„Das stählerne Herz von Halle“ – 4. Band

7. April 2017 | Rezensionen | Keine Kommentare

Der ehemalige Waggonbau Ammendorf gehörte zu den wichtigsten Betrieben in der Saalestadt. 1823 als Firma Gottfried Lindner gegründet, kann die Fabrik für Transportmittel des Güter- und Personenverkehrs auf eine fast 200jährige wechselvolle Geschichte zurückblicken. Der Kunsthistoriker Sven Frotscher verfolgt in seinem mehrbändigen Werk „Das stählerne Herz von Halle“ die Geschichte eines der größten Industriebetriebe Mitteldeutschlands.

Nach den ersten drei Bänden seiner Firmenchronik, die die große Zeitspanne von 1823 bis 1961 beschrieben, widmet sich der vierte Band nun dem kurzen Zeitraum von 1962 bis 1968, wobei die einzelnen Jahren durch eine kurze Einführung eingeleitet werden. Es waren schwierige Jahre für den Waggonbau Ammendorf, gekennzeichnet vom Spannungsfeld Mauerbau und Walter Ulbricht. Die Grenzschließung ermöglichte es der SED, ohne Rücksicht auf mögliche Fluktations-Risiken ökonomische Experimente durchzuführen. Man konzentrierte sich dabei auf Export, Gewinn und Durchschnittslohn. Die Nachfrage nach Klimawagen stieg – doch wie diese herstellen ohne die ausreichenden Investitionen? Darüber hinaus kam es zu Disproportionen im RGW-Wirtschaftsraum. 1964 konnten dann die ersten Früchte der Experimente geerntet werden und die Perspektive für den Waggonbau Ammendorf wurden klarer. Trotzdem wurde zu wenig in den Westen exportiert und das Sortiment nicht erfüllt. Dazu kam es zu häufigen Werkleiterwechseln und zu Diskussionen um die Struktur der Volkswirtschaft.

Der Autor konnte auf eine Fülle von schriftlichen Quellen zurückgreifen, die hier erstmals zusammengefasst und aufgearbeitet wurden – vor allem die Werkleiterprotokolle waren eine mannigfaltige Informationsquelle. Auszüge daraus bildeten in den letzten beiden Bänden den Großteil der Texte. Das war für Außenstehende manchmal etwas eintönig. Nun hat sich Frotscher zu einer Straffung entschlossen und zum besseren Verständnis verstärkt Strukturpläne des Werkes aufgenommen. Außerdem sorgen Nachträge, Zeitzeugeninterviews, Auszüge aus der ehemaligen Betriebszeitung „Bahn frei“ sowie Themenseiten für eine willkommene Abwechslung der Firmenchronik. So ist ein Kapitel der Schriftstellerin Christa Wolf gewidmet, die 1961 im Werk ein Praktikum absolvierte und dort einen „Zirkel schreibender Arbeiter“ leitete. Diese „Waggonbau“-Zeit gab ihr auch Anregungen für ihren ersten Roman „Der geteilte Himmel“ (1963). Immerhin bis zwei Jahre vor ihrem Tod (2011) hielt Wolf den Kontakt zu Ammendorf aufrecht.

Auf den knapp 200 Seiten fügt Frotscher das umfängliche Bild- und Datenmaterial mit kurzen Erklärungen zu einem lückenlosen Puzzle zusammen. Eine Fortsetzung der Waggonbau-Firmengeschichte ist bereits angekündigt. Die informationsreiche und umfänglich illustrierte Dokumentation zur Industriegeschichte Mitteldeutschlands wird also fortgesetzt, dargestellt am Wandel des „stählernen Herzens von Halle“.

Sven Frotscher: „Das stählerne Herz von Halle – Lindner/Waggonbau Ammendorf/MSG – Band 4: 1962-1968“, Mitteldeutscher Verlag Halle 2017, 19,95 €, 195 S., ISBN 978-3-95462-751-6

 

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