„Unsere Zukunft in der digitalisierten Welt“ – Podiumsdiskussion an der Leopoldina, im Beisein des Bundespräsidenten

18. Februar 2018 | Politik | 10 Kommentare

 

Volles Haus im Festsaal der Leopoldina, „alle“ sind hier: Präsidenten, Professoren, Rektoren, Halloren… Neben dem amtierenden Leopoldina-Präsidenten mit Frau (und dem Bundespräsidenten mit Frau – oder sind deswegen alle hier??) auch die beiden Leopoldina-Altpräsidenten Parthier und ter Meulen, der Ministerpräsident des Landes mit Frau, zahlreiche Akademie-Mitglieder und Assoziierte, lokale Politiker (ohne Frauen) und Themeninteressierte: Dabei sind die wichtigsten Vertreter aus Wirtschaft, Wissenschaft und Gesellschaft der Stadt Halle, besonders aber auch Schüler dreier Gymnasien (Cantor, Hans-Dietrich-Genscher, Paul-Gerhardt Gräfenhainichen) und der berufsbildenden Gutjahr-Schule. Dazu mehr als 30 Pressevertreter.

Worauf zielt die Veranstaltung „Unsere Zukunft in der digitalisierten Welt“, die mit einem fachlichen Impulsvortrag und einer 40-minütigen Podiumsdiskussion angesetzt ist? „Der Bundespräsident wird Eindrücke mitnehmen auch von der Leopoldina, die möglicherweise bei der Regierungsbildung helfen können“, so der Leiter der späteren Podiumsdiskussion, der den organisatorischen Ablaufplan vorstellt. Aber das allein ist es sicher nicht…. Digitalisierung ist ein Schwerpunktthema der Nationalen Akademie der Wissenschaften. Da es zugleich ein sehr gut geeignetes Thema für den Dialog zwischen Schülern und Wissenschaftlern darstellt, bietet es sich als Rahmenveranstaltung für den Antrittsbesuch des Bundespräsidenten bei seiner Station in Halle an. Man müsse Hoffnungen und Befürchtungen hinsichtlich der Folgen der Digitalisierung ernst nehmen, aller Bürger, v.a. aber auch der jungen Bevölkerung, formuliert Professor Dr. Jörg Hacker, der Präsident der Leopoldina. Frank-Walter Steinmeier ergänzt mit grundlegenden Fragen: „Wie bilden wir ‚digital natives‘ zu ‚native democrats‘?“, bezogen wirklich auf den Bildungsgedanken, den Informationsgewinn.

Als nächstes spricht Professor Dr. T. Lengauer (als Präsidiumsmitglied der Leopoldina) über die Stärkung der digitalen Kompetenz der Bevölkerung. Von der technischen Seite sieht er drei beherrschende Trends der Digitalisierung: Die Informationslawine, das Finden verborgener Muster und Zusammenhänge („Big data analysis“) sowie die steigende Anzahl kognitiver Assistenten. Wir haben auf Knopfdruck eine derartige Informationslawine verfügbar, dass von einem revolutionären Charakter ausgegangen werden könne. Schwierig sei dabei die Beurteilung der Glaubwürdigkeit, auch hinsichtlich der Vorauswahl, die von den Informationsgebern getroffen wird. Hinsichtlich „Big data“ sei die große Fragestellung die Interpretation und der angemessene Umgang mit gefundenen Mustern innerhalb der riesigen Datenmengen. Kognitive Assistenten, die uns die Verantwortung abnehmen, bewirken, dass der Mensch Problemlösungsstrategien nicht mehr beherrsche. Früher wurde diesbezüglich bereits der Taschenrechner als kritisch angesehen, im Verhältnis zu heutigen Hilfsmitteln mute das jedoch harmlos an: Heute vertrauen wir auf Navigationssysteme, Grammatikprogramme und umfangreiche Software v.a. in Medizin, Fertigung und Verkehr. Diesen drei technischen Herausforderungen stehen fünf notwendige digitale Fähigkeiten gegenüber, die ich hier nur aufzählen möchte: Technisches Verständnis, rational-kritisches Denken, Datenkompetenz, Sozialkompetenz und kultivierte Umgangsformen. All das benötigen wir als mündige Bürger im Zeitalter rapide fortschreitender Digitalisierung! Was ist das Fazit dieses einführenden Fachvortrags? Der Bürger müsse hinsichtlich der Digitalisierung befähigt werden. Letztendlich enthält auch der Koalitionsvertrag der sich bildenden Regierung einige Inhalte zu diesem Themenkomplex – auf 12 Seiten falle 27x das Wort „Internet“. Professor Lengauer warnt: Es herrscht ein hoher Zeitdruck, die Technik soll uns nicht unkontrolliert überrollen!

