Karamba Diaby im HalleSpektrum-Gespräch

10. August 2016 | Politik | 7 Kommentare

Im November 1961 wird Karamba Diaby als jüngstes von vier Geschwistern geboren. Sein Geburtsort ist Marsassoum im westafrikanischen Staat Senegal. Wenige Monate nach seiner Geburt stirbt die Mutter. Als Karamba sieben Jahre ist, stirbt auch sein Vater. Den verwaisten Jungen nimmt Diabys 17 Jahre ältere Schwester und ihr Ehemann auf. Ihr hat er viel zu verdanken, betont Diaby oft. Karamba Diaby geht zur Schule, schließt erfolgreich das Gymnasium ab, nun möchte er studieren. Dazu begibt er sich nach Dakar, der Hauptstadt Senegals. Er ist damals Anfang zwanzig. Heute sitzt Diaby als SPD-Abgeordneter für seinen Wahlkreis Halle (Saale), Kabelsketal, Petersberg und Landsberg im Deutschen Bundestag. Das ist ein weiter Sprung – und das möchten wir ihn selber erzählen lassen. Wir sitzen zum Interview mit ihm zusammen.

HalleSpektrum: Wie kommt ein junger Mann aus Dakar nach Halle – und das schon zu DDR-Zeiten?

Diaby (lacht): Das ist ein wenig kompliziert. Aber ich will es mal versuchen:

Ich habe angefangen, in Dakar zu studieren und zwar Biologie und Geographie auf Lehramt. Das Problem: Das Studium konnte ich mir eigentlich nicht leisten. Deshalb bewarb ich mehrmals um ein Stipendium – leider vergeblich. Mein zehn Jahre älterer Bruder war damals dabei, sein Studium zu beenden. Im Gegensatz zu mir hatte er ein Stipendium erhalten und, wollte Lehrer für die Fächer Geschichte und Geographie werden. Glücklicherweise hat er mir etwas von seinem Stipendium abgegeben, so dass ich mir wenigstens mal eine Fahrkarte kaufen konnte oder ein Ticket für die Mensa. Geschlafen habe ich bei Studienfreunden auf einer Matratze. Ich denke, alle Menschen müssen die gleichen Chancen auf eine gute Bildung und eine gute Arbeit haben. Das war leider nicht so: Ich wollte diese Ungerechtigkeit überwinden. Deshalb habe ich mich schnell für soziale Themen in einer linken Studentenbewegung engagiert und war auch der Sprecher der Studentenschaft der naturwissenschaftlichen Fakultät.

Später habe ich noch einmal ein Stipendium bei der Demokratischen Union der Studenten Dakars beantragt. Die Union war Mitglied beim ISB, dem Internationalen Sudentenbund mit Sitz in Prag. Da zahlten viele sozialistische Länder ein, aber nicht nur die: so waren zum Beispiel auch Kanada oder Frankreich mit dabei.

Aus dem Fond wurden dann Stipendien für ein Auslandsstudium vergeben, vorzugsweise für   begabte Studenten, die keine oder geringe Mittel hatten, sich aus eigener Kraft ein Studium zu leisten.

Bei der Bewerbung musste ich ein Formular ausfüllen. In der linken Spalte sollte ich ankreuzen, welche Gastländer ich bevorzuge, in der rechten Spalte standen die Fachrichtungen. Da habe ich angekreuzt: Sowjetunion, Tschechoslowakei, DDR und Bulgarien. Auf der anderen Spalte standen die Fächer Hydrologie, Landwirtschaft, Elektronik und Chemie zur Auswahl. Und heraus kam dann die DDR und das Fach Elektronik. Die Fächer waren mir eigentlich gar nicht so wichtig. Ich hatte ein naturwissenschaftliches Abitur und war bereit, vieles zu studieren. Ich war auch bereit, jede Sprache zu lernen. Dann bin ich 1985 in die DDR gekommen und habe zunächst neun Monate einen Sprachkurs in Leipzig absolviert. Dort sagte man mir, dass ich Elektronik nicht mehr studieren könne, aber dafür Chemie an der Technischen Hochschule Carl Schorlemmer in Merseburg. Dort wollte ich aber nicht hin und empfand das als ungerecht. „Im Sozialismus gibt es keine Ungerechtigkeit“, entgegnete man mir, aber ich solle doch am nächsten Tag noch einmal wiederkommen. Am nächsten Tag habe ich gesagt, ich will nach Halle, an die Martin-Luther-King-Universität. „Was wollen Sie?“

„Martin Luther King hat für Menschenrechte gekämpft, der ist für mich ein Vorbild, ich will auch für Gerechtigkeit kämpfen.“

„Na gut, wir schicken Sie an die Uni nach Halle, da lernen Sie dann unseren Reformator kennen.“

So bin ich also nach Halle gekommen und die Stadt ist seit inzwischen 30 Jahren mein Lebensmittelpunkt.

