Hallesche Bundestagsabgeordnete zum Thema „Glyphosat“

20. Juli 2016 | Politik | 4 Kommentare

Vor zwei Wochen haben wir hier im Spektrum ein Interview mit Prof. Dr. Matthias Kästner, einem Leipziger Mikrobiologen, veröffentlicht. Nach dem Gespräch hat uns interessiert, wie denn unsere drei halleschen Bundestagsabgeordneten sich zu dem europäischen Reizthema verhalten. Besonders deshalb, weil die Region Halle zu den bedeutendsten landwirtschaftlichen Erzeugergebieten zählt, und Landwirtschaft eine der wenigen Sparten des Landes ist, die kontinuierlich schwarze Zahlen schreibt. Grundlage sind nicht nur die enormen Betriebsgrößen, sondern auch die mächtigen Schwarzerdeböden. Aber wie lange werden die noch halten? „Pfluglose Landwirtschaft“ soll eigentlich diese Böden vor Zersetzung schützen, aber wer nicht pflügt, muß die Beikräuter, die unweigerlich unter der Feldfrucht wachsen, entfernen. Bisher gab es dazu ein praktisches Mittel: Glyphosat, vertrieben von dem umstrittenen Konzern Monsanto. Es ist ein Totalherbizid, ein Unkrautvernichter, der Pflanzen innerhalb weniger Tage zum Absterben bringt. In letzter Zeit ist das Mittel in die Diskussion geraten, vor allem, wegen sich widersprechenden Meldungen, es sei möglicherweise krebserregend. Nach längeren Diskussionen verlängerte die EU-Kommission jüngst die Ende 2015 ausgelaufene Genehmigung um weitere 18 Monate bis Ende 2017.

"Roundup" von Monsanto, ein Totalherbizid mit dem Wirkstoff Glyphosat.

„Roundup“ von Monsanto, ein Totalherbizid mit dem Wirkstoff Glyphosat.

Hier nun die Antworten der drei halleschen Bundestagsabgeordneten zu unseren Fragen:

Wie bewerten Sie die Entscheidung der EU Kommission zum Thema Glyphosat?

Petra Sitte (Linke):

In der Entscheidung der EU-Kommission, lediglich die aktuelle Zulassung um 18 Monate zu verlängern, zeigt sich große Verunsicherung. Diese Verunsicherung ist nicht nur das Ergebnis einer – zugegebenermaßen sehr polarisierten, nicht immer sachlichen – öffentlichen Debatte, sondern ergibt sich vor allem aus sich widersprechenden wissenschaftlichen Einschätzungen und einem intransparenten Zulassungsverfahren. Wir wollen eine ernsthafte Prüfung aller Einwände und bis die abgeschlossen ist, will die LINKE den Stoff aus der Vorerntebehandlung verbannen, weil hier das größte Risiko des Eintrags in die Nahrungskette besteht.

Glyphosat

Glyphosat

Christoph Bergner (CDU):

Die Kommission hat kürzlich unter Berücksichtigung der streng wissenschaftlichen Bewertung des Wirkstoffs durch die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit sowie durch zuständige Behörden der Mitgliedstaaten die Genehmigung von Glyphosat zunächst bis Ende 2017 verlängert und dazu Anwendungsbeschränkungen beschlossen.
Bis dahin wird ein weiteres Gutachten der Europäischen Agentur für chemische Stoffe erarbeitet, nach dem neu entschieden werden wird. Nun obliegt den EU-Staaten, selbst zu entscheiden, ob sie in ihrem Land Glyphosat-basierte Pflanzenschutzmittel zulassen, verbieten oder deren Nutzung einschränken wollen. Ich halte diese Entscheidung, die ein Kompromiss zwischen den EU-Mitgliedstaaten darstellt, für richtig.
Dass sich die Bundesrepublik Deutschland in der Abstimmung unter den Mitgliedstaaten enthalten hat, sehe ich dagegen kritisch und hätte für Zustimmung plädiert.
Für eine Verlängerung der Erlaubnis des sachgerechten und bestimmungsgemäßen Einsatzes von Glyphosat spricht der aktuelle Bericht im Rahmen der EU-Neubewertung von Glyphosat (erarbeitet durch das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit, das Bundesinstitut für Risikobewertung, das Julius Kühn-Institut und das Umweltbundesamt). Auf Grundlage zahlreicher neuer Studien und Erkenntnisse ist man darin zu dem Ergebnis gelangt, dass Glyphosat die Anforderungen des EU-Rechts für die Genehmigung von Pflanzenschutzmittelwirkstoffen erfüllt. Die Weltgesundheitsorganisation WHO hat diese Einschätzung bestätigt: Von Glyphosat gehen bei sachgerechter Anwendung keine Gefahren für die Gesundheit von Mensch und Tier (auch nicht für Bienenvölker) aus.

