WEGKLATSCHEN – Applaus für Bonnie und Clyde

9. November 2019 | Kultur, Nachrichten, Rezensionen | Keine Kommentare

Grit Lukas zeichnet als Regisseurin für die Uraufführung von Sergej Größners neuem Stück verantwortlich.

Schon zu Beginn stehen die Protagonisten provokativ auf der Bühne, während die Zuschauer sich langsam setzen. Sie erzählen dann die Geschichte einer Gruppe junger Leute, die sich Hass und Gewalt in diesem Land entgegen stellen wollen und dabei selbst zu juristisch relevanten Mitteln greifen. Das fängt ganz harmlos und naiv an. Nach einem Streit, ob Thunfischpizza umweltpolitisch opportun ist, beschließen sie demokratisch ihre erste Aktion: Penis-Eis an Nazis verteilen und öffentlichkeitswirksame Fotos machen (Idioten mit kleinen Schwänzen). Hier kommt zum ersten Mal das opulente, reizvolle Bühnenbild von Lena Schmid zum Einsatz. Leichte, beleuchtete Metallbögen und Spiegelflächen, die der Bühne Tiefe und Gestalt geben, wie ein Tunnel in die Zukunft. Die Schauspieler bewegen ein Tuch, was, unterstützt von der Musik, die Turbulenzen auf der Demo symbolisiert.

Was wie ein Kinderspiel beginnt wird zunehmend radikaler. Dann brennt ein SUV – die Gruppe zerfällt. Zwei machen weiter, bewaffnen sich – das Bonnie und Clyde Zitat. Schließlich die Idee Kurt Kreismann, einem fast 100jährigen Mann und Kriegsverbrecher, mit seinen Taten zu konfrontieren und seine Reaktion zu filmen. Die Aktion endet schließlich mit dem Tod des Mannes und der Verhaftung und Vernehmung der Truppe, die den Rahmen der Inszenierung bildet. Die hehre Absicht hat sich in ihr Gegenteil verkehrt.
Die kleine, engagierte Truppe spielt klare Vorgänge, erzählt die Geschichte mit guten theatralischen Mitteln. Richtige Charaktere lassen sich dabei nur in Ansätzen erkennen. Aber das ist nicht unbedingt ein Manko, es geht um die Sache. Was ist los in diesem Land, wie wehrt man sich dagegen?

Daß die Haß-Problematik sehr komplexe gesellschaftliche Vorgänge zur Grundlage hat, die in einer solchen Antifa-Gruppe nicht gespiegelt werden können, sei hier nur am Rande erwähnt.

Nach dem wohlverdienten Schlussapplaus ein Statement der Schauspieler zur Situation heute nach den Ereignissen am 9. Oktober in Halle. Das klang sehr ehrlich und bewegend. Die fiktive Geschichte des Stückes will eine Debatte anstoßen über den Umgang mit rechtem Hass. In der Premiere saß eine Schulklasse, die im Anschluss sehr klug über die gesehene Geschichte geredet hat. Da kann man nur feststellen: Ziel erreicht.

Mit Sybille Kreß (Mona), Marlene Tanczik (Leo), Matthias Walter (Tobi), Nils Andre Brüning (Paul) und Michael Ruchter (Maik).

Die Inszenierung ist auch Bestandteil eines „Tages des offenen Denkens und Handelns“ am 9. November ab 15.00 Uhr im neuen theater, gemeinsam mit der Stadt Halle und den Franckeschen Stiftungen. Viele Lesungen in allen Räumen, Konzerte, ein Quiz, ein Probenbesuch und Gespräche erinnern nicht nur an den Mauerfall, sondern auch an die Progromnacht am 9. November 1938, mit der die industrielle Vernichtung des jüdischen Volkes ihren Anfang nahm. Dann war da ja noch der 9. November 1918, als Liebknecht die „Freie Sozialistische Republik Deutschland“  ausrief.
Offenbar ist dieser Tag prädestiniert für große historische Ereignisse.

Weitere Termine:
12. November 2019, 10 Uhr, nt – Kammer
22. November 2019, 20 Uhr, nt – Kammer
21. Dezember 2019, 20 Uhr, nt – Kammer
28. Januar 2020, 10 Uhr, nt – Kammer

Print Friendly, PDF & Email

Kommentar schreiben