Nun aber beginnt die Podiumsdiskussion mit fünf geladenen Teilnehmern, die sich des Themas in der Vergangenheit explizit angenommen haben. Moderiert wird diese Runde kompetent durch einen Mitarbeiter der Leopoldina, Herrn Kochale. Vorneweg werden zwei Schülerinnen des Hans-Dietrich-Genscher-Gymnasiums interviewt (M. Engelbrecht, L. Zehne). Sie berichten von einem Projekttag zur Digitalisierung, der vor einem Jahr an ihrer Schule stattgefunden hatte und seither lokalmediale Aufmerksamkeit erlangt. Beispielsweise wurden multimedial Zukunftsszenarien ergründet, wie sich Digitalisierung auf verschiedene Generationen auswirken könnte. „Es kann möglich sein, wenn wir Daten geben, dass sie ummodelliert werden, dass sie unsere Identität übernehmen, uns in der Hand haben.“ Professor Dr. K.-R. Müller (TU Berlin) pflichtet dem bei: „Bewegung im Netz hinterlässt Datenspuren… Alles ist de-anonymisierbar, es gibt im Grunde ‚digitalen Wildwest‘“. Dennoch möchte er keine düsteren Szenarien ausmalen: „Wir haben Hoffnung“, bekräftigt er, und weist hin auf einfache technische Möglichkeiten ohne Datenspeicherung und auf regulatorische Eingriffe. Frau Professor Dr. J. Hofmann (FU Berlin) spricht dazu einen Formwandel an, zum einen im Hinblick auf Datengenerierung („Autonomie wird durch Daten auch gestärkt“), zum anderen hinsichtlich politischer Willensbildung („geringes Parteienengagement in jungen Generationen“). Die öffentliche Verständigung sei eine große Herausforderung. Dabei sieht Prof. Hofmann beide Seiten: Verfall und Aufbruch. Während man sich in den 50er Jahren als Wähler mit seiner Partei identifiziert habe, melde sich der Bürger heutzutage mit seiner eigenen, auch unflätigen Stimme zu Wort. Meinung zu bekunden, Dinge zu bewerten, dabei auch Meinungswandel, das alles habe einen stärkeren Stellenwert erhalten.

Die nächsten Fragen thematisieren den digitalen Wandel an Schulen: Welche Möglichkeiten gibt es am Gymnasium der beiden Diskussionsteilnehmerinnen? Wie stehen sie dazu, und auch: Was hat sich durch neue Medien an der Umgangssprache verändert?

Professor Lengauer (MPI Saarbrücken) geht auf diese Diskussion ein: Eine lebensbegleitende, digitale Ausbildung sei nötig und sollte sogar obligatorisch sein! Er ist beunruhigt darüber, wie langsam diesbezügliche Kenntnisse als Lerninhalte in die Schule kommen, möchte „Digitale Gesellschaftskunde“ als Unterrichtsfach sehen. Professor Müller richtet den Fokus nun auf den Arbeitsmarkt. Im Hinblick auf einen gesellschaftlichen Wandel, der mit einer 300-fach höheren Intensität als die Industrielle Revolution erfolgt (Zitat: The Economist, 06/2016), sei auch mit drastischen Veränderungen in der Arbeitswelt zu rechnen. So werden in den nächsten Jahrzehnten 10 bis 15 % der Arbeitsplätze wegfallen. Nur wenn der Mensch sich weiterbildet, besonders in Bezug auf Digitalisierung, ist Ersatz zu finden. Wir müssen uns Gedanken über die enormen Kosten machen. Frau Professor Hofmann sieht eine ergebnisoffene Entwicklung auf dem Digitalisierungsmarkt. Alle sind sich einig, dass Innovationen nicht vorhersehbar sind. Entscheidend ist jedoch die gesellschaftliche Werthaltung der involvierten Bürger. Sie müssten sich zu Wort melden, es ist ein Dialog zwischen Technikentwicklern, Politik und Bürgern nötig. Professor Lengauer weist hierbei auf die starke „Versäulung“ z.B. in der Politik und im Bildungswesen hin, sieht das als sehr kritisch an, sie müsse aufgelöst werden.

Viele Einzelthemen konnten nur angerissen werden, lassen aber Probleme und Lösungswege erahnen, auch wenn nicht alles für den Zuhörer komplett verständlich werden konnte. Wie lautet das Schlussplädoyer, die Zusammenfassung durch Herrn Kochale? „Wir müssen anfangen.“

Ja, lasst uns die Themen aufgreifen. Jeder von uns könnte an seinen eigenen, technischen Fähigkeiten arbeiten, um den technischen Herausforderungen der Digitalisierung angemessen begegnen zu können. In diesem Rahmen möchte ich besonders auf gute Umgangsformen in der digitalen Welt hinweisen („Netiquette“), die zu fordern und zu fördern sind. Dazu brauchen wir nicht einmal die explizite Erwähnung im Koalitionsvertrag, sondern einen fähigen und kulturvollen Bürger. Einen sich im Internet bewegenden Menschen, dem zudem die anderen, oben genannten Anforderungen (wie technische Grundkenntnisse, nicht-manipulierbares Denken, Kompetenz im Umgang mit eigenen Daten, sowie kompetenten Umgang mit Privatheit und Autonomie) nicht fremd sind. Herzlich willkommen auf HalleSpektrum!

 

Text und Bild: (A.S.)

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