Bernd Stegemann im Literaturhaus

18. September 2019 | Kultur, Rezensionen | 2 Kommentare

Bernd Buch & Bürger heißt eine Veranstaltungsreihe im Literaturhaus. In regelmäßigen Abständen lädt Bernd Wiegand Autoren von Büchern mit aktuellem Bezug zum Gespräch ein. Diesmal zu Gast: Bernd Stegemann, Dramaturg am Berliner Ensemble und gemeinsam mit Sahra Wagenknecht Mitbegründer der linken Sammelbewegung AUFSTEHEN. Sein jüngstes Buch: „Die Moralfalle: Für eine Befreiung linker Politik“. Er unterscheidet zwischen Moralität und Realismus. Wer moralisch argumentiert fühlt sich automatisch gut und hat einen gewissen Reinheitsanspruch, und sein Gegner ist dann ebenso automatisch schlecht. Das verstelle den realistischen Blick auf gesellschaftliche Vorgänge und Positionen. Politiker beschreiben eine andere Welt, als die Leute, die diese Welt in der Wirklichkeit erleben und erleiden – das führe zu Verwerfungen. Ein blinder Fleck der Politik sei die soziale Realität der Menschen.

Wiegand befragte den Autor natürlich nach seinen jüngsten Bemerkungen zum Auftritt Herbert Grönemeyers, die in den sozialen Medien für Aufregung gesorgt hatten. Stegemann sah es gelassen. Er wollte lediglich auf den Widerspruch zwischen Inhalt und Form hinweisen, also auf einen „gestischen Widerspruch“. Die Botschaft war freundlich, der Gestus agressiv.

Zur Sammlungsbewegung AUFSTEHEN meinte er, sie wäre zwar medial nicht mehr in Fokus, wächst aber trotzdem. Das Problem sei, daß die Parteigrenzen, die die Bewegung ja überwinden wollte, für 10-20% Dissenz sorgen. Und diese Differenzen dominieren die gemeinsame Arbeit. Außerdem könne Wagenknecht wunderbare und kluge Reden halten, aber eine Graswurzelbewegung organisieren könne sie nicht.

Auch zur Flüchtlingspolitik äußerte sich Stegemann. Das, was da 2015/16 herrschte, war ein Ausnahmezustand. Und was konkret passierte war nicht alternativlos schön, die Behörden waren überfordert. Nur wurde eben jede Kritik an konkreten Zuständen moralisierend in die rechte Ecke gestellt.

Der Gast ist ein dialektisch denkender Theatermann (ja, es gibt sie noch) und Theater hat nun mal mit der Welt zu tun. Er zitiert Brecht, der meinte, ein Bürger der fühlt lügt. Dahinter steckt nichts anderes, als das immer wieder moralisierte Gefühle demonstriert werden, um wirkliche (meist finanzielle) Interessen zu verschleiern.

Ein Bonmot am Rande zum Halleschen Theaterstreit um die TOOH. Welche Aufgabe hat eigentlich ein Intendant? Er entscheidet, aus welchem Fenster das Geld raus geschmissen wird. – Vorsicht Satire!

Es war ein angenehmer Abend, die anschließende Diskussion niveauvoll.

Wiegand hat sich mit einem klugen Autor über dessen Gedanken unterhalten und das Publikum einbezogen. Mehr nicht, aber auch nicht weniger.

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