A143: Stell Dir vor, es ist Podiumsdiskussion, und erst einmal geht keiner hin.

31. Juli 2018 | Politik | 6 Kommentare

Zu einer großen Podiumsdiskussion zum Streit um die A143 hatte die Bürgerinitiative Saaletal eingeladen. Um 20 Uhr in der Aula der Saaleschule in Trotha sollte es losgehen, und auf das Podium geladen waren unter anderem: OB Bernd Wiegand, Vertreter aller an der Landesregierung beteiligten Parteien, die Industrie- und Handelskammer, die Handwerkskammer, der Landrat  des Saalekreises usw. Als Moderation hatte man die Heinrich-Böll-Stiftung angefragt („N.N.“)

19:50 h:

In der Saaleschule herrscht viel Betrieb. Auf dem Schulhof wird gefeiert, gezeltet, in der Turnhalle türmt sich Gepäck. Es ist aber nicht das erwartete Publikum zur Veranstaltung, sondern Teilnehmer der „Tour de Natour“, die auf ihrer Radfahrt durch die Bundesrepublik  hier zwischenkampieren. Es riecht nach Kräutertee, und schwäbisches Idiom näselt allerortern über dem im Rekordsommer gleissenden Schulhof.

20:00 h :

Der Veranstaltungsraum, die Aula, in der die Podiumsdiskussion stattfinden soll, ist leer. Im Hintergrund baut ein Team vom  MDR die Kamera auf, auch ein Hörfunkmann ist da, außerdem ist da jemand von der MZ, unterhält sich mit ein paar sich inkludiert fühlenden Online-Redakteuren diverser Hallescher Plattformen, man druckst sich herum, tauscht Wissen ausrückende Blicke aus.

20:10

„Isch hier die Podiumsdischkussion? fragt eine Dame mit grüner Tasse und weißem Hemd, die den Saal betritt.

20:15 h

Ein junger Mann mit Laptop gibt sich als Veranstalter zu erkennen, auf Nachfragen teilt er mit, dass die Eingeladenen ausnahmslos abgesagt haben, mit verschiedenen Begründungen, wobei die Aussage überwiegt, man wolle sich wegen des laufenden Gerichtsverfahrens nicht öffentlich äußern. Eingeladen worden sei vor 5 Wochen, die meisten Absagen habe man heute erst erhalten, sagt Conrad Kunze, Sprecher der BI Saaletal.

20:20 h

Langsam kleckern mit Teetassen-bewaffnete Naturschützer von der „Tour de Natour“ im Saale ein.

20:25 h

„Wir werden schon irgendwas improvisieren“, heißt es von der BI. Auf dem Podium sollen nun sitzen: Andreas Liste und Conrad Kunze.

20:40 h:

Liste und Kunze sitzen auf dem Podium. Sie haben sich Namensschilder auf zwei gelben A4-großen Karten gemalt, allerdings kann man die rosa Textmarkerschrift darauf nicht lesen.

20:43 h

Zwei weißbekittelte Damen haben einen schwarzen  Edding gefunden, und ziehen die rosa Schrift leserlich nach.

20:46 h

Ein spontanes Podiumsmitglied, das zuvor schon aus Verlegenheit dem MDR Interviews gegeben hat, ließ sich überreden, mit aufs Podium zu kommen. Er ist Jan Riedel, er hat bei Change.org eine Online-Petition für die A143 gestartet (ca. 3500 Unterzeichner + einige Unterschriften auf Papier).

Jetzt bedarf es nur noch einer Monderation. Eine der Damen von der Fahrradtour erklärt sich spontan bereit. Ihren Namen erfährt man nicht. Sie habe zwar nicht viel Ahnung, worum es konkret bei der A1483 gehe, sagt sie entschuldigend ins Mikrophon, das nun auch nach einigem Probieren funktioniert, aber schließlich seien aus ihrer Erfahrung alle Diskussionen um Autobahnen immer gleich.

20:50 h

Der Saal ist mittlerweile gut gefüllt, es geht los. Jeder der Podiumsteilnehmer solle ein fünfminmütiges Statement abgeben, schlägt die Moderatorin vor.

„Ich hätte gerne eine Landkarte, wo man drauf sehen kann, worum es eigentlich geht“, verlangt jemand aus dem Publikum. Gibt es sowas wie eine Powerpoint-Präsentation?“

Die gibt es nicht, aber Jan Riedel ist gut organisiert, er kann auch Offline: Auf einem A5-Zettel markiert er einen Kreis, der Halle vorstellen soll, außerdem ein paar Striche drumherum, die die existierenden Autobahnen und das geplante Teilstück vorstellen sollen. Er hält es dem Publikum in der Aula hoch, die MDR-Kameras versuchen sich, heran zu zoomen.

Topografie des Saalekeises. Nach derSchedeslschen Weltchronik eines der wishtigsten kartografischen Werke de Region.

