Keine Sterne in Athen: Urlaubsversuch in der Altmark

11. August 2020 | Kultur | Keine Kommentare

Keine Sterne in Athen, dafür Kaffee in Sankt Kathrein – trällerte die Neudeutsche Gruppe „Trio“ einst durch die bundesdeutschen Hitparaden.  „Sie hat gesagt, es müsste sein“, lauten die Verse weiter, nichts ahnend, dass „Sie“ ein Virus ist, das Fernreisen zu einem unüberwindlichen Risiko erscheinen lässt. Und da gab es auch noch die Appelle unseres geliebten Landesvaters Reiner Haseloff, der gerne mit seiner Frau im wöchentlichen Landesvideo auftritt und Empfehlungen für Urlaubsreisen in der „Heimat“ ausspricht. „Aus der Heimat“, so bewarben Supermarktketten saure Gurken, Filinchen und ähnlich  schwer verkäufliche Produkte wie Hallorenkugeln, besonders sexy kam die Tourismuswerbung für Sachsen -Anhalt selten rüber.

Dennoch: Beim Durchblättern eines DuMont-Reiseführes für Sachsen Anhalt (1990er Jahre) fällt auf: im Norden könnte eine lang vergessene Kulturlandschaft existieren, die es zu ergründen gilt. Nicht wie der Borkenkäfergeschüttelte Harz, nicht das dank Himmelsscheibe übergehypte südliche Sachsen-Anhalt. Der alte DuMont-Führer mit seinen verblichenen Fotos zeigt Backsteinkirchen, Klöster und unberührte Landschaften.

Die Anreise

Noch bevor die Autobahn hinter Magdeburg in der Landschaft versickert, erreicht uns ein Anruf unseres langjährigen Halleschen Freundes Micha. Wo wir denn seien. Kurz ab berichte ich von unseren Reiseplänen. Er fragt, ob wir auch genug Essen mitgenommen haben. „Da gibt ’s nämlich keins“, sagt er. „Hast Du ne Macke“ sage ich, dann bricht die Verbindung ab.

Kloster Jerichow

Nicht weit von der Abfahrt nach Burg und  einigen Kilometern baumbestandener Landstraße erblickt man die Doppeltürme der Klosterkirche von Jerichow.  Die dortige Klosterkirche gehört zu den ältesten großen Backsteinkirchen Norddeutschlands. Ihre Errichtung, mit der ab 1149 begonnen und erst um 1200 weitgehend abgeschlossen wurde, fällt noch in die Zeit der Romanik. Die Basilika mit der eigentlich in der Spätromanik bereits unüblichen flachen Mittelschiffdecke beeindruckt heute die Besucher durch ihre ziegelsichtige Schlichtheit. Diese ist allerdings Ergebnis von Reformation, späterem Verfall und wohlmeinenden Rekonstruktionsarbeiten im 19. Jahrhundert. Davon, dass die Kirche bereits in romanischer Zeit mit farbigen Fresken ausgestattet gewesen war, zeugen noch die schemenhaft zu erkennenden Vorzeichnungen (Sinopien) einer Marienkrönung in der Apsis. Auch der Kreuzgang aus spätromanischen bis spätgotischen Bauphasen stammend, ist weitgehend erhalten und für Besucher zugänglich. Heute sind es überwiegend Fahrradtouristen, die hierher  einen Abstecher machen. Es gibt einen von der Kirche betriebene Souvenirshop, wo die üblichen Verdächtigen feilgeboten werden: Kräuterseife, Kräutertees, Honig bis hin zu Kräuterschnäpsen, die suggerieren, sie stünden irgendwie in Zusammenhang mit einer klösterlichen Produktion – was natürlich nicht stimmt. Einen Klostergarten gibt es aber tatsächlich, für botanisch Interessierte auf jeden Fall zu empfehlen. Hier werden  noch zahlreiche historische Nutzpflanzen gezeigt, die viele Zeitgenossen möglicherweise nicht mehr kennen, beispielsweise die mehrere Meter hoch wachsende rote Melde . Der Anspruch des Gartens besteht darin, dass man ausschließlich Nutzpflanzen zeigen will, die bis 1500 in Deutschland wuchsen. Kartoffeln und Tomaten wird man hier also vergeblich suchen. Betrieben wird der Garten, wie auch der Shop und das Cafe und das kleine Museum, von der Stiftung Kloster Jerichow. Auf der Wiese neben dem Garten hat das Cafe ein paar Tische und Stühle im Corona-Abstand aufgestellt, Kuchen und Getränke kann man sich an der Selbstbedienungstheke besorgen.

