Franckesche Stiftungen: Wiegand will den Schwanz nicht einziehen

16. Dezember 2015 | Vermischtes | 5 Kommentare

Am Mittwoch hat der hallesche Stadtrat über das drohende Scheitern der Franckeschen Stiftungen als UNESCO-Weltkulturerbe diskutiert.

Stiftungsdirektor Thomas Müller-Bahlke erhält zu Beginn das Wort. Er berichtet über das vernichtende Urteil zur Aufnahme als Weltkulturerbe. Die Ablehnungsgründe habe man nur mündlich erhalten. Alle Partner in Bund, Stadt und Land würden die Einordnung nicht zustimmen, derzeit sondiere man das weitere Vorgehen. Am 7. Januar wird das Kuratorium der Stiftungen zusammenkommen und entscheiden, ob der Antrag aufrecht erhalten wird. Man habe im Bewerbungsverfahren viel erreicht, so Müller-Bahlke. Man habe auch die Öffentlichkeit in Halle begeistern können, darauf sei man stolz. Doch auch zahlreiche neue wissenschaftliche Erkenntnisse habe man gewonnen. Im kommenden Frühjahr soll es eine wissenschaftliche Tagung geben. Müller-Bahlke richtete der Öffentlichkeit in Halle sowie dem Stadtrat seinen Dank für die bisherige Unterstützung aus. Gern wolle man die Symphatiewelle aufrecht erhalten.
Christian Feigl (Grüne) äußert Anerkennung dafür, dass die Bewerbung überhaupt auf den Weg gebracht und in die Bürgerschaft hineingetragen wurde. „Ich fand das gut für die Stadtgesellschaft.“ Feigl will jedoch genauere Gründe für die Ablehnung wissen und welche Optionen zur Verfügung stehen.
Rüdiger Fikentscher (SPD) erklärt, ihm seien die Stiftungen seit mehr als einem halben Jahrhundert vertraut. Miterleben musste er den Niedergang und Verfall zu DDR-Zeiten. Die Rettung nach der Wende sei umso schöner. „Freude und Stolz breiteten sich in Halle aus, denn die Stiftungen verbreiteten ein vielfältiges Leben“, so Fikentscher. Er kenne niemanden, der gegen die Bewerbung war oder Skepsis geäußert habe. „Die Zuversicht, den Welterbetitel zu erreichen, schien ungebrochen.“ Allein das Kuratorium habe die Entscheidungsbefugnis, was mit dem Antrag geschehe. „Es ist nur ein kleiner Schritt vom Erhabenen zum Lächerlichen“, zitierte Fikentscher Napoleon mit Blick auf die bevorstehende Entscheidung des Kuratoriums.
Annegret Bergner (CDU) erklärte, sie unterstütze die Wortäußerung Fikentschers. Allerdings fragte sie nach, inwiefern überhaupt öffentlich über die Gründe der Ablehnung diskutiert werden könne, das Kuratorium tage schließlich nichtöffentlich.
„Das ist ne schwierige Situation“, meinte Tom Wolter (MitBürger). Man überlasse dem Kuratorium die Entscheidung nicht allein. Der Stadtrat diskutiere das Thema, damit das Kuratorium die Meinung der Räte erfahre. Wolter meinte, die größere Gefahr bestehe momentan darin, den Antrag aufrecht zu erhalten. „Es ist schwierig, mit offenem Visier in dieses Risiko zu laufen.“ Bessere wäre es, es später „vernünftig aufs Tablet“ zu bringen. Die Bewerbung selbst sei ein Höhepunkt des Stiftungswirkens der vergangenen 25 Jahre gewesen. „Titel sind auch nicht alles“, sagte Wolter.
