„Erschießungen und Zwangsarbeit“: Landesbeauftragte bestürzt über Partei „DIE LINKE“

6. März 2020 | Politik | 6 Kommentare

Die Landesbeauftragte Sachsen-Anhalt zur Aufarbeitung der SED-Diktatur, Birgit Neumann-Becker, hat sich heute zu den Äußerungen des LINKE-Politikers Bernd Riexinger auf den redebeitrag einer nicht namentlich bekannten Veranstaltungsteilnehmerin in Kassel geäußert. Der Vorgang ist auf einem Video dokumentiert: https://www.youtube.com/watch?v=fN–klIm3DQ

Neumann-Becker: Ich bin bestürzt über Äußerungen zu Gewalt bei Konferenz aus Reihen der Partei „Die Linke“ in Kassel.
Als Beauftragte  des Landes Sachsen-Anhalt berate ich Frauen und Männer, die die ihre eigene politische Verfolgung durch die SED und das Verfolgungsschicksal in der Familie aufarbeiten. Die Folgewirkungen politischer Gewalteinwirkung sind bis heute tiefgreifend.
Die Aufarbeitung kommunistischer Gewaltherrschaft ist nicht abgeschlossen. Unter Stalin in der Sowjetunion und zwischen 1945 und 1989 im gesamten Ostblock wurden hunderttausende Menschen erschossen. Die Folgen dieser Gewalttaten wiegen bis heute schwer.
Mehr als 160 Frauen und Männer wurden vom Sowjetischen Militärtribunal allein in Halle (Saale) zum Tode verurteilt und zwischen 1950 und 1952 in Moskau erschossen. Die meisten von ihnen sind nach 1990 durch die Militärstaatsanwaltschaft Moskau, also eine russische Stelle, posthum rehabilitiert worden. Die Urteile wurden damit aufgehoben und als rechtswidrig erkannt.
Hinterrücks erschossen wurden Menschen am Eisernen Vorhang in ganz Europa bis 1989 im Namen des Sozialismus.
Landwirte – also „Reiche“ ‑ wurden als „Großgrundbesitzer“ mit vorgehaltener Waffe unter Bedrohung für Leib und Leben nach 1945 bis zur vollständigen „Kollektivierung“ der Landwirtschaft bedroht, vertrieben und enteignet. Millionen Menschen sollten durch Arbeit umerzogen werden: im GULag in der Sowjetunion, aber auch 350.000 Jugendliche in den Jugendwerkhöfen der DDR, Tausende Häftlinge, die auf unbestimmte Zeit als „Asoziale“ in Arbeitslagern der DDR inhaftiert waren. All das wirkt nach.
Der Deutsche Bundestag hat deshalb im vergangenen Jahr zu Recht die SED-Unrechtsbereinigungsgesetze novelliert und in Anerkenntnis der schweren Menschenrechtsverletzungen in der DDR den Kreis der zu Rehabilitierenden erweitert.

Die Äußerungen in Kassel lösen bei mir Bestürzung und Besorgnis aus besonders im Blick auf die Opfer kommunistischer Gewaltherrschaft und ihre Angehörigen. Die Vorstellungen, „Reiche zu erschießen“, enthebt sich ohnehin jeglicher Diskussion – angesichts der Blutspur des Kommunismus jedoch löst dieser Satz Bestürzung aus.

Der Kommentar durch den Parteivorsitzenden „wir erschießen sie nicht, wir setzen sie schon für nützliche Arbeit ein“ enthält die Machtvorstellung eines „wir“, das sich über Recht hinwegsetzt für das vermeintlich höhere Ziel des Sozialismus. Diese Attitüde gehört zum Grundproblem von Diktaturen und Gewaltherrschaften. Sie ist eine Bedrohung unserer demokratischen Werteordnung.

Die Aussagen in Kassel sind immerhin nicht Teil des Programms der Partei „Die Linke“. Im Blick auf die Aufarbeitung kommunistischer Diktaturen und der SED-Diktatur mit ihren Folgen, ist hier jedoch Klärungsbedarf offensichtlich geworden. Ein solcher Satz und die damit verbundenen Reaktionen verhöhnen die Opfer.

Nicht nur, dass ehemals politische Verfolgte noch immer die Anerkennung von Verantwortung und auch Informationen zur Aufklärung und Aufarbeitung erwarten, zu der auch Mitglieder der Nachfolgepartei beitragen könnten.
Es geht um die Anerkennung und Würdigung der durch kommunistische Herrschaft bereits in der Vergangenheit verursachten Verletzungen von Grundrechten durch die Nachfolgepartei. Dieses Problem ist angeklungen in Kassel und dies – so sieht es aus – will innerhalb der Partei „Die Linke“ weiter geklärt werden.

Die Opfer kommunistischer Gewaltherrschaft und der SED-Diktatur und die Öffentlichkeit dürfen zumindest dies erwarten.

 

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