Tangermünde: Welt-Architektur aus dem Anker-Baukasten und unterirdische Kulinarik

Nur wenige Kilometer nach Jerichow erreicht man die Stadt Tangermünde. Tangermünde liegt an der Mündung des kleinen Flüsschens Tanger an der Elbe. Eine im Mittelalter und der frühen Neuzeit bedeutende Hafenstadt, heute gilt die Stadt mit zwei kunsthistorisch wichtigen Kirchen der Backsteingotik und einer nahezu komplett erhaltenen mittelalterlichen Stadtmauern als eines der Juwelen des nördlichen Mitteldeutschlands. Wir haben im Hotel „Schwarzer Adler“ die folgenden Übernachtungen reserviert. Die Vorfreude ist groß: Ein wenig die Stadt in der Abendsonne beschnuppern, dann etwas gutes im hübschen Innenhof der Hotelanlage, die aus mehreren eng beieinanderliegenden „Dependancen“ in Form historischer Bürgerhäuser besteht. Wir sind nicht die einzigen; über den Hof rumpeln die Rollkoffer der Gäste. Unsere Frage, ob man abends auch etwas zu Essen bekommen könne, wird mit einem großen Bedauern erwidert. Die nächsten Tage bleibt die Küche kalt. Der Koch habe einen Zusammenbruch erlitten, und ein Neuer sei nicht aufzutreiben, bekommen wir  beschieden. Egal, irgendwo findet man schon in der doch stark von Touristen frequentierten Stadt etwas zu Essen, vielleicht noch einen guten Wein dazu.

Bei einem Abendspaziergang erlaufen wir die Geographie der Stadt, die sich recht übersichtlich präsentiert. Der längs zur Tanger und ihrer Elbmünde  gestreckte Stadtkern wird von einer spätmittelalterlichen Ziegelmauer umschlossen. Zwei nahezu parallele Straßen verbinden die Burg im Nordosten und die Stephanskirche mit dem  Neustädter Tor im Südwesten. Ungefähr auf halber Strecke befindet sich das Rathaus mit seiner einzigartigen, filigran gearbeiteten spätgotischen Backsteinfassade, die mit ihren  durchbrochenen Ziergiebel und den aus Form-Backsteinen gebildeten unzähligen Fialen wie eine geklöppelte Spitzenarbeit wirkt. Alle umstehenden Häuser sind „Neuer“, konkret: sie sind nach einem großen Stadtbrand im Jahre 1617 entstanden, dem nahezu alle Gebäude zum Opfer gefallen waren, bis auf die in Backstein ausgeführten Kirchen, das Rathaus und die Stadtbefestigung. Nach dem Brand suchte man nach einem Schuldigen, und der war schnell gefunden: eine gewisse Grete Minde, die in Erbschaftsstreitigkeiten verwickelt war, hatte ein Motiv. Sie soll die Stadt aus Rache angezündet haben. So landete sie auf dem Scheiterhaufen, nachdem man ihr zunächst alle Finger einzeln abgeschnitten hatte. Heute ist ein großer Teil der Historiker der Ansicht, dass sie wahrscheinlich unschuldig gewesen war. Ein neues Bronzedenkmal vor dem Rathaus erinnert an das mittelalterliche Justizopfer.

Die Suche nach einem Platz in den geöffneten Lokalen gestaltet sich etwas schwierig, im „kroatischen“ Restaurant „Adii“ in der Langen Straße finden wir aber noch einen Sitzplatz auf dem Bürgersteig. Der Inhaber des Ladens trägt einen griechischen Namen,  das durchaus freundliche Personal spricht untereinander arabisch. Das Essen ist durchwachsen (Das übliche Bratzeugs mit irgendwelchen Soßen), positiv muss man die großen, grünrandigen Miesmuscheln hervorheben. Gegenüber, „beim Griechen“ feiert drinnen dicht gedrängt der „Hanse-Motorradklub“. Vom Gastwirt aufgefordert, grölen sie das Reeperbahnlied, bis sie den erlösenden umsonst-Ouzo bekommen. Corona lässt grüßen.