HalleSpektrum: Was war eigentlich Ihr erster Eindruck von Halle?

Diaby: Mein erster Tag in Halle war schön. Ich war gerade angekommen, habe nur den Koffer im Wohnheim abgestellt, dann bin ich auf den Marktplatz gefahren. Da wurde gefeiert und überall riefen sie „Halleluja“. Sie feierten nämlich die 1025-Jahrfeier der Stadt. Ich habe gedacht, wenn hier jeden Tag so gefeiert wird, dann will ich hier bleiben.

In Halle war ich zunächst aber auch alleine, denn es war Sommer, als ich in die Stadt kam. Das Semester hatte noch nicht begonnen, meine zukünftigen Kommilitonen saßen noch in der Schule und lernten für das Abitur und ich saß im Studentenheim am Weinberg.

HalleSpektrum: Sie haben dann Chemie auf Diplom studiert?

 Diaby: Ja, fünf Jahre, also zehn Semester. Die Diplomarbeit fiel dann schon in die Zeit kurz nach der Wende. Mein Studienschwerpunkt war analytische Chemie, insbesondere im Bereich der Anorganik, also Atomabsorptionsspektroskopie und der Nachweis von Schwermetallen. In der Diplomarbeit habe ich mich mit der Belastung der Saaleaue beschäftigt. Daran schloss sich die Promotion an: Schwermetallbelastung in Halleschen Kleingärten.

HalleSpektrum: Daher der Spitzname „Dr. Kleingarten?“

Diaby: Das war eine interessante Zeit, als ich 1992 und 1993 durch die Kleingärten zog. Die Kleingärtner waren natürlich verunsichert und neugierig. Die hatten ja bisher kaum Kontakt mit Einwanderern. Wir waren ja vorher abgeschottet von der Bevölkerung.

HalleSpektrum: Wie war das denn aber mit den Kommilitonen?

Diaby: Das war toll. Da hatten wir keine Probleme. Auf dem Campus war alles gut. Aber die normale Bevölkerung hatte keinen Kontakt zu uns. Als ich dann zur Probenentnahme durch die Kleingärten ging, kamen dann Tausende von Fragen: „Woher kommst Du, warum bist Du hier?“ All das musste ich erst mal beantworten. „Was esst Ihr denn, wie sieht das bei euch aus?“ Ich bekam zu dieser Zeit erstmals einen tieferen Einblick in die Gesellschaft. Die Chemiearbeit war da eigentlich zweitrangig bei diesem Kontakt mit all den Kleingärtnern. Aber diesen Austausch habe genutzt, um die Menschen bessern kennenzulernen. Die haben mich so viel gefragt – und ich habe danach zurückgefragt. „Wie sieht es mit den Betrieben aus?“ „Was hast Du zu DDR-Zeiten gemacht, warst Du Professor, warum jetzt nicht mehr? Du warst Geschichtslehrer und jetzt nicht mehr?“

HalleSpektrum: Und dann waren Sie irgendwann fertig mit Ihrer Promotion in Chemie. Die meisten jungen Chemiker haben danach klare Vorstellungen: Eine lukrative Anstellung in der Industrie.

Diaby: Das hatte ich auch gedacht, ich bin Analytiker und bekomme sofort eine Stelle in einem Analyselabor. Und viele haben ja auch gesagt, „wow, ein Spezialist für chemische Analytik“. Ich war auch irgendwie glücklich und stolz. Aber dann habe ich mich beworben und da kam die große Enttäuschung.

HalleSpektrum: Damals brach ja auch gerade die Chemieindustrie im Osten zusammen.

Diaby: Zu dieser Zeit veränderte sich auch im meinem privaten Leben sehr viel. Meine Tochter wurde geboren. Da stellte sich für mich die Frage von Familie und Beruf. Ich hatte schon Stellenangebote, aber die waren nicht sehr attraktiv. Wegziehen aus Halle kam auch nicht in Frage. Nach einigen Anstrengungen fing ich an, ehrenamtlich im Eine-Welt-Haus zu arbeiten.

