Nachgefragt: Wie steht es um die „Schwarze Null“ im Haushalt der Stadt ?

29. November 2018 | Politik | 10 Kommentare

Der Parteitag der SDP in Halle war überschattet vom Rücktritt ihres Vorsitzenden Marcel Dörrer. Darüber ging einiges unter, so auch die Rede des Fraktionsvorsitzenden der SPD, Johannes Krause. HalleSpektrum hatte darüber berichtet, Johannes Krause hatte Oberbürgermeister Bernd Wiegand vorgeworfen, die Verschuldung der Stadt Halle zu verschleieren. Einige Leser hatten dazu Nachfragen, die Redaktion Hallespektrum hat das aufgegriffien.

Dazu das Interview mit Johannes Krause:

Herr Krause, in Ihrer Rede auf dem letzten Stadtparteitag befassten Sie sich mit dem Haushalt der Stadt Halle. Sie erwähnten, der Haushalt sei mit Amtsantritt von OB Dr. Bernd Wiegand von Kameralistik auf Doppik umgestellt worden. Können Sie in verständlichen Worten den Unterschied zwischen diesen beiden Arten der Buchführung erläutern?

Ein Haushalt im kameralen System ist eine einfache Gegenüberstellung von Einnahmen und Ausgaben. Es wird in einer großen Liste dargestellt, wieviel Geld die Stadt hat, wieviel Geld sie im kommenden Jahr benötigen wird und wieviel Geld zurück in die Kassen kommt. In diese Ausgaben werden auch die Zinsen und die Rückzahlungen von aufgenommenen Krediten eingerechnet. In der Kameralistik ist ein Haushalt dann ausgeglichen, wenn am Ende dieser Rechnung eine Null steht.

Im Endeffekt ist das vergleichbar mit einem normalen Haushaltskonto. Wenn Sie zum Beispiel 2.000 Euro im Monat verdienen, müssen Sie innerhalb des Monats Lebensmittel, Kleidung, Benzin bezahlen. Falls Sie ein Haus gekauft und dafür einen Kredit aufgenommen haben, müssen Sie monatlich die Rückzahlungen für diesen Kredit berücksichtigen. Wenn Sie am Ende dieser Rechnung höchstens 2.000 Euro ausgegeben haben, bleiben Sie liquide, also langfristig zahlungsfähig. Wenn etwas übrig bleibt, können Sie sparen, ins Kino gehen, essen gehen oder sich andere erfreuliche Dinge leisten.

In der Doppik, einem System, das an die doppelte Buchführung angelehnt ist, wird der Haushalt in zwei Einheiten untergliedert. Den Finanzhaushalt und den Ergebnishaushalt. Hauptbestandteil des Ergebnishaushaltes sind die Erträge und die Ausgaben der laufenden Verwaltung sowie die bilanziellen Abschreibungen, also der buchhalterische Wertverlust kommunalen Eigentums. Kredite für Investitionen (wie z.B. zum Bau einer Schule) und deren Tilgung werden in der Doppik im übergeordneten Finanzhaushalt dargestellt. Die Rückzahlungen der in den vergangenen Jahren aufgenommenen Kredite sowie deren Zinsen sind also nur Teil des Finanzhaushaltes, nicht aber des Ergebnishaushaltes.

Die rechtliche Anforderung an einen formal ausgeglichenen Haushalt in der Doppik – also die „Schwarze Null“ – ist momentan ein ausgeglichener Ergebnishaushalt. Die Tilgung bestehender Verpflichtungen im Finanzhaushalt ist also nicht mit eingerechnet. Insofern ist die Rechnung unvollständig.

