Gärtnern mit Frost ohne Frust

Schlüsselblume keimt erst nach Kälteeinwirkung

Frost lässt Pflanzen nicht nur absterben, sondern kann für die Entwicklung mancher Gewächse sogar notwendig sein. Viele an das mitteleuropäische Klima angepasste Arten verlangen niedrigere Temperaturen zum Keimen. In der Natur hat das den „Zweck“, dass die Samen erst nach dem Winter keimen. Typische Kaltkeimer sind Winterweizen, Küchenschelle, Schlüsselblumen oder Bärlauch. Bei diesen Kaltkeimern wird die Samenruhe (Dormanz) durch tiefe Temperaturen von −5 bis +5 Grad Celsius gebrochen und innerhalb 4 bis 8 Wochen dafür gesorgt, dass sich das Verhältnis von keimhemmenden und keimfördernden Substanzen im Saatgut zugunsten der keimfördernden Substanzen verschiebt. Neben diesen Kaltkeimern gibt es echte Frostkeimer, wie z. B. Enzian. Im Bereich Gartenbepflanzung handelt es sich dabei zumeist um alpine Stauden aus kälteren Gegenden, die dickere und härtere Samenschalen als üblich haben. Sie quellen durch Feuchtigkeitsaufnahme auf und reißen bei Frost. Im Samenkorn der Kaltkeimer verhindert Abzisinsäure eine sofortige Keimung. Während der Kälteperiode wird die keimungshemmende Abzisinsäure von Enzymen mit einem optimalen Wirkungsgrad bei niedrigen Temperaturen abgebaut. Jetzt kann das pflanzliche Wachstumshormon Gibberellinsäure Enzyme aktivieren, die gespeicherte Fette, Stärke und Eiweiße abbauen und für den Stoffwechsel verfügbar machen. Nach dem Ende der winterlichen Kältephase kann der Keimling also wachsen.

Pflanzenhormone

Übrigens bei Wüstenpflanzen verhindern phenolische Verbindungen an Stelle der Abzisinsäure das vorzeitige Keimen im trockenen, vegetationsfeindlichen Sommer. Erst wiederholter Regen sorgt für ein Auswaschen dieser Hemmstoffe; der Keimprozess kann gestartet werden.
Dank Kühlschrank (aber nicht im Tiefkühler!) kann man die Kälteeinwirkung jederzeit imitieren. Aber dann passt kein Bier mehr rein.

H.J. Ferenz