Trotz einer gewissen Bettschwere wird die Nacht im stickig-heißen Hotelzimmer unruhig durchzustehen. Alle viertel Stunde weht ein längeres Glockengeläut von der Turmuhr der nahe gelegenen Stephanskirche das Zimmer. Viertel nach Zehn: Bäng- dann elfmal  bong. Aha. Es ist viertel Elf. Elf Uhr: vier mal bäng, elf mal bong. OK. Es ist vier Viertel elf. Immer wieder zwischendurch schreckt man hoch, und vertrödelt den ausstehenden Nachtschlaf mit Gedanken über die merkwürdige Stundenzählung, die Deutschland immer noch teilt (übrigens nicht in Ost und Weste, das ist aber eine andere Geschichte). Mit dem Morgengrauen erwacht das Straßenpflaster. Lieferwagen rumpeln über das Kopfsteinpflaster, eine geradezu mediterran wirkende Huperei erfüllt die Morgenluft, später mischt sich das Geklapper umherziehender Rollkoffergespanne darunter.

Gestärkt von einem plörrigen Hotelkaffee aus der Thermoskanne starten wir in die Erkundung des historischen Tangermünde. Die heute evangelische Hauptkirche St. Stephan entstand zwischen 1350 und 1475. Das imposante Westwerk ist heute um die westliche Turmspitze beraubt, was dem Ergebnis des Stadtbrandes geschuldet ist. Dennoch tut es  der fensterlose Wucht des Gebäudes keinen Abbruch.

Auf den Kirchenbänken hat die Gemeinde Kreuze im Corona-Abstand markiert, wohl in der hoffnungsvollen Erwartung, dass sich die Kirche einmal wirklich zum Gottesdienst füllen könnte. Außerdem wird darauf hingewiesen: Singen im Gottesdienst ist untersagt! (Hygienekonzept für die kirchenmusikalischen Gruppen im Kirchenkreis Stendal vom 10.06.2020)

Beschneidung Christi. Relieffeld in der Kanzel von St. Stephan in Tangermünde

Geburt Christi. Relieffeld in der Kanzel der Stephanskirche von Tangermünde

Als Highlight sei auf die nach dem Stadtbrand errichtete Kanzel aus Kalkstein von 1619 hingewiesen. Möglicherweise entstammt sie der Hand des Magdeburger Bildhauers Christoph Dehne. Die außergewöhnlich manieristisch gestalteten Relieftafeln stellen die Vita Christi dar. Außergewöhnlich in der europäischen Kunstgeschichte ist der Faltenwurf der Gewänder, der an ungebügelte knittrige Bettlaken erinnert. Die sehr naturalistisch gestaltete Beschneidung Christi beeindruckt, auch wenn schon ein wesentliches anatomisches Detail zu fehlen scheint.

Was es sonst noch aus Tangermünde zu berichten gibt: das Museum für Stadtgeschichte ist ein leidlich anzusehendes etwas verstaubtes Heimatmuseum, das man sich getrost schenken kann. Interessanter ist ein Rundgang durch die Stadt mit ihren unzähligen, nach dem Stadtbrand ab 1617 wieder erbauten Fachwerkhäusern und den dort angebrachten, oft manieristisch inspirierten, dekorativen Schnitzereien und Inschriften. Viele Häuser künden darin vom Schicksal ihrer Erbauer, und ihrem Stolz, die Stadt und ihr Anwesen in derart kurzer Zeit wieder aufgebaut zu haben. Gleichberechtigt erscheinen die Namen der Eheleute rechts und Links in geschnitzten Ehrenkränzen am meist prunkvoll gestalteten Eingang.

 

Neben dem eingangs erwähnten „Kroaten“ kehrten wir anderntags beim „Griechen“ ein, Inhaberschaft wie gehabt. Die Speisekarte bot vorzugsweise Gerichte an, die in Griechenland unbekannt sein dürften, die Soßen erinnerten stark an den Kroaten vom Vortag, und wir wurden auch von den selben Kellnern bedient, die emsig im kleinen Grenzverkehr die griechisch – kroatische Grenze in Form der Langen Straße von Tangermünde passierten.

Freundlich war auch der „Italiener“ am anderen Ende der Straße (Inhaber: ein anderer Grieche), der uns sogar nach der „Sperrstunde“ um 22 Uhr noch einmal den Zigarettenautomaten anwarf. Wir  unterhielten uns mit dem sehr jungen Kellner mit dem leicht norddeutschen Akzent. Wir wollten wissen, was man denn so als Stendaler Jugendlicher für Freizeitperspektiven habe, wenn die Bürgersteige so früh runtergeklappt werden. Er sagte uns, er sei in Syrien geboren. Man treffe sich halt im Sommer unten auf der Wiese beim Hafen, jeder bringt was mit, im Winter ginge das halt nicht. Aber er gehe jetzt ohnehin weg. weil er die Zusage für eine Ausbildung als Maschinenbauzeichner in Leipzig habe.

