Willkommen in Thietmars Welt!

23. Juli 2018 | Kultur | Keine Kommentare

Am kommenden Mittwoch vor 1.042 Jahren, also am 25. Juli 976, wurde Thietmar von Merseburg geboren. Aus diesem Anlass möchten wir noch einmal auf die  Sonderausstellung „Thietmars Welt. Ein Merseburger Bischof schreibt Geschichte“ im Merseburger Dom und in der Curia Nova (Willi-Sitte-Galerie) und unseren Bericht darüber (am 15. Juli) hinweisen:

Vor 1000 Jahren, im Jahr 1018, starb Thietmar von Merseburg, einer der wichtigsten Chronisten des Mittelalters. Sein Werk ist eine der Hauptquellen über den frühesten Abschnitt der deutschen Geschichte, der Zeit der sächsischen Könige und Kaiser von Heinrich I. über die drei Ottos bis Heinrich II.. Am Sonntag, 15. Juli 2018, eröffnete auf dem Domberg in Merseburg die neue Sonderausstellung „Thietmars Welt. Ein Merseburger Bischof schreibt Geschichte“. Bis zum 4. November können geschichtsinteressierte Besucher in das Frühmittelalter aus dem Blickwinkel des Merseburger Bischofs abtauchen. Hallespektrum erhielt bereits wenige Tage vor Ausstellungsbeginn die Gelegenheit, einen ersten Blick auf die Ausstellung, die noch im Aufbau begriffen war, zu werfen und wir möchten kurz erläutern, dass es sich nicht nur wegen der sensationellen 110 Exponate aus mehreren Ländern lohnt, diese Sonderausstellung zu besuchen.

Der Mann hinter dem Buch

Kurator Markus Cottin

Neben der ersten großen Dichterin, Roswitha von Gandersheim, brachte die Zeit der ottonischen Könige und Kaiser von 919 bis 1024 auch einen sehr begabten Schriftsteller hervor, Thietmar von Merseburg. Beide schrieben nicht in der Volkssprache, deutsch existierte damals noch nicht, sondern in der Sprache der römisch-christlichen Kirche, in deren Diensten beide standen, auf Latein. Thietmar entstammte einem sächsischen Adelsgeschlecht und wurde nach neuester Forschung im Jahr 976 geboren, wie der Kurator der Ausstellung, Markus Cottin, uns erläuterte. Thietmar schrieb eine Chronik seiner Zeit und versteckte sich dabei nicht trocken hinter Herrschern und Ereignissen, sondern bietet auch einen interessanten Blick in das Alltagsleben und die Hintergründe seiner Epoche, so wie er sie sah. Mit „Thietmars Welt“ wird also nicht ein berühmter Bischof, seine theologische und politische Bedeutung ist eher bescheiden, sondern ein berühmter Schriftsteller und Chronist gewürdigt.

Ein Buch öffnet sich

Im Jahr 1012 begann Thietmar mit der Niederschrift seines Werkes, das er bis zu seinem Tod 1018 fortführte. An Anfang unseres Spaziergangs durch „Thietmars Welt“ steht deswegen sein Buch, seine Erhaltung und seine Überlieferung.Wir wissen nicht, wie viele ähnliche Chroniken zu seiner Zeit geschrieben worden sind, aber von dieser haben wir Kenntnis und diese ist uns in großen Teilen erhalten. Es wird nicht unerwähnt gelassen, dass die Herstellung eines derartig umfangreichen Werkes Mühen und Kosten verursachte.

Nach Meinung der Ausstellungsmacher schildert Thietmar die Entstehung des christlichen Europa. Die Memoria, das Gedenken an die Verstorbenen im Gebet, ein Wesenszug der christlichen Liturgie, war vermutlich ein weiterer Beweggrund für die Abfassung der Chronik. Eine Memoria in Form einer Sonderausstellung hätte sich Thietmar wohl nicht träumen lassen.