Damals kochte der Rassismus in Deutschland hoch. Ich habe dazu Vorträge in Schulen gehalten und Flyer entwickelt. Da kam der Geschäftsführer auf mich zu: „Karamba, ich habe eine ABM-Stelle beantragt, willst Du das machen?“ „Nein, erklärte ich. Ich bin Chemiker, das ist nicht mein Bereich. Ich will in ein Labor.“ Daraufhin sagte er: „Das, was Du doch sowieso ehrenamtlich machst, das haben die genehmigt, warum willst Du das nicht?“ Ich antwortete ihm: „Na gut, in Ordnung, ich mache es.“

Und dann bin ich durch das ganze Land gereist, habe Vorträge vor Schulklassen gehalten. So wurde Interkulturelle Arbeit zu meinem beruflichen Mittelpunkt. Je mehr ich in diesem Bereich arbeitete, desto mehr gefiel es mir.

HalleSpektrum: Irgendwann sind Sie der SPD beigetreten. Wie kam das?

Diaby: Ja, aber da war noch etwas dazwischen. Ich war sieben Jahre lang ehrenamtlicher Vorsitzender der Heinrich-Böll-Stiftung in Sachsen-Anhalt.

Später fragte mich Rüdiger Fikentscher, ob ich für den Stadtrat in Halle kandidieren möchte und ich sagte „ja“.

 HalleSpektrum: Und wer hat Sie dann für den Bundestag aufgestellt?

Der SPD-Stadtparteitag hat mich als Bundestagskandidat aufgestellt und auf der Landesvertreterversammlung zur Aufstellung der Landesliste für die Bundestagswahl wurde ich auf Listenplatz 3 gewählt.

 HalleSpektrum: Dann war Wahlkampf und die Bundestagswahl. Das war ein Medienereignis; sowohl vorher als auch nachher.

Diaby: Meinen Wahlkampf haben Hunderte von Medienvertretern aus aller Welt begleitet. Auslöser war ein unsäglicher Artikel im Nachrichtenmagazin „Spiegel“.

 HalleSpektrum:…das war der mit der toten Taube?

Diaby: Genau. Im „Spiegel“ bezeichneten sie meine Kandidatur als „Experiment“ und beschrieben die Stadt Halle als Hochburg des Rechtsextremismus. Dieser unsägliche Artikel hat dazu geführt, dass von „Superillu“ bis Al „Jazeera“ alle nach Halle kamen.

Dann habe ich denen erst einmal die Stadt gezeigt: Marktplatz, Frankesche Stiftungen, Händelhaus, Universität und so weiter.

 HalleSpektrum: Sie haben dann also Stadtmarketing betrieben?

Diaby: Ja, und sie sind dann alle begeistert wieder zurückgefahren.

Wir überspringen jetzt den ganzen Wahlkampf und seinen Ausgang – und reden über Ihre ersten Tage im Bundestag. Auch hier waren die Medien auf Sie gerichtet. Die Mitteldeutsche Zeitung berichtete in dichter Folge über Ihre ersten Orientierungsversuche im Bundestag und Ihren Arbeitsalltag. Nach einiger Zeit hörten sie aber auf damit – warum?

Diaby: Das  war von Anfang an als befristetes Projekt gedacht. Geplant war das Projekt vom ersten Tag bis zur Regierungsbildung. Ich werde immer wieder darauf angesprochen, warum ich denn aufgehört hätte. Ich erkläre dann immer den Leuten, dass das nicht meine Kolumne, sondern ein Projekt der Mitteldeutschen Zeitung war. Die zeitliche Begrenzung der Kolumne war vorher vereinbart worden.

HalleSpektrum: Dann kam es ja auch zur Regierungsbildung. Stichwort Große Koalition. Die Entscheidung, eine Große Koalition zu bilden, war ja nicht nur innerhalb der SPD umstritten, denn rechnerisch wäre ja auch Rot-Rot-Grün gegangen.

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Dr. Karamba Diaby, Bundestagsabgeordneter. „Offizielles“ Foto. (c) Ute Langkafel

Diaby: Rot-Rot-Grün wäre nicht gegangen, denn es hat im Wahlkampf eine klare Aussage des Spitzenkandidaten Peer Steinbrück gegeben. Die Koalitionsverhandlungen waren dann sehr langwierig. Im Ergebnis fand ich, dass viele gute und wichtige Positionen im Koalitionsvertrag enthalten sind. Die doppelte Staatsangehörigkeit zum Beispiel. Es war ja eine Errungenschaft der Rot-Grünen- Regierung unter Gerhard Schröder gewesen, dass Kinder ausländischer Eltern, die hier geboren und aufgewachsen sind, die deutsche Staatsbürgerschaft bekamen. Aber man musste einen Kompromiss mit den Bundesländern schließen. Und der bedeutete, dass sich diese Kinder in späteren Jahren für eine der beiden Staatsangehörigkeiten entscheiden mussten. Das ist nun abgeschafft und die Kinder können unter bestimmten Bedingungen ihre Staatsbürgerschaften behalten.