Stendal: Kännchen Tee in 30 Minuten: wir schaffen das !

Stendal dürfte vielen Verwaltungsfachleuten ein Begriff sein: die 40.000-Seelenstadt beherbergt ein Landgericht und ein Amtsgericht, wo auch das Vereinsregister Sachsen-Anhalts beheimatet ist. Wer in Halle einmal einen Verein gegründet hat, kennt die Adresse. Ansonsten hat die Stadt eine Marienkirche zu bieten, deren Sehenswertestes mit Sicherheit die erzählenden barocken Grabsteine sind. Hier lassen wohlhabende Bürger ihre zahlenden Angehörigen im calvinistischen Sinne berichten, welche Hochleistungen und wirtschaftlichen Erfolge sie zu Ehre Gottes, und mit dessen Hilfe,  vollbracht haben. Auf keinen Fall sollte man es versäumen, die immer noch funktionsfähige astronomische Uhr aus dem 15. Jahrhundert zu betrachten. Das Motiv des Ziffernblattes erinnert stark an die Himmelsscheibe von Nebra. Zufall? Raum für Verschwörungstheorien bietet das allemal.

Der Stendaler Dom ist hingegen langweilig, rudimentär sind  Originalfragmente der Glasmalereien der Erbauungszeit erhalten, der Rest ist Werk des rekonstruierenden 19. Jahrhunderts. Wer mittlerweile eine visuelle Backstein-Pixel-Allergie bekommen hat, und sich  auch nicht an den Stuck-und Putz-Fassaden des frühen (!) 19. Jahrhunderts erfreuen mag, dem sei ein Blick auf das Kaufhaus Klütz empfohlen. Man findet es in der Innenstadt, am  Winckelmannplatz. Es wurde im April 1930 errichtet, Bauhaus in Reinkultur. Ohne einen einzigen Ziegelstein. Winckelmann, der in Stendal geborene Begründer der klassischen Archäologie, grüßt von seinem Denkmal herab, während meine beiden Begleiterinnen nach einer Erfrischung suchen. Es ist 17:30 Uhr, als sie ein hübsches Cafe auf dem Stadtmarkt finden. Wir bestellen Kaffee und ein Kännchen grünen Tee. Die Bedienung schaut auf die Uhr, „Sie könnten das bis 18:00 schaffen“, sagt sie. Mit einer gewissen Hektik wird das Ziel auch erreicht, während die sichtlich ungeduldige Bedienerin ringsum schon mal die Stühle zusammen stellt.

Havelberg

Der erste Eindruck von Havelberg überzeugt zunächst. Da liegt eine mächtige, von Kunsthistorikern lange Zeit als „Wehrkirche“ bezeichnete Trutzburg mit ihrem gewaltigen, allerdings im 19, Jahrhundert etwas nationalistisch überkonturiertem  Westwerk über der Stadt, die auf einer Havelinsel Platz genommen hat. Ein politisches Denkmal, das die Besitzansprüche des christianisierten Germanentums gegen die niederen, slavischen Völker des Umlands auszudrücken versucht. Gebauter Nationalismus des 13. Jahrhunderts, später wilhelminisch überhöht.

Das Innere der spätromanisch-frühgotischen Basilika wird von der frühgotischen Triumphkreuzgruppe beherrscht, die hoch oben im Mittelschiff in das Gewölbe ragt und über den Besuchern zu schweben scheint. Auch der Lettner aus der Zeit um 1400 ist sehenswert: Hier sind Stationen des Leidensweges Christi dargestellt, oft mit geradezu karikatur- oder comichafter  Darstellung der Protagonisten.

Zu Füßen des Domes liegt der Ortskern von Havelberg auf einer Insel im Fluss. Davor liegt der kleine Hafen, wo wir – da wir noch kein Hotel haben – dem gut ausgeschilderten Weg zur Touristeninformation folgen. Dort empfangen uns zwei altmärkische Damen, die auf unsere Frage nach freien Hotels uns einen kleine Papierfaltplan überreichen. Ob und welche Hotels nun geöffnet haben, könne man uns jedoch nicht sagen. Da mögen wird doch bitte einfach googeln.