Bodo Meerheim (Linke) sagte, seine Fraktion habe den Ratsbeschluss zur damaligen Bewerbung mitgetragen. „Titel sind manchmal Schall und Rauch.“ Allein durch den Bewerbungsprozess sei es den Stiftungen gelungen, über die Region hinaus bekannt zu werden und auch bei den Hallensern Interesse zu wecken. Bessere wäre es, angesichts der aktuellen Erkenntnisse die Bewerbung ruhen zu lassen, „um so dauerhaften Schaden für die Stiftungen zu verhindern.“
Müller-Bahlke dankte den Stadträten, dass diese mit nach einer Lösung in dieser schwierigen Stunde suchen. Man wolle mit der Öffentlichkeit zusammen eine gute Entscheidung finden. Die Ablehnungsbeurteilung sei sehr pauschal erfolgt. „Es hat eine Ablehnung in Bausch und Bogen stattgefunden. Da war nicht ein Punkt, den der Weltdenkmalrat hätte gelten lassen“, so Müller-Bahlke. So sei in Abrede gestellt worden, dass die Schulstadt heute nicht mehr erkennbar sei. Auch die Architektur sei nicht außergewöhnlich, habe der Rat befunden. Ziehe man den Antrag zurück, komme man wieder auf die sogenannte Tentativliste und könne ihn zu späterer Zeit mit neuen Erkenntnissen reaktivieren. Halte man den Antrag aufrecht, gebe es nur zwei Möglichkeiten: eine komplette Ablehnung, dann dürften die Stiftungen mit einer neuen Bewerbung nicht wieder antreten, es sei denn, es würden grundlegend neue Erkenntnisse zu Tage treten. „Die andere Möglichkeit wäre abseits eine Komplettablehnung, dass man erreicht, dass das Unesco-Gremium den Antrag nicht komplett ablehnt, sondern an die beantragende Stätte zurückgibt.“ Dann gebe es die Möglichkeit, einen komplett neuen Antrag zu entwickeln. Diese Möglichkeit sehe er es als sehr schwierig an, weil man das komplette Knowhow in den Antrag gesteckt habe. Man stehe auch heute noch zu hundert Prozent hinter dem Antrag. Den Stiftungen würde es sehr schwer fallen, wenn nicht gar unmöglich sein, einen neuen Antrag zu erstellen.
Inés Brock meinte, die Option auf einen Rückzug sei momentan die Plausibelste, „um erhobenen Hauptes zu einem späteren Zeitpunkt wieder einzusteigen.“
Eberhard Doege (CDU) fragte nach, ob es die Ablehnungsgründe auch schriftlich gibt. Laut Müller-Bahlke wären die Gründe nur mündlich vorgetragen worden. Halte man den Antrag aufrecht, bekomme man im März einen schriftlichen Bericht. Zum jetzigen Zeitpunkt könne man am Antrag selbst aber nichts mehr ändern oder anpassen. Müller-Bahlke kritisierte in diesem Zusammenhang, dass der Weltdenkmalrat im Evaluierungsprozess im Vorfeld keinerlei Bedenken geäußert hatte. „Wir sind in der Erwartung nach Paris gefahren, um unseren Antrag zu verteidigen.“ Erlebt habe man eine Sitzung, bei der elf Mitglieder der Francke-Kommission gegenüber saßen und gleich im zweiten Satz ihr Urteil gefällt haben. „Eine Diskussion war nicht erwünscht und nicht vorgesehen.“
Das Verfahren laufe der eigenartig ab, äußerte Oberbürgermeister Bernd Wiegand. Die Frage sei, ob man aufgrund einer mündlichen Stellungnahme den Antrag, auf den man jahrelang zugearbeitet habe, zurückziehen sollte. „Ich bin der Meinung, dass der Stolz der Stadt es grundsätzlich verbietet, den Antrag zurückzunehmen.“ Im Grunde sei die mündliche Ablehnung eine Beleidung der Beteiligten. „Mitten im Verfahren das Verfahren abzubrechen halte ich für fatal. Es kommt dem Stolz der Stadt und wird dieser Stadt nicht gerecht.“ Wiegand geht auch noch einmal auf die rechtlichen Belange ein. Wird ein Antrag abgelehnt, könne dieser nur wieder gestellt werden, wenn außergewöhnliche Umstände vorliegen. Doch welche das sein könnten, dazu werde sich in den Unesco-Richtlinien nicht geäußert. „Ich sehe durchaus eine Möglichkeit, auch wenn eine Ablehnung erfolgt.“ Halten die Stiftungen an dem Antrag fest, erfolge im Juli 2016 die Entscheidung. Niemand verbiete es der Stadt, weitere Begründungen vorzulegen, um die Unesco zu überzeugen. „Wer will das vebrieten, dass man dem Entscheidungsgremium weitere Unterlage vorlegt.“ Die Ablehnungsgründe seien „hanebüchen.“ Es verbiete sein Stolz, den Antrag abzubrechen.
