Hört endlich auf zu Meckern

29. März 2020 | Soziales | Ein Kommentar

Es ist momentan ja ziemlich en vogue über das unvorsichtige Verhalten anderer zu meckern, allen voran über das Jugendlicher. Nachrichten über Jugendliche, die sich trotz Verboten treffen, erreichen hohe Reichweiten und Klickzahlen. Schnell besteht Einigkeit darüber, dass das gar nicht geht und unverantwortlich ist: #staythefuckhome.

Und ja, es ist riskant. Definitiv. Das kollektive Verurteilen ist es aber auch. Solidarität ist nämlich keine Einbahnstraße. Und die Gruppen, die von den Verboten wahrscheinlich am heftigsten eingeschränkt werden, sind Alleinerziehende und Jugendliche. Ich weiß nicht wie Sie die Sache einschätzen, aber hätte mein 17-jähriges Ich den Vorschlag unterbreitet bekommen von heute auf morgen für mindestens 6 Wochen zu Hause zu bleiben und mit meinen Eltern Backgammon zu spielen, wäre ich wohl wenig begeistert gewesen.

Maßnahmen wie die Schulschließungen bedeuten im konkreten Alltag nämlich die Freunde nicht mehr regelmäßig zu sehen, kein garantierter Abstand von Eltern und Geschwistern, keine Zeit in der teenie mal unbeobachtet ist. In der Phase des Lebens, in der der Wunsch nach Autonomie und Selbstbestimmtheit den Ton angeben, wird das volle Kontrastprogramm gefordert: Bleib zu Hause, triff dich mit so wenig Menschen wie möglich, halte Abstand zu allen nicht-Haushaltsmitgliedern. Am witzigsten sind die Forderungen, dass Jugendliche am Computer spielen sollen, im nächsten Jahr sind dieselben Jugendlichen dann wieder angehende Massenmörder und Psychopathen. Jetzt sollen sie am Handy daddeln, früher führte das zu ‚Handydaumen‘. Wie teenie es macht …

Hausaufgaben und Lernpensum bleiben selbstverständlich erhalten, auch wenn noch in den Sternen steht wie das Schuljahr weitergeht, während so verlockende Ideen wie ‚Sommerferien ausfallen lassen‘ durch die Medien geistern. Und auch wenn es manchen anders scheint, die allgemeine Verunsicherung bemerken auch Menschen unter 20. Geht es Oma und Opa gut? Für Zukunftsängste gilt keine Altersbeschränkung.  Behalten meine Eltern ihre Jobs oder finden sie neue? Kommt auf uns ein wirtschaftlicher Abschwung mit hoher Arbeitslosigkeit zu? Auch die träfe, nebenbei erwähnt, junge Menschen am härtesten.

Anstatt also kollektiv rumzumeckern, dass sich soundsoviele Jugendliche NICHT so verhalten, wie es der Situation angemessen und wünschenswert wäre, schlage ich vor, sich bei allen anderen zu bedanken. Danke, dass ihr mitmacht. Danke, dass ihr euch einschränkt, um andere zu schützen. Das ist nicht nur verhaltenspsychologisch erfolgsversprechender, weil es die Wahrscheinlichkeit erhöht, dass sie auch in Zukunft die Einschränkungen befolgen werden. Es ist auch angebracht. Es ist angebracht, weil es anerkennt, dass die Einschnitte nicht jede*n gleichermaßen betreffen. Weil es das geforderte Einfühlungsvermögen in die Situation anderer zurückgibt. Weil es echte Solidarität beweist und nicht nur lautstarkes Geschrei danach, solange die persönlichen Konsequenzen überschaubar bleiben.

In diesem Sinne: Danke.

Print Friendly, PDF & Email
Ein Kommentar

Kommentar schreiben