(Später wird Herr Liste selber einen Zettel malen, es herrscht Mediengleichheit, selbes Format, selber Stift, aber eine etwas andere geografische Projektion)

Los gehts mit dem Statement von Jan Riedel: Reden kann er, freundlich, sicher, ein smarter Kerl. Zunächst betont er, eigentlich auch Radfahrer zu sein, täglich fahre er fünf Kilometer, früher hatten er und seine Frau zwei Autos, nun nur noch eins, das fährt seine Frau. Beide wohnen in Dölau, und einer von ihnen müsse nach Magdeburg, das sei schwer zu erreichen, da man lange Zeit brauche, um von Dölau auf die A14 zu gelangen. Natürlich habe er Verständnis für die Gegner der A143 schließlich ginge es da durch ein „ökologisch schwieriges Gelände“.  Seine Petition hat er im April gestartet. Er verspricht sich von der Autobahn eine Entlastung, spricht von etwa 3000 Fahrzeugen täglich. Da er selbst an einer Hauptverkehrsstraße wohnt, versteht er die Sorgen der Hallenser, von denen ca. 10.000 an solchen stark belasteten Durchgangsstraßen wohnen. Er betont, auch Menschen (also nicht nur die Natur) seien schützenswert. Und die 340 Millionen € für Umweltschutzmaßnahmen an dem modifizierten, geplanten  Reststück seien ein tragfähiger Kompromiss.
Abschließend hat er eine persönliche Bemerkung: Seit der Veröffentlichung seiner Petition erhält er pauschalisierende und oft persönlich beleidigende Kommentare, wobei die harmlosesten noch die seien, wo er als Vertreter der Autolobby und der Bauwirtschaft bezichtigt werde. Das trifft ihn persönlich sehr, denn nichts liegt ihm eigentlich ferner, dem es eben auch um Umwelt geht. Er engagiert sich selbst für alternative Verkehrskonzepte, für fahrscheinslosen Nahverkehr usw, aber all das könne nicht ad hoc alle Probleme lösen. Er ärgert sich über die Ideologisierung des Themas. Teile des Publikums geben zaghaften Beifall.

 

2.

Kunze macht es kurz. Er verweist auf den Klimawandel, der unstrittig da sei, (worauf Riedel ihm sofort zustimmt) . Deutschland schaffe seine Klimaziele nicht, und Europa spotte mittlerweile, man sehe weltweit auf dieses Land: “ Ihr und eure Autos“. Wie Riedel hasst auch Kunze  Verkehrslärm. Aber die A143 sei keine Lösung. Er verweist auf die A5-Karte, die Liste gemalt hat: da gibt es die bereits bestehende Bundesstraße 86, weiter westlich, die Trasse könne man notfalls auch ausbauen, und mit Lärmschutz versehen. Dann brauche man das Reststück A143 nicht mehr zwingen.

 

3.

Jetzt ist Andreas Liste dran. Der Umweltschützer, der die Medien ständig mit ellenlangen Statements überhäuft, brilliert vor dem Publikum mit prägnanten, wohlüberlegten Ausagen und Fachkunde.  Das ist einer der erstaunlichsten Aspekte dieses bunten Abends. Natürlich gibt es erst einmal Politikerschelte: Sich vor einer Veranstaltung zu drücken, aber vorher sich gleichhzeitig in den Vorzugsmedien präsentieren, ginge gar nicht.

 

Jahrzehnte lang betreibe man einen Fehler, die Umverteilung des Güterverkehrs von Bahn auf die Straße, und von den Lagern auf den Verkehrsraum Nur noch 8% des Warenverkehrs in Mitteldeutschland werde über die Bahn abgewickelt, Tendenz weiter fallend, was der Steuerzahler subventioniere, sagt Liste.

Halle werde vom Verkehr angefahren, es gehe nicht um den Konflikt „Durchgang“ vs. „Umfahrung“.  Und Liste wird grundsätzlich: 66 Hektar pro Tag werden in der Bundesrepublik  an Flächen versiegelt – im Koalitionsvertrag haben sich die Partner auf etwa die Hälfte als erträgliches Maß geeinigt.

Wer sage, der Mensch sei wichtiger und ein schützenswertes Gut, der solle bitte erkennen, dass der Mensch Teil der Natur sei und auf sie angewiesen ist (und Liste holt aus, Bienen, Bestäubung, Ernährung usw)

Auch das ÖPNV-Angebot müsse wieder besser werden, seit der Wende seien massenhaft funktionierende Buslienien im ländlichen Raum abgebaut worden. Durch den Autobahnbau werde die Stadt keine Entlastung finden, eher im Gegenteil, mit dem Autobahnbau entstünden mehr Zufahrten.

Liste schwebt ein ökologischer Umbau der Wirtschaft vor:

  1. Transporte minimieren. Regionalisierung der Produktion.
  2. Umladung von Gütern auf die Bahn, hier gäbe es freie Kapazitäten.
  3. Fahrscheinloser Nahverkehr.

Nach ein paar hilflosen Nachfragen der Moderatorin, wie denn die lokale Politik dazu stehe, kommt unisono die Antwort: das sei irrelevant, jetzt seien die Messen gesungen, die Gerichte entscheiden.

Es geht auf zehne zu…

Nun darf das Publikum Fragen stellen, es ist mittlerweile 22:00 h.

Ein älterer Herr hat einen grundsätzlichen Einwand. In Halle sterben täglich zumindestens zwei Menschen an Feinstaub.

Ein weiterer Diskussionsteilnehmer fragt Andreas Liste, wo er denn wohne. „Sie wohnen doch im Paulusviertel“. Der Fragende wohnt oder wohnte in Trotha, und Liste erläutert ihm erneut wo das eigentliche globale Problem läge usw.

Hallespektrum wählte den Hinterausgang, Schlafsäcke übersteigend, und wünscht der Delegation, die zufällig eines Provinztheaters  gewahr werden durfte, eine gute Reise.  Sie werden sich wie zuhause gefühlt haben, das ist sicher.

 

 

 

 

 

 

 

 

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