Um bei dem Beispiel des privaten Einkommens zu bleiben: Stellen Sie sich vor, Sie haben zwei Konten. Auf das erste Konto wird am Anfang jeden Monats Ihr Gehalt in Höhe von 2.000 Euro überwiesen und am Ende des Monats die Rückzahlungen für Ihr Haus abgebucht. Auf das zweite Konto überweisen Sie am Anfang eines jeden Monats 2.000 Euro vom ersten Konto. Von diesem Konto bezahlen Sie alles, was innerhalb des Monats anfällt, außer der Rückzahlung für Ihr Haus. Was am Ende des Monats übrig bleibt, überweisen Sie zurück auf das erste Konto. Hier wird dann auch Ihre Tilgungszahlung für das Haus abgebucht. Hier gelten Sie als liquide, wenn auf dem zweiten Konto am Ende des Monats eine Null steht. Wenn es mehr ist, sparen Sie Geld und häufen Vermögen an.

Sie kritisierten, die „Schwarze Null“ im Haushalt der Stadt Halle sei eine Illusion, vielmehr seien die Schulden im Haushalt lediglich „versteckt“, was durch die Doppik möglich geworden sei. Wie kann man Schulden in der Doppik „verstecken“?

Genau in dieser Aufteilung besteht die Krux. Der Haushalt der Verwaltung ist zwar regelmäßig im laufenden Geschäft ausgeglichen, die Einnahmen decken also die Ausgaben (Ergebnishaushalt). Aber hierbei werden eben die Tilgungen für die Kredite (Finanzhaushalt) nicht berücksichtigt. Diese Tilgungen erwirtschaftet die Stadt derzeit nicht in voller Höhe. Das führt dazu, dass sogenannte ‚Kassenkredite‘ aufgenommen werden müssen. Diese kann man sich wie einen Dispokredit vorstellen. Diese Kassenkredite sind eigentlich dafür da, Situationen auszugleichen, bei denen kurzfristig Zahlungen anstehen, bevor das dafür eingeplante Geld eingenommen wird. So muss die Stadt z. B. manchmal bei Förderungen durch das Land oder den Bund in Vorleistung gehen und bekommt dann später diese Leistungen erstattet. Mit einem Kassenkredit bleibt man also liquide.

Wenn nun die im Finanzhaushalt ausgewiesene Tilgung nicht aus dem laufenden Haushalt erwirtschaftet wird und die Kassenkredite somit nicht wie vorgesehen kurzfristig zurückgezahlt werden können, führt das dazu, dass dieser Dispo nach und nach immer weiter ins Minus rutscht. Das ist aber im angeblich ‚ausgeglichenen Ergebnishaushalt‘ nicht erkennbar.

Wenn man beim Bild eines privaten Haushalts mit zwei Konten bleibt würde das bedeuten, dass Sie vom ihrem ersten Konto jeden Monat wie gehabt 2.000 Euro auf das zweite Konto überweisen. Für Ihre monatlichen Ausgaben benötigen Sie 1.900 Euro. Am Ende des Monats überweisen Sie 100 Euro zurück. Nun wird vom ersten Konto die Rückzahlung für den Kredit für ihr Haus abgebucht und zwar in Höhe von 300 Euro. Der Dispokredit Ihres ersten Kontos ist nun 200 Euro im Minus. So geht es jeden Monat weiter. Mal verbrauchen Sie im Monat nur 1.800 Euro, meistens aber 1.900 bis 2.000 Euro. Aber es reicht nie, um die Raten für den Kredit in Höhe von 300 Euro voll und ganz zu erwirtschaften. Der Dispo auf dem ersten Konto steigt also immer weiter und langfristig verschulden Sie sich also immer mehr. Auf dem zweiten Konto, das am Ende des Monats immer wieder bei null ist, sehen Sie das jedoch nicht.

In welcher Höhe – ungefähr – belaufen sich die Schulden der Stadt Halle und wie sieht die weitere Entwicklung aus?

Derzeit sprechen wir hier von etwa 350 Millionen Euro. Mal mehr, mal weniger. Tendenz aber steigend. Zur Erinnerung: Als unser jetziger Oberbürgermeister gewählt wurde, war Halle „nur“ mit rund 239 Millionen Euro verschuldet. Die Wiegand’sche „Schwarze Null“ sind in Wirklichkeit mehr als 110 Millionen Euro zusätzliche Schulden.

