Was für spannende Zeiten!

12. März 2019 | Umwelt + Verkehr | 13 Kommentare

Schüler gehen zu Demos statt in die Klassenzimmer, skandieren “wer nicht hüpft, der ist für Kohle!”, und die halbe Republik rastet aus.

Ein Teenager-Mädchen setzt sich jeden Freitag mit einem einfachen Pappschild vor das Parlament in Stockholm und fordert, auf die Wissenschaftler zu hören, die Klimakrise als Krise zu behandeln und den Ausstoß von Treibhausgasen schnell und stark zu stoppen. Diese Forderung ist alles andere als neu. Sie ist seit Jahrzehnten gut begründet und alternativlos. Die Reduktionen der Treibhausgase schon ewig international vereinbart und bestätigt. Jahrelang ging für die Politik alles gut, wenn sie Lippenbekenntnisse und kleine Schritte Richtung Erneuerbare Energien ging, gleichzeitig aber alle Emissions-Desaster ansteigen ließ oder vervielfachte (Seit 1990: LKW-Verkehr von 169 auf 491 Millionen Tonnenkilometer, Flüge verdoppelt). Die Zuständigen hatten ihre besten Jahre hinter sich, nach mir die Sintflut. Das Steak in der Hand liegt eben näher als der Himmel (oder die Atmosphäre). Dürre, Ernteausfälle – egal, Lebensmittel kauft man einfach woanders.

Halle

Und dann ein Schulstreik. Jugendliche, die behaupten, dass man ihnen ihre Welt stiehlt. Das blöde ist: sie haben Recht, Argumente dagegen gibt es nicht. Die Vorwürfe, die Forderungen, die Parolen stimmen. Diese Jugendlichen betteln nicht, sie verhandeln nicht, sie stellen sich einfach hin und teilen mit: “Wir Werden Euch Stoppen. Jetzt!”.

Was tun? Der Versuch, das individuelle Fliegen einer Protagonistin zu verfluchen, verschafft nur wenig Zeit. Die große Entrüstung über Ausfallstunden kann man auch nicht übertreiben – angesichts des eigenen Trümmerhaufens der Bildungspolitik. Man sieht einen Haufen ratloser Spitzenpolitiker orientierungslos rumrennen. Ein Ministerpräsident sieht aus, als würde er gleich ganz irritiert “aber ich liebe euch! Ich liebe euch doch alle!” rufen oder die kasernierte Volksarmee auf die Hambacher Bäume jagen. Ein Liberaler stellt sich wenigstens mutig dem Kampf und geht in einem gnadenlosen Shitstorm unter. Merkel und Svenja Schulze betonen in zuckersüß klebrigem Paternalismus, dass das Engagement von Jugendlichen so was wichtiges ist und wie toll sie das finden.

Keiner begreift, was den Jugendlichen längst klar ist: diese Krise kann man nicht aussitzen. Denn wir sitzen nicht, wir rasen. Mit jeder Sekunde, mit jedem Tick – Tack, werden allein in Deutschland weitere 25 Tonnen CO2 ausgepustet. Verbrennung von Kohle und Öl, Benzin, Diesel, Kerosin, Erdgas. Tick, tack. Schon wieder über 100 Tonnen, seit dieser Absatz begann, circa 2500 Tonnen CO2 seit Anfang des Textes. Dazu noch Methan, Lachgas, und all die anderen Treibhausgase.

Magdeburg

Dagegen kann nichts helfen. Keine Attacken aufs Schwänzen. Kein Drohen mit Verweisen. Kein Herabsetzen der “Kinder”. Manche der Lehrer müssen ernste Miene machen, obwohl sie selbst wissen, dass man die Politik nicht anders zum Handeln bewegen kann, dass der Wahnsinn eben nicht zu stoppen ist, indem man weitere 20 Jahre abwartet, lernt, forscht, diskutiert und argumentiert. Tick. Tack.

Die Krise kann man nur lösen, wenn man sie als Krise akzeptiert. “Our house is on fire”. Die Zeiten von schier unbegrenzter kostenloser Energie aus dem Erdboden sind vorbei, die Kosten sind da und sind hoch. An dem darüber aufgenommenen Kredit an zu viel CO2 in der Atmosphäre werden wir und werden die Jugendlichen noch lange abzahlen. Selbst wenn ihr es schafft, den Schülerstreik zu ersticken: Die Klimakrise bleibt.

Besser ist, sie gleich anzupacken. Endlich loszulegen mit Energiewende, Verkehrswende, besserer Landwirtschaft, weniger Verschwendung auf allen Ebenen. Zu viele Lebensmittel werden weggeworfen, zu viele Geräte sind kurzlebig, viel zu viel Plastikmüll wird verursacht. Zu große, dicke, schwere Autos verbrauchen viel zu viel Sprit. Lindner meint, man müsse das den Profis überlassen. Die Profis haben seit langem eine klare Meinung dazu: reduziert den Ausstoß der Treibhausgase. Das geht aber nicht, wenn es nur individuell im Kleinen angegangen wird.

Keiner von uns hat ein Kohlekraftwerk im Hinterhof, das er schließen kann, keiner verlegt mal eben Bahnlinien oder Autobahnkreuze. Deshalb ist es sehr wichtig, dass zum großen internationalen Klimastreik nicht nur die “Kinder” kommen, nicht nur die Jugendlichen. Am 15.3. sind weltweit in knapp 100 Ländern Klimastreiks angesetzt, alle Generationen sind eingeladen.

Die Forderung ist an die Politik gerichtet und klar und einfach: legt jetzt los, ehe es zu spät ist! Es sind aufregende Zeiten, und wir können dabei sein. Auch wenn man in Halle nicht die ganze spektakuläre Tragweite direkt spürt. Die 5000 Tonnen CO2 seit dem Anfang dieses Textes haben Sie auch nicht direkt gespürt. Tick. Tack.

Wir sehen uns am 15.3., 12:00 Uhr, am Riebeckplatz.

Halle/Saale, 12.03.2019
Marco Gergele

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