Nicht unter unserer Würde

18. Februar 2018 | Kultur | 4 Kommentare

Fastenspeisen

Zur Fastenzeit erreichte uns der Hirtenbrief des für Halle zuständigen Bischofs Feige. Auch für Nichtgläubige oder Skeptiker die Gelegenheit sich in der Zeit vor Ostern zum Nachdenken anregen zu lassen:

1. „Über den Anstand in schwierigen Zeiten und die Frage, wie wir miteinander umgehen“ (Axel Hacke, Über den Anstand in schwierigen Zeiten und die Frage, wie wir miteinander umgehen. München: Verlag Antje Kunstmann, 2018) , mit diesem Titel und dem dazugehörigen Buch – erst kürzlich erschienen – wird ein Thema angesprochen, das unsere Gesellschaft schon seit einiger Zeit herausfordert. Viele Hemmungen sind gefallen, Umgangs- und Verständigungsformen werden rauer, unverschämtes Verhalten greift immer mehr um sich. „Wir erleben“ – so beschreibt es ein Manifest des bayrischen Lehrerverbandes – „eine Aggressivität, eine Sprache des Hasses, der Geringschätzung und Diskriminierung, persönliche Beleidigungen, bewusste Kränkungen und Ausgrenzung in Wort und Handeln.“(Manifest: Haltung zählt. Verfasst im Juni 2016 vom Bayerischen Lehrer- und Lehrerinnenverband (BLLV) e.V., München. www.bllv.de/haltungzählt.) Vor allem tragen rechtsextreme und populistische Gruppierungen zu dieser Verrohung bei. Dadurch hat sich auch der Ton politischer Debatten verändert. Bei Demonstrationen, in manchen Schreiben und vor allem im Internet sind – anonym oder namentlich vorgetragen – Lügen und Hetze auf erschreckende Weise verbreitet. Gerade in den sogenannten sozialen Medien werden zunehmend irrationale Empörungswellen und Hasslawinen ausgelöst. Manche meinen offensichtlich, ihr Selbstwertgefühl dadurch steigern zu können, dass sie an anderen ihre Wut auslassen und sie erniedrigen.
Solche Entwicklungen machen sogar vor Christen nicht Halt. Auch unter uns gibt es einzelne Personen, bestimmte Kreise und gewisse Richtungen, die dafür anfällig sind, sich selbst und ihre Überzeugung zum alleinigen Maßstab aller Dinge zu machen, unversöhnlich zu polarisieren und Andersdenkende zu diffamieren. Dabei ist deren Sprache nicht unbedingt zimperlicher als die anderer Zeitgenossen.
Oftmals fangen Aggression und Zwietracht ganz unscheinbar und alltäglich an: unter Verwandten und Nachbarn, in der Schule und am Arbeitsplatz, in Kirche und Gesellschaft. Schon kleine Sticheleien und harmlos erscheinender Klatsch können die Atmosphäre vergiften. Wer über andere herzieht, fängt bereits an, sich an ihnen zu vergreifen. Wer aber sogar Hass sät, wird Hass ernten und die Bereitschaft erhöhen, Gewalt anzuwenden. Erst – so sagen uns Psychiater (So. z.B. Joachim Bauer.) – lösen Beschimpfungen und Demütigungen im Gehirn einen Schmerz aus und dann Aggression. Noch weiter geht der erste Johannesbrief, in dem es heißt: „Jeder, der seinen Bruder hasst, ist ein Menschenmörder“ (3,15). Schließlich vergeht so einer sich an dem, was das Kostbarste am anderen ist: seiner Würde und seinem Leben..

Unabhängig von Herkunft und Geschlecht, Nationalität und Religion.

Bischof Feige:  Für uns Christen gilt die Menschenwürde ausnahmslos allen Menschen, unabhängig von Herkunft und Geschlecht, Nationalität und Religion.

2. Demgegenüber hält das deutsche Grundgesetz in seinem 1. Artikel fest: „Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.“ Auch wenn manchmal darüber diskutiert wird, was genau damit gemeint ist, kommt doch in unserem Land keine Debatte über ethische Fragen ohne den Verweis auf die Menschenwürde aus. Für uns Christen gilt diese ausnahmslos allen Menschen, unabhängig von Herkunft und Geschlecht, Nationalität und Religion. Auch nicht Stärke und Macht, Reichtum und Schönheit oder Intelligenz und Erfolg sind dafür ausschlaggebend. Im Gegenteil! Unabhängig von alledem ist jeder Mensch von Gott geschaffen und geliebt, gewissermaßen von ihm geadelt, sogar sein Ebenbild, zur Gemeinschaft mit ihm und untereinander berufen. Und das gilt vom Embryo bis hin zum Sterbenden. Der biblischen Überlieferung folgend ist unser Glaube davon überzeugt: „Wer einen Menschen ansieht, sieht durch ihn Gott, den Schöpfer. Denn der unsichtbare Gott macht sich durch den Menschen sichtbar“. (Gott und die Würde des Menschen. Hg. von der Bilateralen Arbeitsgruppe der Deutschen Bischofskonferenz und der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands, Paderborn: Bonifatius GmbH Druck 2017, 78.)
Andererseits verschweigt die Bibel aber auch nicht, wie schwer es Menschen immer wieder fällt, dieser Würde als Gottes Ebenbild zu entsprechen. Infolge der teuflischen Versuchung, selbst „wie Gott“ sein zu wollen, endet das Paradies, stellen sich Neid und Hass, Sünde und Schuld, Mord und Totschlag ein. Kain bringt seinen Bruder Abel um. Auch andere Gebote Gottes werden übertreten. Es kommt zu „Sodom und Gomorra“.
Das ist eine Wirklichkeit, wie wir sie auch heute noch erfahren. Zugleich hat uns Jesus Christus, indem er selbst Mensch geworden ist, den Tod durchlitten hat und von Gott auferweckt wurde, dazu befreit und befähigt, als „neue Menschen“ zu leben. Dazu müssen wir jedoch auch bereit sein und uns darum mühen. „Kehrt um“ – so hören wir heute Jesus sagen – „und glaubt an das Evangelium!“ (Mk 1, 15). Die österliche Bußzeit bietet viele Möglichkeiten, damit Ernst zu machen.