HalleSpektrum: Sie sind ja im Bundestag in mehreren Ausschüssen. Wie funktioniert das eigentlich, wer entscheidet, wer in welche Ausschüsse geht?

Diaby: Da muss man sich richtig förmlich bewerben, seine Referenzen und Kompetenzen angeben, was man auf dem jeweiligen Gebiet in den letzten Jahren gemacht hat. Man kann seine Wünsche angeben: erster Wunsch, zweiter Wunsch und so weiter. Ich hatte den Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung, den Familienausschuss und den Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe angegeben. Gewählt wurde ich dann in den Bildungsausschuss und den für Menschenrechte, in letzterem wurde ich dann gleich stellvertretender Vorsitzender.

HalleSpektrum: Sie sind also schon in den Ausschüssen, wo Ihre Kernkompetenzen liegen.

 Diaby: Genau, aber Umwelt hätte ich vielleicht auch noch gerne gehabt. Man muss aber sagen, dass es schon ein außerordentliches Glück bedeutet, in diesen Wunschausschüssen zu sitzen.

HalleSpektrum: Zum Thema Bildung, was ja eindeutig einer Ihrer Interessenschwerpunkte ist: Ist Bildung nicht Ländersache?

Diaby: Wir sind ja angetreten, das Kooperationsverbot komplett aufzuheben. Bisher durfte der Bund nur kurzfristig und sehr begrenzt die Arbeit der Hochschulen fördern, beispielsweise durch Vergabe von Fördergeldern für abgegrenzte und zeitlich befristete Projekte. Eine Grundförderung der Hochschulen war bislang verboten. Dasselbe Verbot gilt auch für Schulen. Wir haben uns in der Koalition nur teilweise durchsetzen können. Wir konnten aber das Kooperationsverbot für Hochschulen aufheben. Dazu musste sogar das Grundgesetz geändert werden und zwar der Artikel 91b GG, was erstaunlich geräuschlos vonstattenging. Das ist ein großer Erfolg und das betone ich auch immer wieder. Der Bund kann sich jetzt im Ausbau der Hochschulen dauerhaft engagieren. Bedingung ist aber, dass diese Förderung von überregionaler Bedeutung sein muss. Damit können wir aber leben.

Das Thema Schulen ist leider ein ideologisches Problem. Dabei ist der Zugang zu Schulbildung eine tragende Säule für die soziale Gerechtigkeit. Bayern kann mehr Geld für Schulen ausgeben als beispielsweise Sachsen-Anhalt. Dadurch entstehen Ungleichheiten. Darüber müssen wir in Zukunft reden.

Nehmen wir auch mal das Beispiel Flüchtlinge. Wir haben jetzt über eine Million Flüchtlinge bei uns. Viele von ihnen sind entweder im Ausbildungs- oder Schulalter. Wir sind der Meinung, dass diese Menschen jetzt in Ausbildungsprogramme gehören – hier muss der Bund sich engagieren. Deshalb fordern wir, das Kooperationsverbot allgemein aufzuheben.

HalleSpektrum: Zuletzt zum Thema Sicherheit. Der Amoklauf von München oder auch Ansbach, aber auch die Terroranschläge von Paris: Wie diskutiert Ihre Fraktion darüber?

Diaby: Es sind schreckliche Taten, die sich schnell nacheinander ereignet haben und mein Mitgefühl gilt den Familien und Freunden der vielen Opfer. Mit Besonnenheit und Vernunft müssen wir nun darauf reagieren und für mehr Sicherheit sorgen. Das wird aber nicht durch den Einsatz der Bundeswehr im Inneren geschehen, denn dafür ist die Polizei zuständig. Deshalb hat die SPD-Bundestagsfraktion bereits vor den Taten in München und Ansbach die Aufstockung der Bundespolizei in den nächsten 3 Jahren um 3000 zusätzliche Polizisten gefordert und auch durchgesetzt. Das ist ein wichtiger Weg, um mehr Sicherheit zu schaffen.

 HalleSpektrum: Eine abschließende Frage haben wir noch: Was haben sie im Rahmen Ihrer Tätigkeit im Bundestag besonders positiv bzw. negativ erlebt?

