Was wollen wir? Klimagerechtigkeit!

8. Juli 2020 | Politik, Umwelt + Verkehr | 13 Kommentare

Kurzfassung: Demo für Klimagerechtigkeit am 10.07.2020 um 14:00 Uhr, Hallmarkt.

Interview zwischen Max-Ferdinand Zeh, FFF Halle (FFF), und HalleSpektrum (HS)

HS: Guten Tag! Darf man denn zum Kohleausstiegsgesetz als Erfolg nach jahrelangem Kampf der Klimabewegungen gratulieren? 

FFF: Nein, leider gar nicht. Natürlich ist es notwendig, aus der Kohleverstromung auszusteigen, und auch sinnvoll, diese große Aufgabe und den Strukturwandel staatlich zu begleiten. Aber die vorliegende Umsetzung ist katastrophal, 2038 ist viel zu spät. Es werden Milliarden Euro Entschädigungen an Konzerne gezahlt für die Abschaltung einer Industrie, die dreckig ist und schon heute an der Grenze der Unwirtschaftlichkeit. In Kürze würde Kohlestrom ohnehin vom Markt verschwinden. Deshalb sprechen die Klimaschutzbewegungen von einem KohleEINstiegsgesetz.

HS: Ihr wirkt so ungeduldig. 2038, 2045, 2035 – kommt es auf die paar Jahre denn wirklich an?

FFF: In diesen Jahren entstehen ja weitere hunderte Megatonnen Emissionen an Treibhausgasen, viel zu viel für die Einhaltung des Paris-Abkommens. Kohleverstromung ist der Bereich, in dem Emissionen am leichtesten vermieden werden können, und ausgerechnet dieser Bereich wird künstlich am Laufen gehalten. Schon der Kohlekompromiss war ein Schlag ins Gesicht, und das jetzt beschlossene Gesetz ist noch deutlich schlechter. Ein neues Kohlekraftwerk ging ans Netz, Datteln 4, das niemand braucht. Aber dessen Abschaltung irgendwann auch entschädigt wird. 

HS: Und was wäre euer Gegenvorschlag? Habt ihr denn was realistisches?

FFF: Zu spätestens 2030 brauchen wir einen sozial ausgeglichenen, gerechten Ausstiegsplan, und die ersten Abschaltungen so früh wie möglich. Jede Megatonne zählt. Statt an die Konzerne soll das Geld für die Regionen und Menschen ausgegeben werden. In NRW dürfen die sieben Dörfer nicht abgebaggert werden, sondern müssen erhalten bleiben. Das neue Kraftwerk muss wieder vom Netz. 

HS: Datteln 4? Das wird doch aber nicht mit Braunkohle aus dem Tagebau betrieben, sondern mit sauberer Steinkohle? 

FFF: Diese Steinkohle wird importiert, das meiste aus Russland (42%) und Columbien (14%). Dort werden Menschen vertrieben, indigene Völker verlieren ihre Lebensgrundlage, die Folgen des Abbaus verursachen Krankheiten und Todesfälle. Aktivist*innen, die  dagegen protestieren, werden eingesperrt oder ermordet. Diese Steinkohle ist Blutkohle. 

HS: Aber wir brauchen doch Strom, was wäre denn die Alternative? Atomkraftwerke?

FFF: Die Erneuerbaren Energien und die Speicher müssen dringend ausgebaut werden. Momentan wird der Ausbau durch viele Regelungen ausgebremst. Neue Techniken müssen entwickelt und erforscht werden (zum Beispiel Ligninspeicher oder Natriumsalzbatterien), Wirkungsgrade erhöht, die Verbrennung fossiler Energieträger sehr schnell verringert werden. Lokal ist ja eine der Forderungen von FFF Halle seit kurzem umgesetzt, als Bürger:in von Halle kann man bei den Stadtwerken Geld anlegen für Investitionen in Solarparks (https://buergerbeteiligung.evh.de/). 

HS: Aber all das macht doch den Strom teurer. Geht das nicht vor allem auf Kosten der Geringverdiener?