Brief des Bischofs von Magdeburg zur österlichen Bußzeit 2018

3. Was aber kann das in unserer Situation konkret bedeuten? Zunächst wäre es wohl angebracht, sich wieder einmal auf das zu besinnen, was allen Menschen eigen sein müsste: mit Anstand zu leben. Und das meint: in den großen und kleinen Fragen des Lebens grundsätzlich mit anderen solidarisch zu sein. „Alles“ – so könnte man mit den Worten des Matthäusevangeliums (7,12) dazu sagen – „was ihr wollt, dass euch die Menschen tun, das tut auch ihnen!“ Negativ formuliert hieße das: „Was du nicht willst, das man dir tu, das füg auch keinem andern zu!“ Vielen ist das einsichtig. Darum gilt dieser Grundsatz auch als Goldene Regel des menschlichen Zusammenlebens. Doch um das zu beherzigen, muss man nicht unbedingt Christ sein. Als Christen aber sehen wir uns unter dem Anspruch des Evangeliums besonders dazu herausgefordert, so miteinander umzugehen und für eine Kultur einzutreten, die „Achtung und Liebe auch denen gewährt, die in gesellschaftlichen, politischen oder auch religiösen Fragen anders denken oder handeln als wir“(Vaticanum II, Gaudium et Spes 28.). Ich bin dankbar, dass es in unserem Bistum schon seit Jahren Initiativen gibt, die sich in diesem Sinne für die Menschenwürde einsetzen und dadurch unsere Demokratie stärken. Ich denke ebenso an die Vielen, die sich ganz praktisch um Notleidende aller Art kümmern und sich in Konflikten um Verständigung bemühen. Nicht selten werden solche Helfer und Vermittler dafür selbst sogar von anderen abgelehnt und ausgegrenzt.

Nächstenliebe oftmals eine Zumutung

Mehr noch als anständig zu leben, bedeutet es, Gott mit ganzem Herzen, ganzer Seele und ganzem Denken zu lieben und – ebenso wichtig – seinen Nächsten zu lieben wie sich selbst. (Vgl. Mt 22,37-39.) Das sind für uns Christen gewissermaßen die zwei Seiten der einen Medaille. Andere Menschen – gerade fremde – nicht nur nicht unterdrücken, sondern sogar lieben zu sollen, ist dabei sicher eine der größten Kulturleistungen, die das Alte und das Neue Testament hervorgebracht haben, im konkreten Fall aber freilich oftmals eine Zumutung. Daran zeigt sich jedoch, wie sehr wir uns tatsächlich auf Jesus Christus einlassen oder nicht. Schließlich hat er sogar dazu aufgefordert, die Feinde zu lieben. (Vgl. Mt 5,43f.) Nur so kann wohl auch der Kreislauf von Hass und Gewalt durchbrochen werden. Guter Wille allein aber reicht dabei nicht aus. Manches sollte man gelassen und tapfer ertragen, anderes sachlich richtigstellen oder entschieden zurückweisen. Auf jeden Fall wäre es kontraproduktiv zu versuchen, Primitives mit Primitivem zu vergelten oder andere darin sogar noch zu übertrumpfen. Sind jedoch Schwächere in Gefahr, ist gegebenenfalls auch gewaltloser Widerstand zu leisten. Mitmenschlichkeit muss zumeist durch Anfechtung und Bedrohung hindurch immer wieder geduldig errungen, mutig geschützt und fantasievoll gelebt werden.

Liebe Schwestern und Brüder, achten wir darauf, wie wir miteinander umgehen! Lassen wir uns nicht zu ungehörigen Reaktionen hinreißen! Besinnen wir uns erneut darauf, dass Gott uns selbst und jeden anderen Menschen als sein Ebenbild geschaffen hat und liebt. Bemühen wir uns um ein anständiges und friedliches Miteinander! Leben wir nicht unter unserer Würde!

In herzlicher Verbundenheit erbitte ich Ihnen dazu den Segen des allmächtigen Gottes, des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes.

Magdeburg, am 1. Sonntag der österlichen Bußzeit 2018
Ihr Bischof + Gerhard Feige

Quelle: Bischöfliches Ordinariat Magdeburg, Pressestelle

Weitere Informationen zur Fastenzeit des Bistums Magdeburg (kath.):

https://www.bistum-magdeburg.de/aktuelles-termine/termine/bistumskalender/fastenzeit-ostern/index.html

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