Karamba Diaby (SPD):

Ich halte die Entscheidung für falsch. Nach wie vor bestehen Unsicherheiten hinsichtlich der gesundheitlichen Risiken des Pflanzenschutzmittels Glyphosat. Solange diese Unsicherheiten nicht ausgeräumt sind, spricht sich die SPD-Bundestagsfraktion gegen eine Verlängerung von Glyphosat aus. Die SPD-Bundesministerinnen und -Bundesminister sind deshalb auch bei ihrem „Nein!“ zu einer Verlängerung der Zulassung für Glyphosat geblieben.

Welche Auswirkungen hat diese Entscheidung Ihrer Meinung nach auf die Landwirtschaft in Sachsen-Anhalt, sowohl in wirtschaftlicher Hinsicht, als auch auf die Umwelt, z.B. die Artenvielfalt und auf die menschliche Gesundheit?

Victor Karrus, "Grain for the State", KUMU Tallinn, 1954

Victor Karrus, „Korn für den Staat“, KUMU Tallinn, 1954

Petra Sitte (Linke):

Durch die Verlängerung um weitere 18 Monate wird der Status Quo beibehalten, d.h. Landwirte können dieses und nächstes Jahr Glyphosat weiter – stärker eingeschränkt als bisher, bestimmte Beistoffe werden verboten – einsetzen. Wenn es nach der Prüfung durch die Europäische Chemikalienagentur (ECHA) zu keiner Neuzulassung kommt, müssen die Landwirtinnen nach einer Übergangsfrist auf Alternativen umsteigen. Das Julius-Kühn-Institut hat 2016 Untersuchungen zu chemischen und mechanischen Alternativen sowie deren wirtschaftliche Kosten vorgelegt. Ihr Ergebnis lautet: Im Ackerbau ist Glyphosat fast überall durch mechanische Bodenbearbeitung zu ersetzen und bringt keine wesentlichen Mehrkosten mit sich. Ausgenommen werden Standorte, die wegen Erosionsgefahr bereits pfluglos arbeiten. 

Christoph Bergner (CDU):

Die Betriebe, die bisher Glyphosat anwenden, müssen nicht auf andere Mittel zurückgreifen, die im Einzelfall deutlich problematischer sein können als Glyphosat. Beim Einsatz von Glyphosat kommt es meines Erachtens darauf an, die richtigen Zulassungsauflagen zu wählen – wie wir sie übrigens auch jetzt schon klar definiert haben – und diese zu kontrollieren.
Vergessen wir auch nicht, dass Zulassungen wie die für Glyphosat nicht unbefristet erteilt werden, sie sind begrenzt auf maximal 15 Jahre. Im Fall von Glyphosat schlug die Kommission sogar eine Zulassungsverlängerung von 18 Monaten vor. Eine solche Zulassung kann auch jederzeit überprüft werden, sobald es Hinweise darauf gibt, dass ein Wirkstoff nicht mehr sicher ist. Das ist im Fall anderer Wirkstoffe übrigens bereits mit der Folge der Zulassungsentziehung geschehen.

