Unruhe im Neustädter Garagenreich: Verein will mit Kauf Enteignung verhindern, doch Stadt reagiert nicht

7. März 2019 | Politik | 8 Kommentare

Die tiefstehende Abendsonne setzt leuchtende feurige Akzente auf eine endlos anmutende Anzahl von Holztüren. Der Garagenhof in der Lilienstraße in Halle-Neustadt wirkt aufgeräumt, geradezu pedantisch sauber. Es sind die typischen DDR-Garagen, die Seitenwände aus doppelt trapezoiden, gerippten, dunkel geteerten Betonelementen, schwarze Teerdächer, dunkler Stampfbeton dominiert die Fläche, manchmal setzen kleine Wasserpfützen spiegelnde Akzente. An der Schranke, die die Zufahrt regelt, treffen wir Dennis Hörold, einer der fünf Vorstandsmitglieder des im Januar diesen Jahres neu gegründeten „Garagenverein GIG II Lilienstraße e.V.“. Wir betreten das kleine Vereinsbüro an einem der Enden der langen Garagenreihen. In dem kleinen, spartanisch eingerichteten Vereinsbüro mit Schreibtischen und Stühlchen aus späten DDR-Zeiten ist man unwillkürlich an Kleingartenvorstandsschuppen erinnert. So resolut wie freundlich begrüßt uns Henning Wagner, ein agiler Mitte-70er. Er und seine Vereinskollegen herrschen über über ein Reich aus 533 Garagen und etwa eben so vielen Mitgliedern. Henning Wagner kommt gleich zur Sache, erzählt die Geschichte der Anlage, die untrennbar eng mit der Entstehungsgeschichte der einstigen sozialistischen Muster- und Modellstadt Halle-Neustadt zusammen hängt. Mitte der 1970er Jahre, während die Wohnviertel von Halle- Neustadt hochgezogen wurden, sollten Autos aus dem direkten Bereich der gepflegten 5-geschossigen  Plattenwohnungen herausgehalten werden, das gehörte zum Konzept der neuen Stadtquartiere. Garagenhöfe sollten an den Rändern der Wohnbereiche liegen. Im Wohnviertel am der heutigen Lilienstraße im nördlichen Halle-Neustadt wurde den überwiegend bei Buna-beschäftigten Bewohnern die Möglichkeit angeboten, auf dem städtischen Grund einen Garagenkomplex zu errichten, erläutert Wagner, in Eigenleistung, wie er hinzufügt. Eigenleistung, aus normierten Betonelementen, wie sollte das gehen? Wagner erklärt. „Wir erhielten von den Buna die Möglichkeit, eine Werkhalle in den Carbidwerken zu nutzen, in der wir – wohlgemerkt in unserer Freizeit, in Zusatzschichten – die Betonelemente schalen, gießen und stampfen konnten. Jeder von uns hat damals etwa 300 Arbeitsstunden hingelegt, außerdem etwa 2000 Ost-Mark aufgewendet. Am Ende war jeder von uns Eigentümer der jeweiligen Garage – während der Boden weiter der Stadt gehörte. Nach DDR-Recht war das möglich und üblich“

