Tag der Erinnerung und Mahnung in Halle
10. September 2012 | Politik | Keine KommentareMit Kranzniederlegungen auf dem Gertraudenfriedhof wurde am Sonntag anlässlich des Tages der Erinnerung, Mahnung und Begegnung der Opfer des Nationalsozialismus gedacht. Aufgerufen hatten die Verfolgten des Naziregimes und der Bund der Antifaschisten. Unter anderem nahmen die Stadträte Gottfried Köhn (SPD) und Swen Knöchel (Linke) sowie für die Stadt Bürgermeister Egbert Geier teil.
Am Denkmal der “679 vom nationalsozialistischen Staat Gemordeten” wurden Kränze niedergelegt. Tatsächlich sind hier lediglich 455 Opfer begraben, die restlichen 224 Urnen sind in einem internationalen Bereich des Gertraudenfriedhofs bestattet. Unter den Toten, an die mit der Gedenkstätte erinnert wird, waren auch 150 Kranke und Behinderte.
„Die Toten sind darauf angewiesen, das wir immer wieder an sie erinnern, uns erinnern, damit sie nicht umsonst gestorben und ermordet wurden“, sagte Detlev Haupt von der Deutsch-Israelischen Gesellschaft in seiner Gedenkrede. Dazu gehöre auch die Frage, „wie es zu dieser Katastrophe, dieser Politik, dieser Nazidiktatur und diesem Versagen des deutschen Volkes gekommen ist. Wir erschrecken über soviel Gleichgültigkeit und Ignoranz, fehlende Solidarität der bedrohten Gruppen und Parteien, soviel blindem Vertrauen in die Überlegenheit deutscher Kultur, deutscher Wissenschaft und deutscher Nation, aber auch die Bindung an Religionen und Weltanschauungen, das Beharren auf die eigene Stärke und auch die eigene Partei.“
Haupt kritisierte, dass nur wenige junge Hallenser an der Gedenkstunde teilnahmen. „Erheben sie nicht längst auch den Vorwurf an uns, sie allein gelassen zu haben in einer bedrohlichen und bedrohten Welt voller Waffen und Wettrüsten – ein Wettrüsten auch ohne Waffen, sondern durch Ideologien, Fortschrittsglauben, Maschinen und Computern? Eine Welt, in der noch heute Millionen von Menschen zu Flüchtlingen werden, verhungern und verdursten, aber auch mitten unter uns Opfer werden des Wohlstandes, des Konkurrenzkampfes, neuer Feindbilder, auch Opfer von Gewalt und vor allem der Einsamkeit und Hilflosigkeit?“ Für eine „demokratische, weltoffene Gesellschaft“, sprach sich Haupt aus, „in der Menschen für einander einstehen, Religionen und Parteien die gemeinsame Verantwortung höher schätzen als die eigenen Interessen oder die Unterschiede ihrer Programme.“
Die Geschichte des Gedenktages geht ins Jahr 1945 zurück. Damals ergriffen Überlebende der Nazidiktatur 1945 die Initiative und führten in Berlin-Neukölnn in der Werner-Seelenbinder-Kampfarena eine Gedenkfeier mit 100.000 Teilnehmern durch. Doch ab 1947 habe eine Schlussstrich-Mentalität eingesetzt. Der Osten führte den Tag der Opfer des Faschismus ein, der durch das Regime für die eigene Legitimierung missbraucht worden sei. Im Westen hingegen galt eine Teilnahme am OdF-Tag als prokommunistische Aktion. Und so hatte sich in Ost und West eine unterschiedliche Gedenkkultur entwickelt. Erst seit der politischen Wende 1989 findet das Gedenken als “Tag der Erinnerung, Mahnung und Begegnung” gemeinsam in Ost wie West statt.