Ein Bischof erzählt Geschichten

Der Ausstellungsrundgang folgt dem Inhalt der Chronik: Diese ist in der Reihenfolge der ottonischen Herrscher gegliedert. Buch 1 handelt von den Begebenheiten unter Heinrich dem I. Buch 2 handelt von Otto dem I., Buch 3 von Otto dem II., Buch 4 von Otto dem III. und die Bücher 5 bis 8 von Heinrich dem II. Die Ausstellungsräume folgen diesem Ablauf. Um den Exponaten in ihrer Rolle als Buchillustrationen voll gerecht werden zu können, empfehlen wir die Inanspruchnahme des Audioguides (3,00 € zzgl. Eintritt), mit diesem können viele der Texte Thietmars vorgelesen verfolgt werden.

Ein Bischof erzählt Geschichten

Ein Bischof fälscht selbst

Schon im ersten Buch von Thietmars Chronik, das die Zeit von König Heinrich I. behandelt, neigt der schriftstellernde Bischof zu zahlreichen Abschweifungen: Merseburg (Marsburg) ist nach seiner Ansicht von den Römern gegründet worden, er geht Geistererscheinungen auf Friedhöfen nach, schildert Menschenopfer bei den Dänen und Gebräuche der Slawen. Auch Verfehlungen Heinrich I. (z.B. Beischlaf am Gründonnerstag) lässt der Autor nicht unerwähnt. Und dabei wird klar, dass Thietmar auch immer als Chronist in eigener Sache agiert. Dem kirchlichen Volkssport, der Urkundenfälschung, um an begehrte Landstücke zu kommen, frönte Thietmar als Bischof natürlich auch, wie eine von ihm eigenhändig gefälschte Urkunde beweist. (Das angestrebte Waldstück wurde dann gleich etwas größer, wenn man schon mal dabei war!). So steht auch seine Chronik immer im Dienste seines Bistums Merseburg. Herrscher, die dieses unterstützt haben, schneiden besser ab, als die Herrscher, die das Bistum in Frage gestellt hatten. Natürlich ragt im II. Buch die Schlacht auf dem Lechfeld gegen die Ungarn 955 heraus. Hier soll Otto I. sein Gelübde abgelegt haben, dem Tagesheiligen Laurentius (10. August) im Falle eines Sieges in Merseburg ein Bistum zu errichten. Der heilige Laurentius hat deswegen für Thietmar eine besondere Bedeutung. Die Aufhebung des Bistums unter Otto II. kommt bei Thietmar verständlicherweise nicht gut weg. Eines kann man Thietmar bei seiner Fixierung auf Merseburg aber keinesfalls vorwerfen: Ein Jubelarie der ottonischen Dynastie ist sein Werk keinesfalls. Bei aller Nähe zum Herrscherhaus spart er nicht mit Kritik. Er tut dies auch gegenüber Heinrich II., dem er viel verdankte. Das Bündnis des Herrschers mit dem heidnischen Lutizen gegen die bereits christlichen Polen kritisiert er offen.

Die Exponate

Gregorplatte aus Wien

Die Bedeutung des Werkes von Thietmar liegt aber nicht nur in seiner besonderen Sicht auf die ottonische Geschichte, sondern wie die Ausstellungsmacher betonen: „Die meisten der erwähnten Ort lassen sich sicher lokalisieren und erlauben geographisch einen Einblick von Südengland bis nach Polen und Kiew sowie von Dänemark bis nach Süditalien.“ Das unterstreichen auch die 110 ausgestellten Exponate. Besonders erwähnen möchten wir Tierkopf-Pfosten und Windfahne aus Oslo als bedeutende Zeugnisse der von Thietmar beschriebenen Ereignisse verbunden mit Wikingern. Eine Eisenfessel weist auf den damals noch in Europa verbreiteten Sklavenhandel hin. Kugeltöpfe zum Kochen, Ohrringe für die schöne Frau und Schreibgriffel, Feder und Tintenhorn zum Schreiben sind Alltagsgegenstände, die wir stellvertretend erwähnen möchten. Wundervolle Elfenbeinschnitzereien sind die Gregorplatte aus Wien und ein Weihwasserkübel aus Mailand. Natürlich darf in einer Mittelalterausstellung ein Schwert nicht fehlen: Fundort Ostrów Lednicki in Polen, wahrscheinlich bis 1038 „genutzt“. Wer möchte, kann in der Ausstellung ein Osterei „slawische eirassel“ suchen.