Mit der Wende kam das BGB – und das Schuldrechtsanpassungsgesetz

Garagen in der Anlage Lilienstraße in Halle-Neustadt

1989 sollte sich das schlagartig ändern. Plötzlich galt das Bürgerliche Gesetzbuch. Das BGB kennt keine Trennung von Grundeigentum und Eigentum an Gebäuden, die sich darauf befinden. „Wer den Grund besitzt, dem gehört auch alles, was sich darauf errichtet wurde“, fasst Wagner das Problem zusammen. „Mit der Einführung des Bürgerlichen Rechtes waren wir praktisch enteignet – nicht nur der Sozialismus hat enteignet, der Kapitalismus tut das auch“, merkt der Garagenvorsitzende ironisch an. Um die komplexen Verhältnisse im Übergang zu regeln, kam dann das Schuldrechtsanpassungsgesetz mit vielen Sonderregelungen. Um selbigen gerecht zu werden, schloss die Stadt Halle mit der GIG einen langfristigen 30 jährigen Pachtvertrag. Renovierungen wurden getätigt, eine damals neue, elektronische Schrankenanlage angeschafft. Doch auch 30 Jahre gehen zu Ende, am 31. Dezember diesen Jahres laufen die Pachtverträge aus. Die Garagenbesitzer müssten , so regelt es das das Gesetz, das Grundstück auf eigene Kosten beräumen und der Stadt übergeben. Das wissend, wandten sich der Vorstand mehrfach an die Stadt Halle. Man bot der Stadt an, das Gelände zu kaufen. Das Problem: Das Gelände ist eigentlich als Bauland ausgewiesen – Grundwert geschätzt etwa 100 Euro pro Quadratmeter lt. Stadt. Oder weniger, wenn man die umgebenden Grundstücke als Vergleich betrachtet, die als Sondernutzungsfläche nur mit etwa 45 Euro bewertet würden, schätzt Wagner. In einem Schreiben an die Stadt, das der Redaktion vorliegt, ist eine entsprechendes Kaufangebot an die Stadt Halle die Vorzugsvariante des Vereins. Außerdem würde man der Stadt ein Vor(Rück-)kaufsrecht einräumen, zu den Konditionen des ursprünglichen Kaufs. Andere Varianten, etwa einen Erbbaurechtsvertrag über 15 Jahre, den die Stadt ebenfalls in einem Gespräch mit dem Verein angeboten habe, kommt für die GIG nicht in Frage – dies hätte das Problem nur zeitlich aufgeschoben, und notwendige Investitionen in die Gebäudesubstanz nicht lohnend gemacht. Das Angebot des Vereins ging im August letzten Jahres an die Stadt – beantwortet wurde es – trotz einer weiteren schriftlichen Nachfrage – bis heute nicht. Der Verein versuchte es über die Politik. Man sprach Bodo Meerheim an, der sich als Kommunalpolitiker der LINKE für das Anliegen des Vereins stark machte, auch die SPD konnte gewonnen werden. Auch mit der CDU wurde gesprochen. Im Finanzausschuss wurde beraten – der Antrag fiel aber im Finanzausschuss durch. Knapp, 5:6. „Die CDU war umgefallen“, erklärt Wagner, sichtlich enttäuscht. Auch die Mitbürger wurden einbezogen, auch die Grünen, denen man ein fortschrittliches Konzept erläutern wollte. „ Irgendwie kamen wir nicht voran“. Mittlerweile hat die Initiative einen eingetragenen Verein gegründet, um eine zeitgemäße Rechtsform zu finden (Eingetragen beim Vereinsregister Stendal seit Anfang 2019 als „Garagenverein GIG II Lilienstraße e.V.“. Die Gemeinnützigkeit ist ebenfalls beantragt. Unerwartet erhielt der Verein jüngst Antwort. Nicht schriftlich. Man hatte die Gelegenheit ergriffen, auf Wiegands „Zukunftswerkstatt nördliche Halle-Neustadt“ sein Anliegen vorzutragen. Vorstandsmitglied Dennis Hörold erläuterte dort das Konzept des Vereins, das weit über das hinaus geht, als über den bloßen Besitz und Betrieb von Garagen (Hallespektrum berichtete). Oberbürgermeister Bernd Wiegand, sagte zu, der Verein könne jederzeit kaufen – aber er möge die anderen Optionen (Erbpacht pp.) auch in Erwägung ziehen.

Finanzierung für den Kauf ist gesichert

Wie es weiter geht – der Verein ist zuversichtlich. Denn: wie Hörold und Wagner betonen, sind zukünftige Investitionen, angefangen von der Reparatur der störanfälligen Schrankenanlage, der Instandhaltung der Dächer und vielem mehr nur sinnvoll, wenn man nicht nach Ablauf irgendwelcher Pachtverträge auf den hohen Kosten sitzen bleibe. Dabei hat der Verein Geld für den Kauf bereits aufgetrieben. 78 % der Garagenbesitzer haben zugesichert, sich über einen Kredit gegenüber dem Verein den Kauf zu finanzieren – der Rest wird über eine Bank finanziert, die Raten werden über die Mieteinnahmen abgesichert.

Garagenverein sieht sich als Teil des ökologischen Umbaus

Derweil hat der Verein Großes vor, Dennis Hörold, als jüngerer Vertreter der Initiative, entwickelt Ideen, wie auch das Neustädter Garagenreich Teil des ökologischen Umbaus des Individualverkehrs werden soll. Warum soll die Neustädter Sonne nur Teerdächer aufheizen? Hörold schwebt vor, die ausgedehnten Garagendächer mit Sonnenkollektoren zu bestücken. Den erzeugten Strom könne man einspeisen – aber solche Investitionen, die über 20 Jahre lang gefördert werden könnten, lohnen sich nur, wenn die Nutzung der Fläche eine gesicherte Zukunft hat – sprich: wenn der Verein auch Eigentümer der Anlage wird. Wir sprechen über Nutzung von Regenwasser, es gab sogar schon Gespräche mit dem Fraunhofer-Institut über Energiespeicherung und Wasserstoffwirtschaft. Auch mit einem örtlichen Car-Sharing-Unternehmen wurde gesprochen. Doch all diese Visionen verlangen nach einer gesicherten, zukunftsfähigen Basis. Das setzt wiederum die Einsicht der Verwaltung voraus, dass ein solcher Garagenverein weitaus mehr ist als eine kleinbürgerliche Interessenvertretung eines auf Besitzstandswahrung beharrenden Autovereins ist.

 

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