Schon gewusst? Rausch vom Acker

14. November 2021 | Bildung und Wissenschaft, Kultur, Nachrichten | 5 Kommentare

Gambrinus

Überreife, zuckerhaltige, gärende Früchte schmecken gut. Unsere Urahnen stopften sich damit gern den Bauch voll. Im Magen gärte der Fruchtbrei ordentlich weiter. Dabei entstand Ethylalkohol, der ins Blut gelangte. Er ist eigentlich ein Nerven- und Stoffwechselgift. Im Gehirn lähmt er die Informationsübertragung zwischen den Nervenzellen. Die Funktionsfähigkeit der Sinne ist eingeschränkt. Euphorie wird durch ein Endorphinfeuerwerk im Gehirn ausgelöst: Man ist berauscht. 

 Der Mensch hatte bald am Rausch Gefallen gefunden. Aber eigentlich müssten wir strikte Antialkoholiker sein. Denn das Überleben besoffener Homo sapiens war weitaus weniger wahrscheinlich. Im Rauschzustand dürften unsere jagenden und sammelnden Vorfahren leichte Opfer von Raubtieren, Unfällen oder Attacken von Artgenossen gewesen sein. Die Evolution müsste deshalb dafür gesorgt haben, dass es nur noch vorwiegend alkoholmeidende Hominiden gibt. Dem ist aber nicht so. Stattdessen nutzte der Mensch den Alkohol, um sich Mut anzutrinken, Reserven in Muskulatur und Hirn zu mobilisieren, sich mit Mythen und mystischen Mächten auseinanderzusetzen oder die Probleme des Alltags zu verdrängen. Schon früh setzte der Mensch alles daran, nicht nur ein Zufallstrinker zu sein, sondern den Alkoholrausch nach Belieben herbeizuführen. Ein Nomadenleben bot ihm dafür wenig Gelegenheit. Als sesshafter Bauer war es ihm aber möglich, alkoholische, berauschende Getränke nach Belieben aus Getreide herzustellen. Vor gut 10.000 Jahren begann die Ethanol-beeinflusste neolithische Revolution: der Mensch rodete Wälder, errichtete Häuser, legte Felder an und baute Getreide sowie Wein an. Alkohol wurde fester Bestandteil des Alltags in den frühen antiken Hochkulturen. Davon zeugen viele Darstellungen und Gebrauchsgegenstände der  Babylonier, der Ägypter, Griechen und Römer. Viele Wissenschaftler sind davon überzeugt, dass das Verlangen nach alkoholischen Drinks das Sesshaftwerden und die kulturelle Entwicklung gefördert haben. 

Alter Bierkrug

An den gelegentlichen Genuss gärender Früchte gewöhnte sich unsere Leber schon als unsere Vorfahren noch  Nomaden waren. Sie kann Ethanol in bescheidenem Umfang mäßig schnell abbauen. Am Abbau sind in der Leber zwei Enzyme beteiligt. Zuerst baut die Alkohol-Dehydrogenase Alkohol in Acetaldehyd um. Acetaldehyd ist allerdings eine sehr schädliche Substanz. Sie kann in Leberzellen  die Ausbildung einer Leberzirrhose begünstigen, schädigt Zellmembranen, kann Erbgut verändern und krebserregend wirken. Daher gibt es in der Leber ein zweites Enzym, die Acetaldehyd-Dehydrogenase. Dieses Enzym wandelt sehr schnell das Acetaldehyd in Essigsäure um. Essigsäure ist ein normales Stoffwechselzwischenprodukt. Sie kann direkt zur Energiegewinnung oder aber zum Aufbau von Fetten weiter verwendet werden. Hohe Blutalkoholgehalte bei chronischem Alkoholkonsum überfordern allerdings diese Abbaukaskade. Dann wird ein weiteres, schnelleres Enzymsystem aktiviert. Dabei entstehen aber reaktionsfreudige Moleküle, die langfristig Zellstrukturen nachhaltig schädigen. Unsere Leber baut ca. 0,1 bis 1,5 Promille Alkohol pro Stunde ab. Da bleibt der Blutalkoholgehalt ausreichend lange hoch zum Berauschen. Viele Asiaten haben Probleme mit dem Alkoholgenuss. Ihr Gesicht läuft rot an und ihnen wird schnell schlecht. Ursache ist eine genetische Veränderung des Acetaldehyd-Dehydrogenase-Enzyms. Zwar erfolgt bei ihnen der Abbau von Ethanol zu Acetaldehyd mit normaler Geschwindigkeit, der weitere Abbau zu Essigsäure verläuft aber extrem langsam. Acetaldehyd wird dadurch angereichert. In einigen Bevölkerungsgruppen kann das Problem noch schlimmer werden, wenn zusätzlich ihre Alkohol-Dehydrogenase – ebenfalls aufgrund einer genetischen Veränderung – schneller als normal arbeitet. Die Trinkfestigkeit osteuropäischer Bevölkerungsgruppen beruht auf gegenteiligen Veränderungen der beteiligten Enzyme, sodass sie Alkohol und Acetaldehyd effizienter abbauen. 

Destille (aus Buch der Erfindungen 1896)

Bier und Wein enthielten gewöhnlich nicht sehr viel Alkohol, sodass man größere Mengen davon trinken konnte, ohne vom Stuhl zu fallen. Das Dünnbier war oft gesünder als Wasser. Wie man hochprozentige Alkoholika herstellt, lernten unsere Altvorderen erst im frühen Mittelalter nachdem Alchemisten die Destillation entwickelt und optimiert hatten. Zunächst verwendete man das Destillat nur äußerlich, aber es dauerte nicht lange bis man zur inneren Anwendung überging. Der Missbrauch als billige Droge  wurde wurde alsbald zum Problem. Er förderte die „Sesshaftigkeit“ straffällig gewordener Menschen. Durch Besteuerung, gesetzliche Regelungen und Mengenbeschränkungen versuchte der Staat die Schnapsproduktion zu steuern. Das nützte aber wenig. Alkohol ist die am meisten verbreitete Droge. „Drink doch eene mit …“ heißt es verharmlosend in einem Karnevalsschlager. Seine enthemmende und stimmungssteigernde Wirkung ist allgemein akzeptiert. Aber Missbrauch von Alkohol resultiert oft in Sucht und gehört zu den großen Problemen unserer Gesellschaft. Der Übergang zur Abhängigkeit ist oft fließend und für den Einzelnen nicht erkennbar. Unterschätzt wird auch oft die gefährliche Kombination von Alkohol mit Drogen. Was wird die Menschheit schneller dahinraffen: Ethanol oder Kohlendioxid?

(H.J. Ferenz)

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