Neustädter Scheiben: neue Studie und Taubenproblem

26. Juni 2013 | Vermischtes | 6 Kommentare

Um die Zukunft der Scheiben-Hochhäuser in Halle-Neustadt ging es am Mittwochabend im Kulturforum. Viel Erhellendes gab es dabei nicht. Es soll eine neue Machbarkeitsstudie geben, welche Alternativnutzungen es gebe könnte. Außerdem beklagten mehrere Neustädter den Taubendreck.

Doch der Reihe nach. Udo Mittinger vom Halle-Neustadt-Verein ließ den Plattenbau-Stadtteil zunächst hochleben. Er sprach von der „schönsten Plattenbausiedlung in ganz Deutschland.“ 35 Jahre seines Arbeitslebens habe er hier verbracht, sein Herz schlage für Neustadt. Auch die nötige Fachkompetenz bringe er mit, sei er doch lange Jahre in der Arbeitsgruppe Großsiedlungen tätig gewesen. Er kenne sie daher Halle, von München-Perlach bis Köln-Chorweiler. „Keine dieser Großsiedlungen ist so schön wie Halle-Neustadt.“ Das liege möglicherweise daran, dass Neustadt als eigenständige Stadt geplant sei. Es folgte ein Blick auf die Investitionen nach der Wende, die Sanierung von Plattenbauten, der Bau der Straßenbahn, das Neustadt-Center, die Herrichtung der Passage… „Aber wir haben ein großes Problem: das sind die Hochhausscheiben.“ Wer in Neustadt Besuch bekomme, mache einen großen Bogen um die Gebäude, „weil sie deprimierend sind, wenn man sie anschaut.“ Fenster seien kaputt, Tauben würden sich heimisch fühlen, „der Zustand wird von Tag zu Tag schlechter.“ Das war der Auftakt zu einer folgenden zweistündigen Debatte.

Stadtplaner Lars Loebner erklärte, der Rückbau der leerstehenden Scheiben A, B, C und E sei geprüft worden, „das streben wir nicht an“, so Loebner, wäre das doch eine „unbefriedigende städtebauliche Situation.“ Problem sind die geschätzten Sanierungskosten von mindestens 15 Millionen Euro. Deshalb solle es in diesem Jahr eine Machbarkeitsstudie für die im Landesbesitz befindliche Scheibe C geben, im kommenden Jahr – zum 50-jährigen Jubiläum Neustadt – solle es dann einen Internationalen Studentenworkshop, eine Bürgerkonferenz und eine Fachtagung zum Thema Großsiedlungen geben.

Doch prüfen kann die Stadt viel, ausrichten kann sie mit Blick auf ihre eigene Finanzlage nicht. Da sind dann doch das Land und die Privateigentümer gefragt. Jörg Felgner, Staatssekretär im Finanzministerium und in einer Plattenbausiedlung in Karl-Marx-Stadt aufgewachsen, berichtete davon, dass hallesche Politiker die Landes-Scheibe C immer wieder angesprochen haben. Es sei auch über Jahre eine Verwaltungsnutzung diskutiert worden, das aber sei nicht wirtschaftlich. „Wenn das Land baut, heißt es auch wirtschaftlich bauen“, erklärte Felgner. Eine Verwaltungsnutzung lasse sich nur schwer realisieren, der Kostenbereich sei nicht verantwortbar. Das Land habe einen bestehenden Sanierungsstau von 400 Millionen Euro. Rückbau sei eine Option. Und das müsse nicht unbedingt Komplettabriss heißen, so Felgner, auch ein Teilrückbau sei denkbar.

Falko Balzer, Geschäftsführer vom Bau- und Liegenschaftsmanagement des Landes, sieht das anders als sein Staatssekretär. Teilabriss ist für ihn keine Option, weil „das ein Haufen Geld kostet.“ Dann doch der Gesamtabriss. Der Leerstadt koste das Land 45.000 Euro im Jahr an Grundsteuern und Sicherungskosten. Zudem musste 2011 für 100.000 Euro ein Sicherheitsnetz gespannt werden. Die Machbarkeitsstudie soll Alternativen abklopfen. Er merkte aber auch an, dass man aus den ursprünglich als Wohnhäuser konzipierten Gebäuden nicht einfach Verwaltungsbauten machen kann. Auf eine Frage aus dem Publikum, wieso genau das der Besitzer der Scheibe D hinbekommen hat – dort ist unter anderem das Jobcenter untergebracht – gab es keine Antwort. Jetzt macht das Land eine Risiko-Analyse und eine Wirtschaftlichkeitsbetrachtung. Fällt beides negativ aus, folgt 2015 der Abriss. Wegen der Bauweise wird das kein einfaches Unterfangen.

„Wenn ich das höre, geht mir so langsam der Hut hoch“, schimpfte eine Frau, die seit 1967 in Neustadt wohnt. Mit all den für Untersuchungen rausgeworfenen Geldern hätte schon längst etwas passieren können, meinte sie. „Warum um Himmels willen soll dort das Finanzamt nicht rein?“, fragte sie. Sie beklagte Taubendreck, Müll und beklebte Säulen an der Neustädter Passage.

