Die Mitläufer

18. September 2018 | Politik | 19 Kommentare

Gegendemonstration in Köthen, Foto: Igor Matviyets

„Es sind unschöne Zeiten, in denen wir leben… Wir alle müssen die offene Gesellschaft verteidigen!“ Dr. Diaby in Köthen

In Zusammenhang mit den Demonstrationen von Köthen sind viele Medien in ein Schema von Rechts und Links verfallen. Wir haben uns im HalleSpektrum gefragt, wo war eigentlich die politische Mitte? Kann man von links sprechen, wenn allein drei Bundestagsabgeordnete (die ich erkannt habe) in der Gegendemonstration mitgelaufen sind? Kann man von links sprechen, wenn sich  jüdische Menschen gegen bekennende Rechtsextreme positionieren? Und ist es die noch die bürgerliche Mitte, wenn Bürger dem Aufzug der Rechtsextremen Beifall bekunden oder sich in deren Reihen einordnen, obwohl dort verfassungsfeindliche Symbole und verfassungsfeindliche Faschistengrüße gezeigt werden (Hitler hat auf diese Handbewegung kein Copyright, auch wenn er es „deutschen Gruß“ genannt hat)? Gerade über die Mitläufer in rechten Demonstrationen hat sich Frau Juna Grossmann, jüdische Blogerin, Gedanken gemacht. Diesen Beitrag dürfen wir hier übernehmen, dafür herzlichen Dank:

Die Mitläufer

„In Chemnitz liefen ja nicht nur Nazis oder Rechtsradikale mit, sondern auch Menschen aus der Mitte. Was denken Sie von diesen Menschen?“ So oder so ähnlich wurde ich in der vergangenen Woche gefragt. Ich weiß nicht mehr, was ich antwortete, doch die Frage wirkte nach.

Was eigentlich ist schlimmer? Ich bleibe bei dem, was ich schon immer sagte, mir ist es lieber, ich sehe jemanden den Hass auf Juden an, er äußert sich klar und abwehrend als jene, die mit ihrem „Ich hab ja nichts gegen Juden, aber…“ das Land bevölkern. Und diese sogenannte Mitte, die mitlief? Habe ich Verständnis? Verständnis dafür, dass sie etwas zum Ausdruck bringen wollten? Nein, habe ich nicht. Denn diese Mitläufer, im wahrsten Sinne, kommen nicht erst auf die Idee, in einem freien Land zu leben und sich andere Wege zu suchen, als den, mit Nazis unwidersprochen mitzulaufen. Wie viele der Mitläufer haben gesagt, dass sie den Marsch verlassen, als die Hitlergrüße gezeigt wurden? Wie viele, als der Hass laut propagiert wird? Sichtbar waren sie nicht. Widerspruch in den Reihen der Marschierenden?

Es ist das immer gleiche Bild und die Frage: Was ist gefährlicher? Es sind die Menschen, die sich selbst nicht als rechts, als Nationalsozialisten, als irgendwas sehen und dennoch aufschließen in die rechten Reihen. Es sind die Menschen, die nichts sagen, die still sind und den Hass und die Gewalt als kleineres Übel sehen – so, wie es auch in der Politik nicht erst seit gestern als kleineres Übel gesehen wird, wenn Hass die Macht übernimmt. Die Macht übernimmt über Straßen, über Orte und Städte und vor allem über Menschen.

Gehen Sie auf die Straße für mehr Kindergärten …

Es sind die Mitläufer, die alles möglich machten und machen. Die den wenigen aktiven das Podium geben, die Bestätigung, den Auftrieb, den Rückhalt. Es sind die Mitläufer, die mit ihren Schritten Zustimmung zeigen und immer noch sagen „Ich bin ja nicht rechts.“ Das mag sein. Doch Sie zeigen es nicht. Sie zeigen, dass Sie zustimmen und wundern und beklagen sich, dass Sie gleichgestellt werden? Sie haben es einzig und allein sich selbst zuzuschreiben. Mitleid können Sie nicht erwarten. Und doch haben Sie Themen, die Sie ansprechen möchten? Dann tun Sie es. Tun Sie es ohne Hass. Gehen Sie auf die Straße für mehr Kindergärten, für bessere Bedingungen in der Pflege, in der Bildung. Gehen Sie auf die Straße, wenn Sie die Ungleichbehandlung von Ost und West in den Gehältern ungerecht finden. Gehen Sie auf die Straße, reden Sie mit Ihren Abgeordneten darüber, was Sie bewegt. Dafür gibt es Bürgersprechstunden. Gehen Sie in Parteien ohne Hass, engagieren Sie sich dort oder in gemeinnützigen Vereinen. Ändern Sie selbst etwas in dem Land, in dem die Änderung eben nicht mehr nur von oben verordnet wird, sondern in dem jeder etwas selbst beitragen kann. Doch tun Sie eines nicht: seien Sie nicht der Boden, auf dem der Hass gedeiht, denn das sind Sie, mit jedem einzelnen Schritt, den Sie tun in den Reihen von Pegida, AfD und Co. Sie sind es, wie es schon immer die Mitläufer waren. Und dann, dann haben Sie das alles wieder nicht gewollt.

Juna Grossmann, Beitrag zuerst erschienen am 16.09.2018 in Irgendwiejüdisch

Am Schluss möchten wir auf das Buch von Frau Grossmann hinweisen:

Schonzeit vorbei : Über das Leben mit dem täglichen Antisemitismus

Grossmann, Juna

Verlag: Droemer/Knaur (2018)

Kartoniert, Großformatiges Paperback. Klappenbroschur, 160 S.

ISBN-13: 978-3-426-27775-1, 14,99 €

Print Friendly, PDF & Email
19 Kommentare

Kommentar schreiben