Hinzu kommen zwei Entwicklungen, die es uns in Zukunft deutlich erschweren werden. Beide sind in der Novelle des sachsen-anhaltischen Kommunalverfassungsgesetzes (KVG) begründet. Nach § 100 Abs. 5 dürfte der ‚Dispokredit‘ der Stadt ab dem nächsten Jahr eigentlich nur noch 20 Prozent des Verwaltungshaushaltes, der den größten Teil des Ergebnishaushaltes ausmacht, betragen. Dieser beläuft sich derzeit auf 717 Millionen Euro. Es dürften also nur noch etwa 145 Millionen Euro sein, mit denen die Stadt verschuldet ist. Dieser Anforderung kann die Stadt schon jetzt nicht nachkommen. Sie müsste dazu über 200 Millionen Euro einsparen. Das zweite Problem, das noch auf uns zukommt, liegt im § 98 des KVG. Dieser besagt, dass ab 2023 ein Haushalt erst dann als ausgeglichen angesehen wird, wenn auch die Tilgung bestehender Zahlungsverpflichtungen aus dem laufenden Haushalt erwirtschaftet werden kann. Ein Haushalt, wie die Verwaltung ihn in den letzten Jahren eingebracht hat, würde nach dieser Gemengelage also wahrscheinlich nicht mehr vom Landesverwaltungsamt genehmigt werden.

Kehren wir ein letztes Mal zum Beispiel des Privathaushalts mit zwei Konten zurück. Sie haben auf die im Beispiel genannte Weise über einige Jahre etwa 30.000 Euro Dispokredit auf dem ersten Konto erreicht. Faktisch haben Sie die letzten Jahre über Ihre Verhältnisse gelebt. Durch eine Änderung in den Richtlinien Ihrer Bank sind Sie plötzlich dazu verpflichtet, diesen Dispokredit auf 10.000 Euro zu reduzieren. An Ihren laufenden Ausgaben im Monat verändert sich aber nichts, denn Sie müssen weiterhin essen und trinken oder mit dem Auto zur Arbeit fahren. Nur können Sie jetzt nicht mehr auf den Dispokredit des ersten Kontos zurückgreifen, um die Tilgungen für Ihr Haus zu bezahlen. Sie sind nun gezwungen, Ihre Ausgaben soweit herunterzufahren, dass Sie nicht nur Ihren Lebensunterhalt bestreiten, sondern am Ende des Monats sowohl Ihren Dispokredit als auch Ihre Raten für Ihr Haus vollständig zahlen können. Das bedeutet, Sie können nicht mehr ins Kino, nicht mehr Essen gehen und Ihre Eltern am Wochenende nicht mehr mit dem Auto besuchen. Sollten Sie es nicht schaffen, auf diese Weise die notwendigen Einsparungen vorzunehmen, würden Ihre Gläubiger Ihr Haus und Ihr Eigentum pfänden.

Falls letzteres in Halle passieren sollte, wir unsere Ausgaben also nicht so weit reduzieren können, dass wir die Kredite zurückzahlen können, käme die Stadt in die Konsolidierungspflicht. Das heißt, alle Leistungen, die die Stadt freiwillig erbringt z. B. die Unterhaltung von Spielplätzen, Förderung von Theatern, der Unterhalt der TOOH und die Schulsozialarbeit müssen überprüft und so weit heruntergefahren werden, bis die Stadt die Tilgungen zahlen und somit das Volumen der Kassenkredite auf das erlaubte Maß abschmelzen kann. Sollte das nicht ausreichen, müssten kommunales Eigentum (z. B. Grundstücke oder Gebäude) oder auch Gesellschaftsanteilen an HWG, GWG und Stadtwerken verkauft werden. Auf diese Herausforderung gibt der Oberbürgermeister aber bis jetzt keine Antwort. Vielmehr kündigt er ein Wahlgeschenk nach dem nächsten an.

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