Ökolandbau im Aufwind
21. Juli 2016 | Nachrichten, Natur & Gesundheit | 2 KommentareIm Zusammenhang mit der aktuellen Diskussion um Pro und Kontra des Totalherbizids Glyphosat hat uns interessiert, wie eine Landwirtschaft ohne synthetische Agrochemie funktionieren kann. Dazu hat Hallespektrum den Ökohof Tuch bei Ziegelroda an der südlichen Grenze Sachsen-Anhalts besucht.
Das ehemalige Vorwerk eines Rittergutes wurde 1998 von Familie Tuch erworben und schrittweise wieder aufgebaut. Seit dieser Zeit widmen sich die Tuchs dem ökologischen Landbau. 2013 übernahm Sohn Holger Tuch die Regie über den Hof und beschreitet nun neue Wege. Außerdem organisiert Herr Tuch seit mehreren Jahren den Bio-Abendmarkt in Halle auf dem Hallmarkt. Wir haben ihn besucht und uns in die Geheimnisse der pfluglosen Bodenbewirtschaftung einweihen lassen, die er seit 2014 auf seinen Feldern betreibt.
Pfluglose Landwirtschaft
Die pfluglose Bewirtschaftung wird im Ökolandbau seit 30 Jahren von Friedrich Wenz im Rheintal praktiziert. Der Landwirt hat eine Methode entwickelt, die er in Jahreskursen an Interessierte weitergibt, um eine nachhaltige Bodenbewirtschaftung mit Vermehrung des Humusgehaltes zu ermöglichen. Dazu wird nach der Ernte sofort ein Gründüngungsgemisch ausgesät, das bis zur nächsten Aussaat stehenbleibt. Mit einem eigens dafür entwickelten Gerät (EcoDyn-Sägrubber) wird diese Zwischensaat in einem einzigen Arbeitsgang gemäht, grob zerkleinert und darunter das neue Saatgut ausgebracht. Die Mulchschicht wird von Bakterien aerob (mit Hilfe des Luftsauerstoffs) zu sofort verfügbaren Nährstoffen zersetzt. Im Gegensatz dazu würde die Zersetzung im Boden nach dem Unterpflügen anaerob (ohne Sauerstoff) durch Fäulnisbakterien erfolgen. Die dabei entstehenden Stoffe schädigen die Mikroflora des Bodens und führen zur Vernichtung der Humusschicht. „Wir im Ökolandbau müssen selbstkritisch zugeben, dass wir durch intensive Bodenbearbeitung in der Vergangenheit zur Humusvernichtung beigetragen haben“, so Holger Tuch.
Auf meine Frage nach den Erträgen seiner Felder im Vergleich zur konventionellen Landwirtschaft antwortete Holger Tuch: „In guten Jahren kann man im konventionellen Landbau auf den doppelten Ertrag pro Hektar kommen. In trockenen Jahren werden diese Erträge aber nicht erreicht. Unter der Mulch- und Humusschicht wachsen auf meinen Feldern gesündere, widerstandsfähigere Pflanzen (erkennbar am höheren Zuckergehalt der Blätter). Widerstandsfähiger gegenüber Bakterien, Pilzen und Wassermangel. Das ist auch einer der Gründe, die einen Verzicht auf chemische Dünge- und Schädlingsbekämpfungsmittel ermöglichen. Mein Ertrag hat sich in den letzten 2 Jahren verbessert, und ich hoffe, es ist noch nicht das Ende der Fahnenstange erreicht“.
Und der Arbeitsaufwand?
Und wie ist es mit dem Arbeitsaufwand im Vergleich zur herkömmlichen Landwirtschaft? „Das kann man nicht direkt vergleichen, aber mein Arbeitsaufwand hat sich durch das neue Verfahren deutlich verringert“. Gespritzt wird im Ökolandbau übrigens auch, aber keine Agrochemie, sondern ein eigens hergestelltes Bakteriengemisch (Composté), das als Symbionten die Bodennährstoffe für die Pflanzen verfügbar macht.
Auf den Feldern von Holger Tuch wachsen auf 26 ha Ackerland Weizen, Roggen, Dinkel, Hafer und Gerste, daneben Lein und Leindotter für die Ölherstellung. Auf 0,7 ha werden verschiedene Kräuter für die Tee- und Gewürzherstellung angebaut. Die wenigen Hühner und Rinder bereichern das Hofleben. Zwischen dem Getreide stehen immer wieder bunte Feldblumen, und es summt und brummt von Bienen und Hummeln. „Wo ist das Problem? Nach der Ernte wird das Getreide gesiebt, da gibt es keine störenden Unkräuter“. Verkauft wird im eigenen Hofladen oder an jedem 1. Donnerstag im Monat auf dem Bio-Abendmarkt in Halle (Hallmarkt).