Karamba Diaby (SPD):

Die Entscheidung der EU-Kommission hilft weder den Befürwortern von Glyphosat noch den Gegnern. Die einen finden die Verlängerung der Zulassung zu kurz (Agraindustrie oder auch Teile der Landwirtschaftsverbände); für andere sind weitere 18 Monate Glyphosat auf den Feldern genau 18 Monate zu viel (Umwelt- und Verbraucherschützer). Ich plädiere hingegen vielmehr dafür, dass wir alles daran setzen, die Nahrungs- und Lebensmittelproduktion grundsätzlich nachhaltig und ökologisch verträglich zu gestalten – im Sinne unserer Gesundheit, unserer Umwelt, zum Erhalt der Artenvielfalt. Dazu gehört aber ehrlicherweise auch, dass wir alle unser Ess- und Konsumverhalten auf den Prüfstand stellen. Eine nachhaltige und ökologische Landwirtschaft oder auch die Abkehr von Massentierhaltung hin zu artgerechter Haltung bedeuten, dass wir Nahrungsmitteln auch einen höheren Wert beimessen müssen. Die Devise „möglichst viel und möglichst billig“ steht dem entgegen. Das heißt in der Konsequenz ehrlicherweise auch, dass Nahrungsmittel teurer werden, denn die Landwirtinnen und Landwirte müssen auch von ihrer Arbeit leben können.

Wie bewerten Sie die Art und Weise der Entscheidungsfindung zwischen den EU Mitgliedsstaaten und EU Kommission?

Petra Sitte (Linke):

Die EU-Kommission hat mehrfach die Position der Mitgliedstaaten abgefragt und Abstimmungen verschoben, als klar war, dass es keine qualifizierte Mehrheit gibt, die ihren Plänen zur Wiederzulassung zustimmt. Hier war ein politisches Ping-Pong-Spiel zu beobachten. Weil bei so einer qualifizierten Mehrheit für die Wiederzulassung 55 % der Mitgliedstaaten (16 von 28) dafür stimmen und diese mindestens 65 % der EU-Bevölkerung repräsentieren müssen, ist das Votum von Deutschland so wichtig. Doch war sich die Große Koalition hier völlig uneins: während SPD-Umweltministerin Barbara Hendricks gegen die Wiederzulassung eintreten, sind das CSU-geführte Landwirtschaftsministerium von Christian Schmidt und Bundeskanzlerin Angela Merkel für eine Neuzulassung. Für verschärfte Auflagen stimmten am 11.07.2016 in Brüssel die Vertreter von 22 EU-Staaten. Deutschland enthielt sich. Es ist aus LINKER Sicht nicht nachvollziehbar, warum sich Deutschland auch bei der Abstimmung über die schärferen Auflagen enthalten hat, die doch dem Vorsorgeprinzip entgegenkommen.

Christoph Bergner (CDU):

Ich halte es für einen großen Vorteil in der Europäischen Union, dass es keine Hegemonialmacht gibt, sondern dass alle mitentscheiden können. Insofern verstehe ich die jetzt getroffene Entscheidung der zeitweisen Verlängerung und gleichzeitigen Neuüberprüfung als Suche nach dem Ausweg aus einer Situation, in der verschiedene Auffassungen aufeinandertreffen.

Karamba Diaby:

Da auf EU-Ebene weder die für eine Verlängerung noch die für eine Ablehnung der Zulassung notwendige Mehrheit zustande kam, konnte die EU-Kommission letztlich allein entscheiden. Das sehe ich kritisch. In Europa gilt nicht ohne Grund das „Vorsorgeprinzip“. Solange die Unsicherheiten nicht ausgeräumt sind, hätte die EU-Kommission im Sinne der Verbraucherinnen und Verbraucher entscheiden müssen. Das haben die SPD-Bundestagsfraktion und die SPD-Bundesministerinnen und -Bundesminister auch sehr deutlich gemacht.

 

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