FFF: Deshalb ist es ja so wichtig, die Milliarden nicht den Konzernen nachzuwerfen. Wir brauchen Geld für den sozialen Ausgleich der nötigen Umstellungen. Aber die Auswirkungen der Klimakrise treffen ja auch die mit geringem Einkommen am stärksten. Weltweit vor allem den globalen Süden, also die Länder, die am wenigsten zur Klimakrise beigetragen haben und deren CO2-Fußabdruck pro Person am kleinsten ist. Das ist eine große Ungerechtigkeit. Die Menschen werden ausgebeutet für unsere Importe, und die Folgen treffen sie am härtesten. Deshalb ist das Thema soziale Gerechtigkeit so wichtig.

HS: Und hier lokal? In Deutschland, in Halle?

FFF: Auch hier trifft die Klimakrise am härtesten die Geringverdiener*innen. Hitzewellen sind im Plattenbau schlimmer als in der Villa “Im Grünen”, Missernten führen zu Lebensmittelverteuerung, die mit Hartz IV besonders schmerzhaft sind. Wenn der Brocken waldfrei wird, können Besserverdienende immer noch nach Norwegen in den Urlaub.

Viele Politiker schieben auch gern die Verantwortung auf “Die Bürger” ab, aber heute kostet ein geschickt gekaufter Flug nach England 20€, die Zugfahrt dagegen 300€. Das kann auch nicht jeder bezahlen. Genauso wie ordentlich produziertes Bio-Essen noch zu teuer ist. Die Politik muss die Rahmenbedingungen sinnvoll setzen und die entstehenden Lasten ausgleichen.

HS: Was wäre also das Konzept für die Zukunft?

FFF: Klimagerechtigkeit. Die Verursacher-Länder müssen zu ihrer Verantwortung stehen. Auch für die Menschen, die aufgrund der Klimakrise ihre Lebensgrundlage verlieren, da werden in den nächsten Jahren hunderte Millionen Menschen betroffen sein. Einen Teil der auch von uns verantworteten Klimaflüchtlinge muss Europa, muss Deutschland aufnehmen. Die soziale Ungerechtigkeit muss politisch bekämpft werden. Wir müssen die Steinkohle-Importe so schnell wie möglich beenden.

HS: Aber wie wollt ihr das erreichen? Machen denn Schülerdemos und Schulstreiks genug Druck?

FFF: Wir müssen weiter die Aufmerksamkeit auf das Thema lenken. Weiter demonstrieren, und mehr Druck aufbauen. Besser erklären, um Faktenwissen und Akzeptanz in der Bevölkerung zu vegrößern. Oder zum nächsten Großstreik, da sollten sich möglichst viele Menschen beteiligen!

HS: Der ist am 10.7. geplant?

FFF: Ja, diesen Freitag, 10.7., 14:00 Uhr. Auf den Plakaten steht Marktplatz, aber wir starten doch am Hallmarkt unten, aus Platzgründen. Es wird Reden geben, vor allem mit dem Schwerpunkt, warum die Klimakrise eine soziale Krise ist. Natürlich wird es ums KohleEINstiegsgesetz gehen, angemessen laut und wütend. Der Demozug geht durch die Straßen der Innenstadt und endet in der Adam-Kuckhoff-Straße. Wer möchte, kann sich dort dem Straßenfest von “Halle Gegen Rechts” anschließen. Es gibt guten Grund zum Feiern.

HS: Und denkst du, dass sich Demonstrationen überhaupt noch lohnen?

FFF: Es bewegt sich viel zu wenig und viel zu langsam, aus Sicht der Klimawissenschaft müssen wir viel schneller aus den Fossilen aussteigen. Aber es gibt auch erste Zeichen, dass sich etwas bewegt: mit großem Aufwand und lautem Protest wurde die Abfckprämie verhindert und das Klimathema viel stärker in die politische Debatte reingeholt, Menschen aufmerksam gemacht. Demos sind ein wichtiges Standbein, aber es kann nicht bei Demos bleiben, sondern braucht vielfältige Aktionen. Es lohnt sich, aufmerksam zu bleiben und sich umzuschauen, ob lokal in der Stadt oder im Netz.

Aufgeben gilt nicht, immerhin geht es darum, wie wir selbst und vor allem viele andere die nächsten Jahrzehnte verbringen werden.  

HS: Na dann, vielleicht sieht man sich am Freitag auf der Demo! Viel Erfolg und danke für das Interview, aber erst Recht für die ausdauernde Arbeit bei FFF!

FFF: Ebenso danke fürs Interview! Und Freitag einfach mit zur Demo kommen, es lohnt sich!

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