Diese Ausstellung spiegelt nicht die Zeit vor 1000 Jahren wieder, sondern die frühmittelalterliche Welt, wie Thietmar von Merseburg sie sah und in seinem Buch konstruierte. Den Ausstellungsmacher ist dies bewusst. Das zeigt bereits der Titel der Sonderausstellung, „Thietmars Welt“, auf. Die berühmten Exponate aus mehreren Ländern sind dabei Buchillustration, nicht mehr, aber auch nicht weniger. Die Ausstellung zeigt, was am Anfang unseres christlichen Europas stand: Das Buch, nicht das Kreuz. Erfrischend ist, dass nicht die trockenen Fakten der Taten von Königen und Kaisern im Vordergrund stehen, sondern ein Mann, sein Werk und sein Blick auf seine Welt vor 1000 Jahren. Eine Welt, die uns mit vielen Bräuchen und Anschauungen fremd vorkommt, aber die uns Thietmars Blick näher bringt. Dennoch sollten wir uns bewusst machen: Es ist die „Brille“ von Thietmar, durch die wir schauen: Lassen auch Sie sich willkommen heißen in „Thietmars Welt“. Und natürlich gibt es zur Vertiefung der Sonderausstellung einen Katalog von über 500 Seiten, aber den werden wir später in einem Extraartikel besprechen.

AK und TK, Fotos: TK

Fakten der Ausstellung:

Ausstellungsdauer vom 15. Juli bis 4. November

110 Exponate aus Norwegen, Dänemark, Belgien, Italien, Tschechische Republik, Polen, Ungarn, Österreich, Schweiz und Deutschland präsentiert auf 400 m².

Als Ausstellungsmacher stellvertretend erwähnt: Markus Cottin M.A., Kurator, Prof. Jürg Steiner, Ausstellungsgestaltung und Kerstin Wille M.A., Öffentlichkeitsarbeit.

Ausstellungsorte:

Merseburger Dom, Domplatz 7

Curia Nova (Willi-Sitte-Galerie), Domstraße 15

Öffnungszeiten:

täglich 9.00 – 18.00 Uhr

Eintrittskosten:

Erwachsener | Gruppe ab 15 P. 9,00 € | 8,00 €

Azubi, Stud., ALG II | Gruppe ab 15 P. 6,00 € | 5,00 €

Schüler | Schulklasse 4,00 € | 3,00 €

Familienkarte 25,00 €

Dauerkarte Erwachsener | Schüler 22,50 € | 8,50 €

Dauerkarte Azubi, Student, ALG II 12,50 €

Führungen und museumspädagogische Angebote:

Ausstellungsführung

täglich 9.30 und 15.00 Uhr 4,00 € zzgl. Eintritt

Dauer: 90 min

Audioguide 3,00 € zzgl. Eintritt

Sonderführung

jeweils 17.00 Uhr 3,00 € zzgl. Eintritt

03.08.|05.10. Thietmar und die Heiligen

07.09.|02.11. Die Merseburger Zaubersprüche

Gruppenführung

Dauer: 60 | 90 min 50,00 € | 70,00 € zzgl. Eintritt

Sprachen: Deutsch, Englisch

Voranmeldung erforderlich

Gruppen ab 15 bis max. 35 P.

1 Reiseleiter oder Busfahrer pro Gruppe frei

Familienführung spezial

jeweils 17.00 Uhr | Dauer: 60 min 25,00 € inkl. Eintritt

Gültig für 2 Erwachsene mit bis zu 3 schulpflichtigen Kindern.

22.07.|19.08. Eine Reise durch Thietmars Geschichten

FamilienTag

jeweils 15.00 Uhr | Dauer: 120 min 4,00 € inkl. Eintritt

22.09. Thietmars Chronik to go

27.10. Die Merseburger Zaubersprüche

Weitere Führungen für Reisegruppen, Schülerführungen und museumspädagogische Angebote sind auf Anmeldung buchbar. Alle Informationen zu Veranstaltungen wie Vorträge, Familientage oder Konzerte finden Sie unter www.thietmar-merseburg.de

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