Zeitreise mit Zeitkapsel aus Weißenfels ins Kaiserreich von 1897

19. Juli 2017 | Kultur | Keine Kommentare

Bei Arbeiten zur Neugestaltung des Marktplatzes in Weißenfels wurde kürzlich von Mitarbeitern des Landesmuseums für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt aus den Fundamentresten eines fast vergessenen Kaiser-Wilhelm-Denkmals eine verzierte Zinndose mit Dokumenten aus dem Jahr 1897 geborgen. Sie war dort bei der Grundsteinlegung eingemauert worden. Die Rettung der Zinnkapsel kam zur rechten Zeit.

Zeitkapsel Außenansicht

Denn die darin enthaltenen Dokumente drohten durch eindringende Feuchtigkeit verloren zu gehen. Die zugelötete Schatulle aus Zinkblech wurde, wie Restaurator Heiko Breuer beschrieb, am Boden aufgeschnitten, die feuchten fragilen Dokumente behutsam entnommen und durch Gefriertrocknung vor dem weiteren Zerfall bewahrt. Bei den Dokumenten handelt es sich um die Aufstellung des Etats der Stadtkasse 1896/97, einen Bericht des Magistrats an die Stadtverwaltung 1895/96sowie zwei Zeitungen von 1897.
An das Reiterdenkmal, das einst den Weißenfelder Marktplatz beherrschte, werden sich nur noch wenige Einwohner erinnern, denn es wurde 1949 zerstört. Sowohl seine Errichtung als auch seine Zerstörung sind gut dokumentiert.

Errichtung des kaiserlichen Reiterdenkmals

Um 1890 wurde in den zahlreichen Vereinen der Stadt Weißenfels die Idee geboren, Kaiser Wilhelm I. auf dem Marktplatz ein Denkmal zu errichten. Die Finanzierung sollte durch freiwillige Spenden erfolgen. Bis 1896 erbrachte die unter großer Begeisterung der Bevölkerung durchgeführte Sammlung über 60.000 Mark. Daraufhin wurde am 100. Geburtstag von Kaiser Wilhelm I. (22.03.1897) unter dem Vorsitz des Ersten Bürgermeisters Wadehn ein Ausschuss gebildet, „um zum dauernden Gedächtniß des Reichsgründers ein Denkmal zu errichten.“Dieser Beschluss wurde durch eine feierliche Grundsteinlegung auf dem Marktplatz besiegelt. Die Lage des Grundsteines wurde wie folgt dokumentiert: „Zieht man eine gerade Linie von der Kante des Rathauses (Ecke Marienstraße) zur Grenze der Häuser Markt 12 und 13, und geht dann von der Grenze der Häuser Markt 11 und 12 etwa 22,10 Meter zur vorherigen Linie, findet man am Schnittpunkt beider Linien die Stelle, an der die Urkunden feierlich eingelegt wurden.“ Mit dem Grundstein wurde die jetzt geborgene Zeitkapsel deponiert.
Es wurde 1897 ein Wettbewerb für das Denkmal ausgeschrieben, den nach einem Gutachten des Berliner Bildhauers Prof. Alexander Calandrelli der Bildhauer Ernst Wenckgewann. Ein Festpreis von 60.000 Mark wurde für das Reiterdenkmal vereinbart. Nach Abnahme des Gussmodells im Atelier Wenck wurde das Modell an die Berliner Gießerei Schäffer &Walcker zum Guss übersandt.Am 18.August 1900 erfolgte die feierliche Enthüllung desüber 4m-hohen Denkmals in Gegenwart des Prinzen Friedrich Heinrich von Preußen als Vertreter des Kaisers. An den Sockelseiten des Denkmals waren 2 Reliefs angebracht die Szenen aus der Vergangenheit der Stadt zeigen. Das erste Relief zeigte Kronprinz Friedrich Wilhelm beim Empfang auf dem Markt. Das zweite Relief zeigte Friedrich den Großen an der brennenden Saalbrücke.
Auf katastrophale Umweltbedingungen in Weißenfels lässt der folgende Hinweis schließen: Die Bronzegießerei Gladenbeck in Friedrichshagen wurde1901 mit der Nachbehandlung aller Bronzeteile des Denkmals beauftragt, da diese infolge der rußigen Luft in der Innenstadt keine Patina ansetzen. Das markante Reiterdenkmal überstand unbeschädigt den 1. und 2.Weltkrieg.