„Ich kann die Emotionen sehr gut verstehen“, meinte Johannes Krause (SPD). „Sie sind im Grunde ein bißchen eingeschnappt, weil die uns nicht gefolgt sind“, erklärte er. Das Thema solle liebe in Ruhe, mit Abstand und ohne Emotionen diskutiert werden. Man solle noch einmal auf das Verfahren gucken und in Ruhe überlegen, welche Möglichkeit die größtmöglichen Chancen bietet. Ziehe man den Antrag zurück, entstehe kein Schaden. Überlegen solle man zudem, „wie man Lobbyarbeit macht.“ Deshalb plädiere er dafür, den Antrag erst einmal zurückzunehmen.
„Stolz ist eigentlich nichts anderes als ein Gefühl der Selbstachtung“, meinte Tom Wolter. Was Wiegand beschreibe sei dagegen Sturheit. Es sei ungewiss, ob man gewinne, sage aber: „Mist, ich mach das trotzdem.“Gerade wenn man stolz wäre würde man cool sein und vielleicht 25 oder 40 Jahre warten. „Ich würde Sie bitten, ein wenig gelassener drauf zu gucken“, so Wolter. „Verletzter Stolz, das passiert, wenn man aus Sturheit etwas aufs Spiel setzt. Und das ist das, was hier passiert.“ Man sollte über die eigenen Amtszeiten hinaus denken.
Wiegand wies Emotionen und Sturheit zurück. „Ich habe versucht, ihnen die Rechtsgrundlagen und meine Meinung darzulegen.“ Das sei ihm als gewähltes Stadtoberhaupt erlaubt.
Inés Brock nannte die aktuelle Stunde zwar eine gute Entscheidung. Doch sie habe Sorgen, dass die Debatte nicht unbedingt zuträglich war. Es sei sinnvoller, Weise zu entscheiden. „Und diese Weisheit habe ich nicht, sondern hoffentlich das Kuratorium.“
Bodo Meerheim (Linke) machte klar, „dass wir nicht allein in der Welt sind.“ Europa, Deutschland und Sachsen-Anhalt hätten vergleichsmäßig viele Unesco-Welterbestätten. Vor diesem Hintergrund sei die Entscheidung, zurückzuziehen, besser. „Es kann auch manchmal falschen Stolz geben. Und das kann zu falschen Entscheidungen führen.“
„Man muss bei so einem Verfahren beachten, dass es ein diplomatischer Prozess ist“, machte Denis Häder 8MitBürger) deutlich. Deshalb sei es schwierig, nach Statuten und rechtlichen Dingen zu beurteilen. „Wir alle hier wissen, welche Bedeutung die Franckeschen Stiftungen haben.“ Er apellierte an eine diplomatisch Weise Entscheidung unabhängig von rechtlichen Dingen.
Müller-Bahlke nannte die Debatte einen „Akt der Solidarität“. Das Wohl und Wehe der Stadt hänge nicht vom Titel ab, sondern von der Qualität der Arbeit in den Stiftungen. Er glaube, dass allein durch den Bewerbungsprozess Stiftungen und Stadt enger zusammengerückt seien.
Wiegand zitiert noch einmal aus dem Stadtratsantrag zum Bewerbungsprozess und äußert Unverständnis über den von Stadträten favorisierten Rückzug. „Den Schwanz einziehen, das halte ich nicht für den richtigen Weg“, erklärte er zum Abschluss.

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