten Wasserstraßen der Welt – der Rhein. Dieser führt so wenig Wasser, dass die systemrelevanten Frachtschiffe mit Energieträgern an Bord den Fluss entweder gar nicht mehr befahren oder aber nur noch einen Bruchteil ihrer normalen Ladung transportieren können.

Wenn es nun nach der Ampel-Koalition geht, dann soll die wichtige Fracht deshalb bald mittels Deutscher Bahn transportiert werden. Allerdings ist auch das deutsche Schienennetz derzeit stark belastet: So gibt es einerseits so viele Bauarbeiten an der seit rund drei Jahrzehnten heruntergewirtschafteten Bahn-Infrastruktur wie noch nie und andererseits auch mehr Passagiere als normalerweise, da das 9-Euro-Ticket noch immer zum günstigen deutschlandweiten Reisetrip einlädt.

Und so kommt es nun, dass Verkehrs- und Wirtschaftsministerium bereits am vergangenen Wochenende besprochen haben, den Energietransporten auf der Schiene für die kommenden sechs Monate Vorrang einzuräumen. „Ziel ist es, den Betrieb von Kraftwerken, Raffinerien, Stromnetzen sowie von weiteren lebenswichtigen Betrieben sicherzustellen.“, so die Erklärung der Regierung.

Doch an diese richtet sich jetzt zunehmend Kritik:

Die Mittelstands- und Wirtschaftsvereinigung in Sachsen-Anhalt (MIT) etwa warnt angesichts der Ankündigung vor einem Kollabieren des gesamten deutschen Bahnnetzes. Bereits jetzt sei die Durchlässigkeit angesichts hunderter Baustellen deutschlandweit erheblich eingeschränkt. Es fehle an Baukapazitäten, rollendem Material und funktionierenden Ausweichstrecken.

Nach Angaben des Landesvorsitzenden Detlef Gürth (CDU), würden täglich 13 Millionen Menschen zur Arbeit pendeln, davon große Teile mit Bus und Bahn. „Ein Vorrang für Kohletransporte hört sich gut an, ist aber in der Praxis soweit von der Realität entfernt, wie die Sonne vom Mond. Schon die Fehlanreize des 9-Euro-Tickets haben das Bahnsystem an den Rand des Kollaps geführt. Die
Pünktlichkeit des Nah- und Fernverkehrs bewegt sich inzwischen in homöopathischen Bereichen. Kaum auszudenken, wenn auf der völlig überlasteten Infrastruktur noch hunderte langsame Kohlezüge rollen sollen!“, so Gürth.

Unpünktliche Züge kosten der Wirtschaft jährlich Milliarden, weil Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zu spät zur Arbeit kommen. Dies sei eine erneute Aktionismusaktion der Berliner Ampel, ohne sich mit den tatsächlichen Ursachen auseinanderzusetzen.

Gürth fordert stattdessen ein umfangreiches Maßnahmenpaket von der Bundesregierung ein. „Zunächst einmal brauchen wir ein beschleunigtes Planungs- und Genehmigungsrecht für
Infrastrukturmaßnahmen bei Straße und Schiene. Es sei schon mehr als fragwürdig, warum Bahnstrecken, die vor 80 Jahren durch die Russen demontiert wurden, immer noch eingleisig sind? Dies würde die Durchlassfähigkeit der Bahn deutlich erhöhen. Das Gleiche gilt für den
Rückbau von Bahnhöfen, Verladeanlagen und zusätzlichen Kreuzungsmöglichkeiten. Das Mora C-Programm der 90er Jahre hat der bestehenden Bahninfrastruktur den Rest gegeben und muss in den kommenden Jahren dringend korrigiert werden.“

Weiterhin fordert der CDU-Politiker, Ausweichstrecken für den Güterverkehr auszubauen, bzw. stillgelegte Infrastruktur wieder in Betrieb zu nehmen. „Die Bahn fährt immer, hieß es noch in den 70ern bei der Bundesbahn. Von diesem Anspruch entfernt sich der Bund, als Eigener der Deutschen Bahn, immer weiter!“

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