 Diaby: Ich mache das mal an den Entscheidungen fest, die ich als Bundestagsabgeordneter mitgetragen und unterstützt habe. Das Wichtigste war aus meiner Sicht die Aufhebung des Kooperationsverbots, dann aber auch die Einführung des Mindestlohns. Allein in Sachsen-Anhalt profitieren vom Mindestlohn 50.000 Menschen. In meiner früheren Tätigkeit in der Sozialberatung sind mir ja oft Menschen begegnet, die mit einem Lohn von vier Euro in der Stunde nach Hause gingen. Das waren dann sogenannte Aufstocker. Da habe ich mich sehr gefreut, dass wir den Mindestlohn eingeführt haben und zwar flächendeckend. Es gab da ja immer wieder Stimmen, die sagten, die Ostdeutschen in ihren Plattenwohnungen und den billigeren Lebensumständen können ja ruhig etwas weniger bekommen, da reichen ja auch fünf Euro. Da haben wir gesagt: „Nein, wir führen den Mindestlohn bundeseinheitlich ein und das ist auch gut so“. Und dann habe ich mich gefreut, dass die Länder bei den Kosten der Bildung entlastet wurden. Das betrifft ja nicht nur die Aufhebung des Kooperationsverbots. Wir haben die BAföG-Kosten übernommen. Das heißt letztendlich, dass wir für die Universitäten in Sachsen-Anhalt 30 Millionen Euro mehr zur Verfügung haben. Außerdem haben wir das BAföG modernisiert. Ab dem 1. August dieses Jahres bekommen Schüler und Studenten mehr Geld und der Kreis der Empfänger hat sich vergrößert, was ein wichtiger Schritt hin zur Bildungsgerechtigkeit ist.

HalleSpektrum: Es redet ja auch keiner darüber, wie sehr beispielsweise Bayern dadurch entlastet wurde.

Diaby: Ja, genauso wie kaum einer darüber redet, wie sehr auch Europa in den Kommunen hier investiert. Wir reden ja jetzt gerade über Brexit und die Leute sagen, Europa ist ganz weit weg und Europa macht nichts. Die Leute können ja gar nicht wissen, was Europa macht, wenn die Politiker vor Ort ihnen es nicht sagen.

Aber ich komme noch mal auf Ihre Frage zurück, was negativ war: Wenn man in der Politik ist, muss man einige Kompromiss eingehen, die man eigentlich nicht will. Man sollte sich einmal vor Augen führen: Bei der Bundestagswahl hatte die CDU/CSU etwa 42 Prozent der Stimmen erhalten, wir nur 25. Die Kompromisse, die wir da schließen müssen, muss man vor diesem Hintergrund sehen. Zum Beispiel haben wir unsere Forderung nach  Gleichstellung der gleichgeschlechtlichen Ehe noch nicht durchsetzen können.
Es ist für mich sehr schwierig, wenn man mit dem Koalitionspartner in manchen wichtigen Punkten einfach nicht vorankommt. Das ist manchmal so wie in einer Ehe, wobei eine Koalition ja zum Glück nur eine Beziehung auf Zeit ist.

HalleSpektrum: Können Sie sich vorstellen, nächste Legislaturperiode wieder anzutreten?

Diaby: Ich bin sehr gerne Abgeordneter und ich habe auch noch sehr viele Themen, die mich umtreiben, wie etwa die Aufhebung des Kooperationsverbots im Bereich Schule. Ein weiteres wichtiges Thema ist die Lohndiskriminierung zwischen Frauen und Männern, die wir als Sozialdemokraten beenden wollen. Es muss endlich der Grundsatz gelten: gleicher Lohn für gleiche Arbeit.

Zudem muss die Ost-West-Rentenangleichung kommen. Gleichzeitig sage ich hier aber auch, dass durch die Angleichung und mit dem Wegfall der Höherwertung der Ost-Renten ein Teil der heutigen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer Nachteile haben wird. Damit die Nachteile in Zukunft gering ausfallen, muss es über die Rentenpolitik hinaus zu einem Umdenken in der Lohnpolitik kommen. Mit den Arbeitnehmervertretungen und Gewerkschaften werde ich mich deshalb weiterhin dafür einsetzen, dass die Tarifbindung ausgebaut wird und gute Löhne bezahlt werden. Darüber hinaus muss die Lebensleistung von Menschen honoriert werden. Deshalb will ich mich weiterhin für die Einführung der solidarischen Lebensleistungsrente einsetzen. Denn wer sein ganzes Leben hart gearbeitet hat, der muss eine Rente erhalten, die mehr bietet als nur das reine Existenzminimum.

Es gibt auf jeden Fall noch viel zu tun und wenn meine Partei mir das Vertrauen ausspricht, will ich gerne wieder als Bundestagsabgeordneter antreten.

HalleSpektrum: Herr Diaby, wir danken Ihnen für das Gespräch.

 

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