Neustadt komme wohl schon deshalb nicht in Frage, weil in der Ausschreibung vom land eine A-Lage gefordert wird, sagte Christian Kunze. Er regte eine Nutzung als Solartower an. „Das kommt nur für die Giebelseite in Frage“, erklärte Udo Mittinger, und das sei wohl zu wenig, um kostendeckend zu sein.

Klaus-Dieter Weißenborn erkundigte sich danach, wie es denn um die Scheiben im Privatbesitz stehe. Laut Oberbürgermeister Bernd Wiegand stehe man mit den Eigentümern in engem Kontakt. Er bat noch einmal um zwei Jahre Zeit für die neue Studie, machte aber auch klar, dass danach Schluss ist: „Irgendwann isses aber gut mit Studien, dann müssen wir es einer Entscheidung zuführen.“

Zu Wort meldete sich eine Frau, die 1979 als Studentin nach Neustadt kam und früher selbst in einer Scheibe gewohnt hat. Kürzlich habe sie ihren Freundinnen, die überall verstreut in Deutschland leben, einmal gezeigt, was aus den Häusern geworden ist, von einer „Schocktherapie“ sprach sie. „Eigentum verpflichtet“, war ihre Aussage in Richtung der Verantwortlichen. Daneben beklagte auch sie, dass die Häuser als Brutstätte für Tauben dienen.

Immerhin wird etwas getan, wie eine Frau vom Tierschutzverein zu berichten wusste. Seit Februar habe man schon 131 Eier aus den Nestern genommen. Allerdings bat sie auch darum, direkt Zutritt zu den Häusern zu bekommen, um weitere Eier zu beseitigen. OB Wiegand sagte eine Prüfung zu, über Verfügungen zur Gefahrenabwehr könne das möglich gemacht werden. Er verwies zudem darauf, dass man am Markt einen Falken angesiedelt habe, um das Taubenproblem in den Griff zu bekommen.

Linken-Stadtrat Uwe-Volkmark Köck verwies auf die Doppeltstadt und die Verbindung 5 Türme in der Altstadt und 5 Hochhäuser in der Neustadt. Wenn diese verloren ginge, wäre die Balance nicht mehr da. „Keiner würde auf die Idee kommen, die Türme auf dem Markt abzureißen, weil sie funktionslos sind.“ Nicht glücklich finde er zudem, dass das Land sein Hochhaus veräußern wolle. Nur die öffentliche Hand habe die Möglichkeit zu zeigen, was man aus den Häusern machen kann. Er plädierte zunächst für eine Versiegelung des Gebäudes, nur die Außenhaut solle genutzt werden – als Werbeträger oder Solarfeld. In zehn Jahren könne man dann vielleicht sogar über eine Reaktivierung des Gebäudes nachdenken. Die Konstruktion mache auf lange Zeit keine Probleme, nur das undichte Dach müsse repariert werden.

Reiner Halle von der Bürgerinitiative Stadtentwicklung, die sich schon erfolglos für den Erhalt der Riebecktürme eingesetzt hat, erklärte, man habe von der Stadt klare Aussagen zu einem Bekenntnis zu den Häusern erwartet. Die Stadt habe Planungshoheit und damit Verpflichtung. Und das Land sei als Eigentümer in der Pflicht. „Hier geht es darum, voranzugehen.“ Doch die Körperhaltung und Mimik von Falko Balzer würden ihm sagen, die Sache sei schon gelaufen. Eine Frau begrüßte dagegen den nun denkbaren Abriss. „Lieber kein Haus, als so was Furchtbares“, sagte sie.

Der SPD-Landtagsabgeordnete Thomas Felke forderte eine dauerhaft wirtschaftliche Lösung. „Eine dauerhafte Alimentierung können wir uns nicht leisten. Das sind auch Steuergelder.“ Eine Nutzung für hochwertiges Wohnen schlug eine Frau vor, am Sophienhafen habe ja auch ein Investor das leerstehende Speichergebäude wiederbelebt. Dass ein Investor kommt, zweifelte ein anderer Mitdiskutant dagegen an, er regte stattdessen eine Enteignung an. Das sei nicht möglich, meinte OB Wiegand. Grünen-Stadtrat Christian Feigl wies aber auch die Möglichkeit hin, dass das Baugesetzbuch das Sanierungsgebot als Möglichkeit sieht.

Am Ende bleibt zu konstatieren: außer, dass alle mal miteinander geredet haben, brachte der Abend nichts Neues zu Tage. Udo Mittinger brachte zum Schluss noch den Vorschlag, dass Stadt und Land jeweils eine weitere Scheibe übernehmen, sanieren und dort Ämter unterbringen… „wir können nicht unrealistisch weiterplanen. Eine Verwaltungsnutzung scheidet aus“, erklärte daraufhin noch einmal Falko Balzer, der Herr über die Landesimmobilien.

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