Klimagewalten im Landesmuseum – Wo bleibt der Mensch?

10. März 2018 | Natur & Gesundheit | 5 Kommentare

Wir erinnern uns der Worte unseres Landesvaters zur Ausstellungseröffnung: Wer die Ausstellung nicht gesehen habe, habe umsonst gelebt. Vermutlich möchte es daher fast kein Hallenser versäumen, im Landesmuseum die Sonderausstellung „Klimagewalten – Treibende Kraft der Evolution“ zu besuchen. Doch manch einer verlässt sie mit gemischten Gefühlen und offenen Fragen. Wieso gibt es keine direkten Informationen zum Klimawandel, den wir heute sehen (oder auch nicht sehen wollen)?

Frau Dr. Brock begrüßt Gäste und Diskussionsteilnehmer

Skepsis oder sogar Empörung. „Wen spricht man da an? Die Grünen!“ So wurde es gestern bei einer Podiumsdiskussion formuliert, zu der der Stadtverband BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Halle (Saale) Wissenschaftler und Politiker geladen hatte. Im Hörsaal des Landesmuseums waren etwa 75 Gäste anwesend, um Beiträgen von Prof. Dr. Claudia Dalbert (Ministerin für Umwelt, Landwirtschaft und Energie des Landes Sachsen-Anhalts), Dr. Andreas Marx (Mitteldeutsches Klimabüro, Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung UFZ) und Dr. Frank Steinheimer (Zentralmagazin Naturwissenschaftlicher Sammlungen, Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg) zu lauschen. Und um selber Fragen zu stellen. Die sachkundige Diskussionsleitung übernahm Dr. Inés Brock (Fraktionsvorsitzende der Grüne im Stadtrat).

Was ist das für eine Ausstellung? Klima wird als Naturgewalt dargestellt. Aber wo ist der Mensch als Ursache? „Klimakrise Mensch“ war daher das Thema des gut besuchten Diskussionsabends. Kurz gesagt ist es so zu sehen, dass der jetztzeitige Klimawandel (bzw. Klimakrise) eingebettet ist in die natürliche Klimagewalt, welche anhand der Ausstellung im archäologischen Landesmuseum hervorragend beleuchtet wird. Es wird die Entwicklung der Säugetiere seit Beginn ihres Aufstiegs vor 65 Millionen Jahren bis zum Ende der letzten Eiszeit ins Blickfeld gerückt, ein langer Zeitraum, in dem es meistens deutlich wärmer als heute war. Begünstigt wurde dadurch die Vielfalt der entstehenden Arten, eine evolutionäre Anpassung von Fauna und Flora an das Klimageschehen. Nur dem Menschen ist es (bisher) gelungen, die Evolution zu überwinden und mit Kultur und Intellekt auf den stetigen Klimawandel zu reagieren. Aber auch, aktiv einzugreifen: Mit negativen Folgen. Der Mensch ist Verursacher der derzeitigen Klimakrise, und er wird der Verlierer sein, wenn es ihm nicht gelingt, eine für ihn lebensnotwendige Klimastabilität zu schaffen.

Von links: Dr. Marx, Prof. Dr. Dalbert, Dr. Brock, Dr. Steinheimer

Klimakrise Mensch

Von den geladenen Gästen werden Fakten zusammengefasst. In der 21. UN-Klimakonferenz wurde als Grenze der globalen Erwärmung ein (deutlich unter) 2 °C-Ziel festgelegt. Im Vergleich zum vorindustriellen Zeitalter soll die Erwärmung möglichst nur 1,5 °C betragen, alles darüber wird gefährlich. Bereits heute messen wir in Sachsen-Anhalt jedoch eine Erwärmung von 1,3 °C! Die Landesregierung hat bedeutende CO2-Einsparungen geplant, effiziente Maßnahmen werden bis Ende 2018 identifiziert werden, so Ministerin Dalbert.
Frank Steinheimer, der mit den naturwissenschaftlichen Sammlungen der Universität auch an der Ausstellungskonzeption beteiligt war, zählt alle wissenschaftlich nachweisbaren Faktoren auf, die einen natürlichen Klimawandel immer wieder forcieren. Geologisch scheinen wir heute in einer Abkühlungsphase zu sein. Nun kommt aber der Mensch ins Spiel, was wir an verstärkten Auswirkungen messen können, beispielsweise dem Meeresspiegelanstieg. Mit dem Menschen gesellt sich zu der CO2-Problematik das Bevölkerungswachstum und der ökologische Fußabdruck dieser sich enorm ausbreitenden Spezies. Dr. Steinheimer formuliert sechs politisch brisante Themen, die hinsichtlich der Klimastabilität für den Menschen angegangen werden müssen. Der auch in der Politikberatung aktive Leiter des Mitteldeutschen Klimabüros, Dr. Andreas Marx, umschreibt die Klimakrise Mensch insbesondere mit den hohen Konzentrationen an Treibhausgasen und der Überbevölkerung, die sich zukünftig an hohen Flüchtlingszahlen ablesen lassen werde (- und wir alle würden mit unseren Familien weiterwandern!). Da sich jede natürliche Population selbst regele, seien bei weiterem Temperaturanstieg Kriege in bisher ungeahntem Ausmaß unvermeidlich, ergänzt F. Steinheimer.

