Klassik neu erleben mit Konrad Beikircher

2. April 2020 | Kultur, Rezensionen | Keine Kommentare

Konzertführer K. Beikircher

Klassikkonzerte kann man derzeit nicht erleben. Jedenfalls nicht live. Konserviert auf CD, DVD, in der Mediathek von ARTE, im Klassik-Programm der Radiosender wie mdrKlassik aber schon. Damit das Alleinhören nicht nur unterhält, sondern in unterhaltsamer, unkonventioneller Weise auch ein wenig bildet, seien Konrad Beikirchers Konzertführer „Andante Spumante“ (2001) und „Scherzo furioso“ (2002) empfohlen. Sie enthalten ca. 50 Konzertbeschreibungen von Bach bis Ravel, von Vivaldi bis Britten. Die gelisteten Konzerte hat man wahrscheinlich im CD-Regal oder holt sie sich per Internet ins Wohnzimmer oder auf die Kopfhörer.
In beiden Büchern beschreibt Konrad Beikircher amüsant und kenntnisreich seine persönliche Auswahl Werke klassischer Musik. Mit spritzigem Humor und dennoch profunder Kenntnis der Musikgeschichte nähert sich der wortgewandte Kabarettist großen Komponisten, vermittelt kompetent und informativ Wissen zur Entstehung bekannter und gefeierter Konzerte und wahrt dabei doch Respekt. So sind beide Bücher nicht bloße trockene Nachschlagewerke, sondern vielmehr lebensnahe aber nicht ganz ernst gemeinte Beschreibungen der Entstehungsgeschichte bedeutender Musikwerke der Klassikliteratur.
Die Besprechung Gustav Mahlers Symphonie Nr. 4 G-Dur beginnt Beikircher z.B. mit dem aufschlussreichen Hinweis „Hämorrhoiden und Migräne – ein Leben lang hat Gustav Mahler darunter gelitten …“. Er vermutet interessante Zusammenhänge zwischen Biographie und Werk. Man erfährt, dass Mahler ein recht erfolgreicher Dirigent an verschieden Wirkungsstätten war und deshalb das Komponieren auf die Sommerferien verlegte. Mit der Vierten hatte er geteilten Erfolg. Seine Verlobte Alma habe gesagt, das kenne sie von Haydn besser, berichtet Beikircher. Er meint dazu: „Mahler wird nicht umsonst begeistert gespielt oder noch begeisterter nicht gespielt“. Einen Musikkenner zitiert er mit den Worten „Also die ständige Trauermarscherei bei Mahler …“. Hitverdächtige Abschnitte beschreibt er taktgenau (da braucht man die Partitur). Ein Flop ist für ihn das von Mahler geforderte Portamento (Gleiten der Streicher zum nächsthöheren Ton), was so etwas Schluchzendes im zweiten Satz bewirkt, als wenn „Hans Moser zum Steine erweichen sänge“. Die Vierte empfiehlt Beikircher im Auto bei einer Fahrt im offenen Cabrio durch österreichische Landschaften bei Wolken und Sonnenschein.

Ludwig van Beethoven

Originell ist, wie Beikircher Beethovens Symphonie Nr.5 in C-Moll op. 67 vorstellt. Wichtige Themen aus dem Leben des Bonner Ludwig van Beethoven kleidet er rückblickend in das Gewand einer Talkshow mit Marcel Reich-Ranicki. Der in seinem charakteristischen, leicht lispelnden Tonfall und Beethoven in rheinischer Mundart à la Beikircher. Z.B. zum Thema Frauen befragt lässt er Beethoven antworten:“… Ich habe mich z.B. ein Leben lang nach einer Frau jesehnt, also jetzt für zu heiraten und esu, wie soll ich sagen: dat da mal ein bisschen Ordnung und Liebe, also jetzt mehr regelmäßige Liebe, ne, in dat Leben ereinkommt, aber .. willse machen, hat nich sollen sein, ne.“ Die Fünfte hätte der Napoleon-Gegner aus finanziellen Gründen beinahe dem König von Westfalen (das war Napoleons Bruder Jerome!) gewidmet. Die Uraufführung in einem Mammutprogramm an einem bitterkalten Dezembertag 1808 in Wien war ein Reinfall, berichtet Beikircher. Dennoch realisierte man die Größe der Komposition und nannte sie Schicksalssymphonie. Genüsslich erwähnt Beikircher Anekdoten zum berühmten ta ta ta taaaaa, ein Mega-Hit. Aber er findet weitere hitwürdige Sequenzen, z.B. Takt 29-48 im zweiten Satz oder das Fugato im Trio ab Takt 141. Interessant ist der Hinweis auf den Bezug zur Musik der Französischen Revolution. Beikircher empfiehlt die Fünfte zu aller Art von Schicksalsschlägen wie Kündigungen, Börsenkrächen oder Nachrichten wie: „Sie haben noch 24 Stunden zu leben; aber ich habe gestern vergessen, Ihnen das zu sagen.“ Zweifellos würde Beikircher die Fünfte auch als Begleitmusik zur Coronakrise empfehlen.
Konrad Beikircher macht neugierig auf noch Ungehörtes, sensibilisiert für unbekannte Facetten, macht auf Hits und Flops auf originelle Weise aufmerksam. Er lässt uns den Menschen im Komponisten sehen, gibt uns Einblicke in deren Nöte, Lebensumstände und Macken. Mein Tipp: Das literarische Konzerterlebnis kann man für sich allein, aber auch anregend zelebrieren, indem man im Familienkreise lauscht, vorliest und diskutiert. Es hilft durchaus, die Corona-bedingte Isolation zu meistern.
(H.J. Ferenz)

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