DENK ICH AN DEUTSCHLAND

24. November 2019 | Kultur, Rezensionen | Ein Kommentar

Die Inszenierung beginnt auf dem Uniplatz. Die Schauspieler auf Spurensuche – Bücherverbrennung 1933, auch Heinrich Heine wird genannt, als besonders schlimmes Beispiel der kulturellen Entartung. Für die Halleschen Studenten ist die Bücherverbrennung ein Fest der Reinigung. Auf die LORELEI mochten die Faschisten dennoch nicht verzichten und behaupteten deshalb: Dichter unbekannt.
Weiter geht es im Großen Saal des neuen theaters. Eine weiße Ziegelwand mit Klappe und der Leuchtschrift „Schuld“, ein altes Auto, ein Podest für Martin Reik am Keybord, ein Goldvorhang, hinter dem eine deutsche Eiche zum Vorschein kommt (Bühne: Flurin Borg Madsen).
Was dann folgt ist ein rasanter musikalisch-literarischer Reigen mit Texten von Heine, politischen Zitaten bis in die Gegenwart unter dem Motto DENK ICH AN DEUTSCHLAND. Das wird gespielt, gesungen, gebrüllt, gehopst, gewimmert, gesprochen. Texte von Heine in die spielerische Gegenwart geholt. Immer wenn die Sprache Heines die Hauptrolle spielt, kann man sie verstehen und sich erfreuen an den Gedanken dieses außergewöhnlichen Poeten, der in seiner Zeit Dinge beschreibt, die uns heute genauso umtreiben. Hin und wieder irritiert das Spiel. So, wenn Heines Rückkehr nach Deutschland im WINTERMÄRCHEN benutzt wird, um eine völlig andere Situation im Herbst 1989 zu spielen: Die Schauspieler sitzen im Auto, rezitieren Heine und fahren gen Westen, nicht ohne von einem DDR-Grenzer kontrolliert zu werden.
Oder wenn eine revolutionäre Selbsthilfegruppe sich gegenseitig Texte vorliest, selbstverständlich unter Beobachtung der Stasi. Und dann folgt eben die STASIBALLADE von Wolf Biermann, übrigens nicht das einzige Lied von jenem egomanen Barden, vor dem der Schauspieler Eberhard Esche seine Frau warnte: „Versteck die Gitarre, sonst spielt der die ganze Nacht.“
Musikalisch führt Martin Reik die Schauspieler durch den Abend, professionell und einfühlsam. Der präsentiert auch die ihm zugeteilten Texte mit schöner Verständlichkeit. Dabei sind noch: Harald Horvath, Alexander Pensel, Andreas Range, Bettina Schneider und Nicoline Schubert, die ihren „Rollen“ ein Profil erspielen.
Der Abend bietet kein einfaches Heine-Programm (Im Programmheft steht: Nach Heine). Die künstlerische Leitung (Matthias Brenner und Henriette Hörnigk) setzt auf Assoziationen, auf gedankliche Kombinationen, die oft überraschen, aber nicht immer überzeugen. Und es ist ein melancholischer Abend, durch den sich ein trauriger Faden zieht, der angesichts deutscher Verhältnisse von damals bis heute kaum verwundern kann.
Deshalb hier am Schluss ein kleines Gedicht des heiteren, lebenshungrigen Heinrich Heine.

Doktrin

Schlage die Trommel und fürchte dich nicht,
Und küsse die Marketenderin!
Das ist die ganze Wissenschaft,
Das ist der Bücher tiefster Sinn.

Trommle die Leute aus dem Schlaf,
Trommle Reveille mit Jugendkraft,
Marschiere trommelnd immer voran,
Das ist die ganze Wissenschaft.

Das ist die Hegelsche Philosophie,
Das ist der Bücher tiefster Sinn!
Ich hab sie begriffen, weil ich gescheit,
Und weil ich ein guter Tambour bin.

Die nächsten Vorstellungen
Freitag, 13. Dezember 2019, 19.30 Uhr, nt – Saal
Samstag, 21. Dezember 2019, 19.30 Uhr, nt – Saal
Sonntag, 22. Dezember 2019, 19.30 Uhr, nt – Saal
Freitag, 17. Januar 2020, 19.30 Uhr, nt – Saal
Samstag, 18. Januar 2020, 19.30 Uhr, nt – Saal
Sonntag, 02. Februar 2020, 15 Uhr, nt – Saal
Donnerstag, 05. März 2020, 19.30 Uhr, nt – Saal

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