Glyphosat?
Und was sagt Holger Tuch zum Glyphosat? „Glyphosat allein ist wahrscheinlich gar nicht so problematisch. Toxisch wird es zusammen mit dem Netzmittel Talowamin. Das Stroh des kurz vor der Ernte behandelten Getreides ist übrigens nicht als Futtermittel zugelassen. Das Getreide als Nahrungsmittel schon. Und Monsanto wäre vermutlich gar nicht böse, wenn das inzwischen lizenzfreie Mittel vom Markt kommt. Sie arbeiten bereits an einem Nachfolgemittel, einem Ableger des aus dem Vietnamkrieg bekannten Agent Orange“.
AK
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Volle Zustimmung in Bezug auf Saatgut.
Beim Glyphosat werden unsere Meinungen wohl weiter auseinandergehen.
Zum Thema „Ertrag“ ist aber wohl noch nicht das letzte Wort gesprochen. Wenn die beschriebene Methode eine nachhaltige Bodenverbesserung (verstärkte Humusbildung) bewirkt, werden die Erträge höher, im Gegensatz zum konventionellen Landbau, der zur Auslaugung und Verschlechterung führt. Neben Resistenzentwicklung, Zunahme von Krankheiten und Abnahme der Artenvielfalt durch Monokulturen. Hier sollte (und wird) in die Forschung und Entwicklung investiert werden.
Da mag er recht haben, der gute Bauer Tuch, wenn er weniger den Wirkstoff Glyphosat, als das Netzmittel im Blick hat. Das haben ja auch schon andere von Hallespektrum interviewte Experten bemerkt. Nur das Netztmittel „Tallowamine“, das als möglicherweise Gefahrenauslösender Hilfsstoff ernsthaft dikutiert wird, ist in konventionellen Haarpflehemitteln als Pflege- und waschaktive Substanz bisher unbeanstandet geblieben: https://www.google.de/url?sa=t&source=web&rct=j&url=http://www.cir-safety.org/sites/default/files/pgcoca072015_FAR.pdf&ved=0ahUKEwiNg4WrwIXOAhUqEJoKHQArBHgQFggqMAQ&usg=AFQjCNGpDTcW3jp8AB3AJlEyQZO9nZl_Xg&sig2=CnVbe6i5nWGq96KUvMG6vw
Einen Chemiker irritiert das.
Noch mehr irritiert, dass Befürworter und Gegner der Glyphosat-Mixturen wie die Katze um den heißen Brei streichen. Konventionelle Bauern werden natürlich, wenn sie bei der (auch von mir favorisierten) pfluglosen Landwirtschaft bleiben wollen, entweder die Methode des Bauern Tuch favorisieren (-50% Ertrag, bei gleichbleibenden Kosten, das ist mutig), oder, m.E. schlimmer, zu zugelassenen, aber weniger intensiv geprüften Herbiziden greifen (genau so mutig).
Beides wird den Interessen von Monsanto (und möglicherweise auch Bayer, wenn der Deal klappt) erheblich zuwider laufen. Denn Monsanto macht seine Geschäfte nicht mit Glyphosat, denn das Patent auf den Wirkstoff ist längst abgelaufen.
Monsanto vermarktet Saatgut, hier insbesondere Soya und Mais, das gegen Glyphosat immun ist. Säen, wachsen lassen, und Glypho spritzen. Die guten Pflanzen wachsen, die bösen sterben. Das garantiert etwa 25 % höhere Ernteerträge, und für den Inhaber der Genpatente Milliardengewinne. Bauern dürfen allerdings ihr Saatgut nicht nachzüchten, nicht einmal dann, wenn es ihr Eigenes ist, aber zufälligerweise von umherfliegenden patentierten Pollen befruchtet wurde. Ein Verbot von Glyphosat würde den Konzern Monsanto in Schwierigkeiten bringen, weil er sein (in der EU ohnehin nicht zugelassenens) Saatgut nicht verkaufen kann. Nicht wegen des Verkaufsausfalls des Mittels an sich. Monsanto könnte seine glyphosatresistenten Zuchtlinien verbrennen. Wir müssen entscheiden, ob wir Patente uf genmanipoliertes Saatgut – und damit schlichtweg Monopolisierung der Natur auf molekularer Ebene – zulassen wollen. Dagegen bin ich radikal. In der Jungsteinzeit wurden Grund und Boden privatisiert, jetzt ist die Natur auf moleklarer Ebene dran. Die Folgen sind Versklavung und Abhängigkeit. Aber den Kampf gegen Glyphosatat halte ich aus naturwissenschaftlicher Sicht für eine Sackgasse. Der Weg heißt: Keine Patente auf genetische Information, keine Patente auf genmanipuliertes Saatgut. Dann brauchen wir über das m.E. harmlose Glyphosat nicht mehr reden.