Halle im Jahre 1840

22. September 2017 | Rezensionen | Keine Kommentare

„Wer Halle vor dreißig Jahren zuletzt gesehen, würde es heute nicht wieder erkennen“ – nein, das ist kein aktuelles, wenn auch zutreffendes Zitat, die Feststellung machte ein gewisser Hermann Jordan im Jahre 1866. Jordan, (nach meinen Recherchen) am damaligen Oberlandesgericht tätig, unternahm vor 150 Jahren gewissermaßen einen historischen Rundgang durch die Saalestadt. Dabei blickte er immer wieder auf das Jahr 1840 zurück. Seine Aufzeichnungen „Halle vor einem Menschenalter“ erschienen 1866 im Verlag der Buchhandlungen des Waisenhauses und liegen nun als Reprint-Ausgabe im Verlag Rockstuhl vor.

Seinen Spaziergang begann Jordan am Marktplatz mit seinen fünf Türmen. Im Waagegebäude waren dumpfige Hörsäle und eine niedrige Aula untergebracht. Die „academische Jugend“ füllte die Pausen zwischen den Collegien beim „alten Scharre“ mit einem Glas Bier aus. In der Stadt herrschte eine „quetschende Enge“, ein wüstes Gewirr von Giebeln und Dächern – ein „phantasieloser Baustyl“. Die Häuser trugen einen schmutzigen Teint zur Schau.

Halle war von seinen Vorstädten noch durch eine Stadtmauer, durch Gräben und Wälle getrennt. Die gepflasterten Straßen endeten mit den Stadttoren. Vor dem Galgtor (heute Riebeckplatz) suhlte sich das Borstenvieh der vorüberziehenden Schweinetreiber in Wassertümpeln. Jordan berichtet aber auch von den zwischenzeitlichen Veränderungen in der Stadt – so war mit der Errichtung der Promenade zwischen Ulrichs- und Steintor (heute Universitätsring) eine grüne Lunge in der ungesunden Enge geschaffen worden. Ansonsten mussten die Hallenser mit Kohlestaub oder dem „Duft der Schweinzüchter“ vorliebnehmen. Mit Handel und Wandel sah es in der Stadt ebenfalls dürftig aus, elegante Läden suchte man vergebens.

Über die Hallenser selbst wusste Jordan ebenfalls viel zu erzählen – meist nicht viel Positives. So waren manch entlegene Stadtteile Brutstätten von Spitzbuben und Spießgesellen. Ein öffentliches Leben im modernen Sinne existierte noch nicht. Lob fand er allerdings für das musikalische Leben der Stadt. Abgeschlossen werden die „patriotischen Reminiscenzen“ (so der Untertitel) durch einen Besuch der Ausflugsgaststätten, zu denen die Hallenser an Sonn- und Feiertagen mit Weib und Kindern pilgerten. Hier und in den Wirtschaften der Stadt traf Jordan auf viele hallesche Originale (Kohlen-Louis, Kaffeeschuster, Steuerlotte oder den „schönen Wilhelm“), die aber schon damals immer seltener wurden.

„Noch mancherlei könnte Jordan von dem alten Halle erzählen, … man würde es ihm aber nicht glauben.“ Doch, wir glauben es ihm und sind dankbar (auch dem Rockstuhl Verlag) für die unterhaltsame und erfrischende Lektüre, auch wenn Halle und die Hallenser darin so manches Fett abbekommen. Es sei dahingestellt, ob der heutige Leser, der Vergleiche mit dem Halle vor „einem Menschenalter“ zieht, ein Schelm oder ein Realist ist.

Hermann Jordan: „Halle vor einem Menschenalter“, Verlag Rockstuhl Bad Langensalza 2017, Reprint-Ausgabe, 9,95 €, 55 S., ISBN 978-3-95966-262-8

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