Entfernung des Kaiserdenkmals

Am 04. März 1946 erschien in der Zeitung FREIHEIT ein kurzer Bericht, wo man sich rhetorisch fragte, warum das Kaiser-Denkmal noch auf den Marktplatz steht. Den sofortigen Abriss des Denkmals verhinderte aber der Russische Stadtkommandant. 3 Jahre war dann nichts mehr in der Presse zu lesen. Aber als dieser Kommandant 1949 versetztwurde,erging von Oberbürgermeister Jünger die Anweisung an Stadtrat Winter (Stadtbauamt): „Gemäß Beschluss des Rates der Stadt und nach Vorlage der Zustimmung des politischen Offiziers der Kreiskommandantur Weißenfels, ist mit der Abtragung des Denkmals auf dem Marktplatz unverzüglich zu beginnen.“ Das Kaiser-Wilhelm-Denkmal wurde am 8. März 1949, dem Frauentag, vernichtet. Übereifrige „Jugendbrigaden“ trennten das Denkmal ab und schleiften es durch die Straßen in die Eisengießerei in der Großen Deichstraße. Die örtliche Zeitung „Freiheit“ feierte dies am 9. März 1949:

Plumps, da liegt er

„Spät fällt er – doch er fällt!“ könnte man frei nach Schiller sagen. Wer fällt? – Da ist er schon gefallen! Der Vollbartrauschende, Säbelklirrende, Hufklappernde Ex-Kaiser Wilhelm auf dem Marktplatze zu Weißenfels. „Der Große“, wie metallisch-verrostet uns ein garantiert geschmacklos verziertes Schild am Sockel seines gewaltigen Standbildes einreden will. Nun ist der Große klein geworden. Ganz klein. Und hat den bronzenen Kopf verloren, sein Streitroß den stolzen Schweif. Durch das entstandene Loch am kaiserlichen Hals enthüllt sich sein Inneres. Das ist hohl. Hohl wie sein ganzes Staatssystem und sein preußisch-militaristisches Heldentum. Und wie er da mit einemmal mitten unter das Volk geraten ist, wird ihm angst und bange. Er hat sich ja schon immer nicht mehr recht wohl gefühlt in der neuen frischen Luft, die ihm seit einiger Zeit so unangenehm scharf um die kaiserliche Nase wehte. Aber starr und steif, hoch aufgereckt, hatte er das Kaiserreich seines Nachfolgers, eine so genannte Demokratie und auch die „glorreichen tausend Heldenjahre“ überdauert. Bis dann so ein Arbeiter im blauen Schlosseranzug -Kaiser Wilhelm geruht, sich allerhöchst noch einmal vor Entsetzen zu schütteln – ohne jede Furcht, aber um so konsequenter, mit einem ganz und gar unromantischen Schneidbrenner die Beine seines Rosses durchbrennt. Worauf er kraft seiner Schwere zu Boden plumpst. Wie gesagt, reichlich spät. Mehr als drei Jahre hätte er dazu Zeit gehabt. So geschah es erst zum Internationalen Frauentag im Jahre 1949. Als eine Kampfansage gegen die Reaktion und damit gegen den Krieg, dessen berufenster Vertreter auch dieser „tapfere Preuße“ gewesen ist. Jawohl, gewesen – auch als Denkmal in Weißenfels. Und wir weinen ihm keine Träne nach.
Und am 10.03.1949 folgte ein weiterer kleiner Zeitungsbericht:

Endlich ist „ER“ weg!

Weißenfels (Volkskorr.) Am Dienstag geschah etwas, worauf die fortschrittliche Jugend von Weißenfels schon lange gewartet hatte: „Wilhelm“ verschwand vom Marktplatz! Es wurde ja auch langsam Zeit, denn er wird sich wohl in dieser demokratischen Umgebung nicht wohlgefühlt haben. Wie mag es ihm erst am 18.3.1948 zu Mute gewesen sein, als 18.000 Menschen zu Ehren der 1848iger Revolution, die er mit niederschlagen half, demonstrierten? Doch das ist vorbei; die Kochtöpfe, die aus „Ihm“ gemacht werden, erfüllen bestimmt einen besseren Zweck!
Die bronzenen Relieftafeln sind erhalten geblieben und befinden sich heute im Schlossmuseum Weißenfels.Bilderstürmer hat es zu allen Zeiten gegeben. Statuen wurden als Symbole überholter Machtverhältnisse häufig zerstört oder zumindest entstellt.

H.J. Ferenz

 

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