Gibt es das „Unterschichtenfernsehen“?
1. Februar 2013 | Vermischtes | 2 KommentareNicht erst seit „Berlin – Tag und Nacht“ gibt es die Debatte um das so genannte „Unterschichtenfernsehen“ und seine Zuschauer, die zumeist in recht einfachen Bahnen verläuft. Nun ist eine der ersten medienwissenschaftlichen Studien zum Thema am Department Medien- und Kommunikationswissenschaften der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg (MLU) erschienen, die zudem mit einer besonders innovativen Forschungsmethode arbeitet. Darin werden die Zuschauer nicht mehr allein als einheitliche und bildungsarme Masse diffamiert. Stattdessen wird systematisch die Fragen untersucht, was sie sehen und wie sie es tun.
Seitdem Kurt Beck im Herbst 2006 über das deutsche „Unterschichten-Problem“ wetterte, sind auch Fernsehsender in der Debatte, die angeblich „Unterschichten-Programme“ senden würden. Sowohl in den Medien als auch in der Wissenschaft wurden die Rezipienten dieser Sendungen als einheitliche Gruppe von „Unterhaltungsfreunden mit einfacher Bildung“ charakterisiert, die den elitären Informationssuchern gegenüberstehen würden. Gerade die erste Gruppe bekommt im öffentlichen Raum viel Aufmerksamkeit und wird hier oft als homogene Masse diffamiert.
Nun stellt die hallesche Medienwissenschaftlerin Katja Kochanowski in ihrer gerade erschienenen Publikation klar, dass diese Homogenisierungen unrealistisch und unangebracht sind. Die Arbeit präsentiert erste Ergebnisse aus dem Dissertationsprojekt der Autorin. Sie hat an drei Einzelfällen untersucht, welches Programm Rezipienten in einer ökonomisch prekären Lebenssituation und mit niedrigem Bildungsstand konsumieren und vor allem, wie sie dies tun.
Dazu entwickelte die Autorin ein komplexes, innovatives Forschungsdesign, das Ergebnisse von Beobachtungen, Befragungen, medialen Aufzeichnungen sowie Fernsehtagebüchern zusammenführt. Damit konnte sie auch die Unterschiede innerhalb dieser Rezipientengruppe sichtbar machen.
Die Publikation ist in der Reihe „HALMA. Hallische Medienarbeiten“ erschienen. Ihr Herausgeber Dr. Florian Hartling führt dazu aus: „Frau Kochanowski kommt in ihrer Studie nicht nur zu sehr differenzierten und neuen Ergebnissen rund um das so genannte ‚Unterschichten-Fernsehen’. Darüber hinaus stellt sie eine sehr innovative und komplexe Forschungsmethodik vor, die qualitative und quantitativen Methoden verbindet, und methodisch das Feld der Rezeptionsanalysen sehr bereichert. Schließlich zeigt sie auch auf, wie sich Kulturwissenschaften mit politisch brisanten Fragen beschäftigen und hier zu sensibel diskutierten Ergebnissen kommen, die sich platter Schwarz-Weiß-Malerei entzieht.“
Informationen zur Autorin:
Die Autorin Katja Kochanowski hat von 2002 bis 2007 an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg Medien- und Kommunikationswissenschaften, germanistischen Sprachwissenschaften und Anglistik/Amerikanistik studiert.
Parallel arbeitete sie von 2004 bis 2007 als wissenschaftliche Hilfskraft im DFG-Projekt „DDR-Fernsehen komparativ“, das über sechs Jahre an den Universitäten Halle, Leipzig, Potsdam und der HU Berlin durchgeführt wurde. Seit 2008 promoviert die Autorin am Department Medien- und Kommunikationswissenschaften, gefördert von einem Graduiertenstipendium des Landes Sachsen-Anhalt. Titel der Dissertation: „Bunte Unterhaltung – schwarze Zukunft. Soziales Milieu – Fernsehnutzung – Medieninhalte.
Die Programmauswahl und ihre Bedeutung für die soziale Unterschicht“. Betreuer ist Prof. Dr. Reinhold Viehoff.
Die Publikation ist auch online publiziert unter:
http://www.medienkomm.uni-halle.de/publikationen/halma/halma25/
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Wie es sich gehört zuerst ML:
„Gesellscha!lich hatten die Arbeiter in der ehemaligen DDR einen hohen Rang und wurden mit politischen
und wirtscha!lichen Führungsgruppen auf eine Ebene
gestellt. Die Bürger hatten nicht nur die P“icht zur Arbeit,
sondern auch ein Recht darauf. Arbeit war ein Wert, der tief
in das Private hineinwirkte. Selbst Kinderbetreuungsplätze,
Urlaubsfahrten sowie Kulturkonsum wurden durch die Betriebe
vermittelt und genehmigt bzw. mit deren Hilfe organisiert.
Im Kollektiv wurden private Probleme oder Alltagssorgen
diskutiert und bestenfalls ausgeräumt.
Arbeit war ein fundamentaler Teil des Lebens – eine Art
Brücke zwischen Gesellscha!ssystem und Alltag.“
Kollektiv, mit denen
zu Ostzeiten noch private Probleme diskutiert wurden, an
einem vorbeizogen, blieben viele zurück (vgl. Vogel 2000,
S. 226). Dies war eine paradoxe Erfahrung, die emotional
gewertet werden sollte, denn objektiv gesehen, ging es den
Ostdeutschen wirtscha!lich besser. Dennoch führte die
Wahrnehmung, nicht mehr gebraucht zu werden und an
den noch weitreichenderen Konsummöglichkeiten nicht
teilhaben zu können, zu einer gefühlten Ausgeschlossenheit.
Ungleichheit zu verhindern, war im sozialistischen
Deutschland eines der höchsten moralischen Ziele.“
Diskussion hier… http://hallespektrum.de/thema/gibt-es-das-unterschichtenfernsehen/