Wurde die Ausstellung sinnvoll konzipiert?

Ministerpräsident Dr. Reiner Haseloff: „Wer die Ausstellung nicht gesehen hat … „

Das Publikum stellt eine Reihe von Fragen. Unter anderem wird auch Kritik am Ausstellungskonzept geäußert, insbesondere mit den dargestellten, relativ unkommentierten Zukunftsszenarien. „Sie spielen mit dem Spannungsverhältnis!“ F. Steinheimer erwidert, dass die Ausstellung hypothetische Szenarien über die nächsten zehntausend Jahre darstelle. Sogar bewusst wenig kommentiert, damit der Besucher Fragen stelle und selber weiterdenke. Hätte man zudem Wahrscheinlichkeiten einer Entwicklung thematisieren wollen, wären Klimaforscher mit zu beteiligen gewesen. Die Möglichkeiten des Landesmuseums seien jedoch andere. Die Ausstellung zeige anhand archäologischer Befunde, dass Mensch und Tier immer vom Klima beeinflusst wurden. „Archäologie ist die Interpretation von Fakten nach der größten Wahrscheinlichkeit.“ Für die Jetztzeit belegen die Fakten etwas Anderes: Der Mensch beeinflusse das Klima. Messbar und in dieser Geschwindigkeit nie dagewesen. Auch die unübersehbaren Aussterbe-Ereignisse infolge der Klimakrise seien darin begründet, dass der Mensch den natürlichen Ausweichbewegungen der Tiere heute – im Gegensatz zur bisherigen Erdgeschichte – im Weg stehe. Was sehen wir selbst? Die drastisch gesunkene Anzahl von Insekten, mit Auswirkungen auf weiteren Ebenen (z.B. Vogelschwund), ist für Mitglieder der älteren Generation unübersehbar.
Ein wichtiges Anliegen der Ausstellung sei es, zu bilden. So werden täglich rund zwei bis drei Schulklassen auch aus anderen Bundesländern durch die „Klimagewalten“ geführt, sodass sie die Möglichkeit erhalten, die Gedanken und Anregungen aus der Ausstellung weiterzutragen. Ebenso für Erwachsenenführungen, an denen rund 50 % der Besucher teilnehmen, gelte, dass Teilnehmer eine Diskussionsgrundlage geboten bekämen. In der Theorie würde die Gefahr der menschengemachten Klimakrise von den meisten verstanden werden. Die wenigsten würden jedoch selbst aktiv.

Nichts weniger als die Lebensgrundlage des Menschen ist bedroht

Ministerin Dalbert stellt die Frage: Was ist unsere heutige Aufgabe? Wir müssen der Klimakrise entgegenwirken, in allen uns möglichen Bereichen (Verkehr, Wohnen, Industrie, Landwirtschaft, Energie). Es gäbe keinen Plan B, auch keinen Planeten B. Wir haben jedoch die Möglichkeit, Ziele über Legislaturperioden hinaus zu verfolgen. Und während Unternehmen bereits reagieren, sei die Bundespolitik oftmals zögerlich mit konkreten Beschlüssen. A. Marx betont, dass wir in Deutschland eine relativ gute Ausgangssituation für eine Anpassung haben. Völkergerechtigkeit ist als zentrale Komponente zu sehen: In den Ländern, wo sich die Klimakrise am stärksten auswirken wird, seien die strukturellen Voraussetzungen für eine Anpassung am schlechtesten. F. Steinheimer ergänzt, dass das krisenhafte Bevölkerungswachstum nur mit Hilfe von Bildung und der Stärkung der Rechte der Frauen einzuschränken sei.

Nicht nur die Bienen sind bedroht, sondern auch der Mensch.

Das Publikum fragt auch nach konkreten Beispielen, wie Sachsen-Anhalt in Ländern der Dritten Welt wirkungsvoll aktiv wird. Da viele monetäre Projekte vor Ort meist nur als Lobbyarbeit Auswirkung zeigten, seien Beispiele wie ein Forschungsprojekt an den Hochschulstandorten Stendal/Magdeburg zur Wasseraufbereitung am Toten Meer deutlich zielführender und förderungswürdig (C. Dahlbert). Dass bei der Entwicklungszusammenarbeit auch kulturelle Aspekte eine sehr große Rolle spielen, verdeutlicht A. Marx anhand eines Beispiels.
Was aber als Kernpunkt anzusehen ist, ist folgendes: Nicht die Politik ist primär gefragt, sondern jeder selbst ist gefordert. In seinem Wahlverhalten. In seinem Urlaubsverhalten. Im Konsumverhalten. Und vieles mehr. Reicht es, sich z.B. als Tierschützer für eine bestimmte Art einzusetzen? Oder müssten wir nicht sehen: Letztendlich geht es um nicht weniger als die Lebensgrundlage der Menschen. Sie ist bedroht wie nie und benötigt „eigentlich“ die Aktivität jedes Einzelnen!

Dr. Steinheimer drückte es so aus: Faktenmaterial muß nicht mehr erhoben werden, wir wissen genug über den menschengemachten Klimawandel. Wir müssen das Sterben der Insekten nicht mehr erforschen, sie sind schon fort.

AS. Fotos: AS u. TK

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