Lektüre gegen (oder für) die Einsamkeit
9. April 2020 | Rezensionen | 7 KommentareHeute flatterte ein Rezensionsexemplar ins Haus: „Henry D. Thoreau – Walden“. Der Autor war mir nicht unbekannt, den Namen hatte ich schon gehört … mehr aber auch nicht. Also schlug ich das Buch neugierig an irgendeiner Stelle auf und vertiefte mich zugleich:
Ich für mein Teil finde es zuträglich, die meiste Zeit allein zu sein. Gesellschaft, selbst die der Besten, finde ich jeweils bald lästig und unersprießlich. Ich liebe es, allein zu sein. Noch nie habe ich einen besseren Gefährten gefunden als die Einsamkeit. Wenn wir unter die Leute gehen, sind wir meistens viel einsamer, als wenn wir zu Hause bleiben. Wer denkt oder arbeitet, ist immer allein, ganz gleich wo er sich aufhält. Einsamkeit bemisst sich nicht nach dem Abstand zwischen uns und den andern. Der in seine Arbeit vertiefte Student im überfüllten Lesesaal ist so einsam wie ein Derwisch in der Wüste. Der Bauer kann den ganzen Tag hindurch allein auf dem Feld oder im Wald arbeiten, ohne sich einsam zu fühlen, weil er eben zu tun hat; macht er aber Feierabend, dann kann er nicht allein zu Hause sitzen, seinen Gedanken ausgeliefert; er muss unter Leuten sein und sich, wie er meint, für die Einsamkeit tagsüber schadlos halten; infolgedessen wundert er sich, wie der Student die ganze Nacht und zum Teil auch tagsüber allein auf seiner Bude sitzen kann, ohne trübsinnig zu werden; er macht sich nicht klar, dass der Student sein eigenes Feld beackert, Holz in seinem Wald hackt, so wie der Bauer auf dem seinen, und nachher wie dieser sich in Gesellschaft zu entspannen sucht.
Und zwei Seiten weiter:
Ich habe viel Gesellschaft im Haus, namentlich am Morgen, wenn mich niemand besucht. Hier nur ein paar Vergleiche; vielleicht ersieht man daraus, wie ich meine Lage auffasse. Ich bin nicht einsamer als der Eistaucher auf dem See oder als der Walden-See selbst. Mit wem verkehrt denn dieser einsame See, bitte sehr? Und doch ist er nicht trüb; er lächelt ja. Die Sonne ist allein, außer bei diesiger Luft; da scheinen manchmal zwei da zu sein, aber eine davon ist nur eine Spiegelung. Gott ist allein – aber was den Teufel betrifft, der ist alles andere als allein; er ist immer unter Leuten, ihn gibt es in tausendfacher Ausfertigung. Ich bin ebenso wenig allein wie die Königskerze oder der Löwenzahn auf der Wiese, oder ein Bohnenblatt, oder der Sauerampfer, die Schmeißfliege, die Hummel. Ich bin ebenso wenig einsam wie der Mühlbach, der Wetterhahn, der Nordstern, der Südwind, ein Regenschauer im April, das Tauwetter im Januar, ebenso wenig einsam wie die erste Spinne in einem neuen Haus.
Der Klappentext verrät: „Vor über hundertfünfzig Jahren kehrte der amerikanische Schriftsteller Henry David Thoreau (1817-1862) der Zivilisation den Rücken und zog hinaus in die Stille der Wälder. Am Walden-See in Concord, Massachusetts, verbrachte er zwei Jahre in einer selbst gebauten Holzhütte, um „zu sehen, ob ich nicht lernen könne, was es zu lernen gibt, damit mir in der Stunde des Todes die Entdeckung erspart bleibe, nicht gelebt zu haben“, Sein grandioser Selbsterfahrungsbericht legt Zeugnis von dieser Sinnsuche ab; mit sensiblen, poetischen Naturbeschreibungen und der gelebten Utopie eines freien, ungebundenen Daseins. Längst ist dieses Buch zu einer Art „grüner Bibel“ geworden, die Antworten auf all die brennenden Fragen gibt, die unsere Welt heute mehr denn je bewegen.“
Hermann Hesse urteilte über „Walden“: „Die amerikanische Literatur, so kühn und großartig sie ist, hat kein schöneres und tieferes Buch aufzuweisen.“
„Henry D. Thoreau – Walden“, Manesse Verlag München 2020, 600 Seiten, 25,00 EUR, ISBN: ISBN: 978-3-7175-2508-0 (Erscheint am 13. April 2020)
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Momentan lese ich „Gelassenheit“ von Wilhelm Schmid, d.h. ich k ö n n t e lesen, aber ich schlafe ja schon, wenn ich auf dem Bettrand sitze. Vielleicht nenne ich dir meine bevorzugten Autoren: Thomas Mann,, Erwin Strittmatter, Günter Grass. Bei mir ist das Schlimme, dass ich mich von Büchern so schwer trennen kann…..
Liebe Elfriede, da hast du Recht. Ich habe drei Bücherkreise, in welche ich meine gekauften Bücher gebe. Von diesen Kreisen profitiere ich natürlich auch. Wenn nicht mindestens 3 Bücher auf meinem Nachtisch als Reserve liegen, bekomme ich ein schlechtes Gefühl. Wenn doch mal ein Buch zurück kommt, lege ich es in ein Büchertauschtegal. Was liest du so?
Danke, liebe Mitstreiter, Freunde oder was soll ich sonst zu euch sagen? ( Eigentlich sollte ich wahrheitsgenäß eine Missbilligung aussprechen , ihr beeinflusst negativ die Einhaltung meines (ständig gebrochenen) Schwurs, keine Bücher mehr zu kaufen.
Was soll man mit so vielen Büchern, wenn man eins hat, ist es doch eigentlich genug, alle anderen drängen doch den Vergleich von Hamsterei auf….und so etwas sollten wir doch gegenwärtig besonders vermeiden.
🙂
Das kann sie auf Karambas Seite. Da sind lauter kleine Buchläden. Wenn man nicht hinkommt, bekommt man auch geliefert.
Liebe Elfriede, in Sachsen-Anhalt haben die Buchläden geöffnet (natürlich erst morgen wieder). Du kannst also gerne auch einen kleinen Buchladen Deiner Wahl unterstützen.
Liebe Elfriede, guck mal auf K. Diabys Seite. Da findest du links zu Buchläden, die dir Bücher liefern.
Hoffentlich öffnen die Buchläden bald wieder. Das Thema betrifft mich sehr.Von der jetzt oft genannten „sozialen Isolation durch das Virus“ fühle ich mich nicht betroffen, „genieße“ sie aber schon 3 Jahrzehnte,