Wie ein paar Mammutsplitter zur Weltsensation werden

21. November 2017 | Kultur | Keine Kommentare

Original Venus vom Hohlefels, Mammut-Elfenbein, Aurignacien, Alter ca. 35-40.000 Jahre. Entdeckt im September 2008 in der Höhle „Hohlefels“ im Achtal bei 89601 Schelklingen, Deutschland. (Quelle: Wikimedia Commons)

„Wir werden ihnen heute eine echte Sensation vorstellen“, leitete Landesarchäologe Harald Meller die heutige Pressekonferenz ein. Dabei mutete das, was den Journalisten hier vorgestellt werden sollte, zunächst kaum als der großer Kracher an. Leicht abgerundete, bräunliche Splitter, vielleicht daumennagelgroß. „Es sind eines der ältesten Elfenbeiskulpturen Europas, ähnliche Frauenskulpturen kennt man nur aus Süddeutschland“. Diese Elfenbeinsplitter sollen Frauenstatuegtten sein? Ungläubiges Staunen.
Tatsächlich kennt man nahezu komplett erhaltene Skulpturen meist extrem rundlich gehaltener Frauengestalten aus Höhlenfunden in Süddeutschland, eine der wohl bekanntesten ist die ziemlich beleibte „Venus von Hohlefels“, gefunden 2008.  Die süddeutschen Figuren sind eta 35.000 – 40.000 Jahre alt. Die Epoche, in der sie entstanden, nennt man Aurignacien. In jener Zeit beginnt Homo sapiens plötzlich, Kunst zu machen, Höhlenmalereien anzufertigen und Skulturen zu schnitzen. Und gleich perfekt. Aus dem Nichts heraus. „Die Sicht, dass sich Kunst vom primitiven heraus immer feiner entwickelte, hat sich als falsch herausgestellt“, sagte Meller, der das spontane Auftauchen der Kunst für eines der großen Rätsel der Menschheitsgeschichte hält.  Schon Picasso habe damals, nach der Entdeckung der Höhlen von Lascaux, gesagt: „wir haben seitdem nichts dazugelernt“.

Die altzsteinzeitliche Elfenbeinschnitzerei von Breitenbach

Zurück nach Sachsen-Anhalt: Seit 2009 führt das Forschungszentrum MONREPOS in Neuwied gemeinsam mit dem Landesmuseum für Vorgeschichte Halle Ausgrabungen auf dem früh-jungpaläolithischen Fundplatz Breitenbach bei Zeit durch. Schon 1927 hatte man hier einen altsteinzeitlichen Freilandsiedlungsplatz entdeckt: es ist eine der nördlichsten Stationen des Aurignacien-zeitlichen Menschen und ebenso wie der Fundplatz der Höhle „Hohlefels“ circa 35.000 Jahre alt. Die Stelle muss schon auf den altsteinzeitlichen Menschen eine Anziehungskraft ausgeübt haben: denn auch er betrieb hier seinerseits schon Ausgrabungen. Sein Interesse galt den damals schon halbfossilen Mammutknochen viel älterer Zeit, vor allem aber den Stoßzähnen, die er hier aus dem Sediment klaubte. Die waren damals schon in mehr oder weniger dünne, glatte Lamellen zerfallen. Mammatstoßzähne bauen sich nämlich schichtweise auf, aus ringförmigen Schalen wie in einer Zwiebel, die man bequem von einander lösen kann. Aus diesem halbfossilen Material schnitzten die Menschen ihre Jagdwerkzeuge, aber auch Schmuck. So konnten dort vor fünf Jahren winzige Perlen aus der „ältesten Elfenbeinwerkstätte der Welt“ mit klar voneinander abgegrenzten Arbeitsbereichen nachgewiesen werden.

Vom Splitter zur Skulptur

Projektion der Breitenbacher Elfenbeinfragmente auf die Oberschenkel und Brustpartie der »Venus vom Hohle Fels« (Baden-Württemberg, ca. 35.000–40.000 Jahre; Höhe 6 cm) und einer Venusfigur aus Elfenbein von der Fundstelle Kostenki 1 (Russland, ca. 25.000 Jahre; Höhe 8,8 cm). Fotos „Venus vom Hohle Fels“, Breitenbacher Elfenbeinfragmente (links und rechts): J. Lipták (München); Foto Venus Kostenki 1 (Mitte): MAE (Kunstkamera) RAS, St. Petersburg, Russia, MAE #4464-1

Dort entdeckte man auch mehrere Elfenbeinfragmente, die erst kürzlich von Grabungsleiter Dr. Olaf Jöris und seinem Team tatsächlich als Bruchstücke einer oder mehrere „Venus“-Figure erkannt wurden. Die auf den ersten Blick enttäuschend unscheinbaren Stücke erregten die Aufmerksamkeit des Forschers, weil sie sorgfältig oberflächig bearbeitet und poliert erschienen. Die Elfenbeinfragmente aus Breitenbach ließen sich mühelos in vollständig erhaltene Figuren einpassen, wie sie  vom „Hohle Fels“ bekannt sind, oder den häufigeren, um einiges jüngeren Exemplaren des nachfolgenden „Gravettien“ (ca. 33.500 – 23.500 vor heute). Dass die gerundeten Formen zu Skulpturen gehörten, ist sich Archäologe Olaf Jöris sicher. Aber hätten es nicht auch Tierfiguren sein können? Jöris hält das für weniger wahrscheinlich, und verweist den Verlauf der Maserung der Splitter, aus denen er schließt, dass es sich um aufrecht stehende Skulturen gehandelt habe.

Dr. Mellers Ernährungstips für eine gute Figur

Landesarchäologe Harald Meller fasziniert an den fülligen Frauengestalten noch etwas: „Solche beleibten Frauen treffen Sie natürlich heute im Alltag, aber damals müssen die eine Sensation gewesen sein: „das war etwas besonderes, die wurden gemästet, vielleicht mit Nüssen. Mit der alltäglichen Nahrung der altsteinzeitlichen Jäger hätte das nicht funktioniert. Denn Sie können mageres Fleisch essen soviel Sie wollen, damit werden Sie nicht dick“.

Die Funde von Breitenbach werden in der Sonderausstellung „Klimagewalten – Treibende Kraft der Evolution“ (Landesmuseum für Vorgeschichte Halle, 30.11.2017 – 21.05.2018) erstmalig gezeigt.

Dr. Olaf Jöris (Mitte), Fiorschungsstelle MONREPOS

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