Tatsächlich finden wir dann auch ein Hotel, das angeblich offen ist, aber  um die Mittagszeit eine ziemlich verschlossene Eindruck macht. Beim Blick durch die verrammelte Terrassentür werden wir drinnen bemerkt. Ja, frei Zimmer gibt es. Da sollen wir bitte um 14 Uhr wiederkommen. Ob wir eine Kaffee haben können, fragen wir. „Haben Sie das Schild draußen nicht gelesen?“ werden wir angeherrscht. Doch, da steht was: „Eisverkauf ab 14 h auf der Terrasse, nur zum Mitnehmen“.

Kurzum: wir buchen trotzdem, die Zimmer sind auch ganz leidlich, Blick über den Hafen. Dort gibt es auch einen Bootsverleih. Offenbar der Hit im Corona-Sommer: Hausboote, so genante „BuBos“, Bungalow-Boote. Mehrere legen dort gerade an oder ab. Recherchen im Netz ergeben: Alles ausgebucht, bis weit in den September hinein. Aber ein Urlaub in solchen Schwimmenden Häuschen scheint verlockend, in den weit verzweigten Flussarmen der Havel könnte man beispielsweise bis nach Berlin schippern. Wo man vielleicht was zu Essen bekommen könnte.

Kanus sind aber noch frei, und so machen wir eine kleine Tour über das Wasser, durch die Ansiedlung malerischer kleiner Häuschen mit blühenden Gärten und Anlegestellen, hinaus in die verzweigten Havelarme,  kurzum: nicht schlecht. Fast wie in Halle.

Unser Hotel bietet auch hier kein Essen, irgendjemand verrät uns einen Geheimtip, ein „Art-Hotel“ mit ganz feiner Küche. Dort will man uns erst nicht bewirten, nach etwas Zureden bekommen wir eine Platz auf der Terrasse ab abends um 20:00, geschafft.  Das Hotel hat sich etwas vorgenommen: Kunst, Kulturveranstaltungen und Edelgastronomie bietet man an. Im Hintergrund säuselt halbtöniger Jazz-Gesang aus der Konserve, klassisches Vernissagen- oder Hotelaufzugsgedudel.

Das „gesmokte Deichlamm“ ist passabel, bei der „Wagyo Forello“ („Hausgeräucherte Holsteiner Hausforelle mit Limetten-Thunfischsoße, Avocado und Havel-Wagyu-Zunge“) fragt man sich aber, was sich der Koch dabei gedacht hat. Jedenfalls klingt es beeindruckender, als es schmeckt. Offenbar werden hier irgendwo Wagyu-Rinder gezüchtet, das Hotel bietet jedenfalls viele derartige Edel-Rinderteller an.

Der Hotelbetreiber setzt sich zu einem Nachbartisch zu seinen Gästen, und erzählt großspurig über die vielen Investitionen, die er getätigt hat, lautstark, es sollen die Erfolgsgeschichten des Wagyu-Barons alle hören. Und auch von von seiner Heimatverbundenheit erzählt er. Genau beobachte er jedes Jahr den Lauf der Sonne. Er deutet mit dem Arm weit nach links über die Wiesenlandschaft, die langsam ins Abendrot getaucht wird. „Im Winter geht die Sonne da drüben auf, sagt er. Und zur Sonnenwende da, und deutet nach geradeaus. Und im Herbst  – er fährt mit dem Arm gebieterisch über seine Wagyu-Prärie weiter nach rechts: dort. Dann zeigt er wieder nach links: „und im Winter fängt sie wieder da hinten an“.

Arendsee: die Maränen entschädigen für so einiges.

Auf dem Weg von Havelberg zum Ahrendsee kommt man durch einen menschenleeren Landstrich. Kurzzeitig haben wir das Bundesland gewechselt: es ist die Brandenburger Elbtalaue, um dann wieder in Sachsen-Anhalt zu kommen.

Vom Arendsee hat man so einiges gehört. Dass er mit bis zu 51 Metern der tiefste See des Landes ist. Er ist entstanden, indem Salzkavernen im Tiefen immer wieder von eindringendem Wasser ausgelaugt wurden, bis Teile davon einbrachen. Auch gegenwärtig ist dieser Prozess nicht zur Ruhe gekommen. Berühmt ist der Einbruch von 1685, als etwa 40 Hektar Land, samt einer Mühle, vom See verschlungen wurden. Immer wieder werden auch Gerüchte genährt, der Arendsee habe eine unterirdische Verbindung bis in die Endlagerstätte Gorleben. Das macht neugierig, zumal der See zu DDR-Zeiten ein heiß begehrter Urlaubsort gewesen sein soll. Davon künden tatsächlich noch ein Strandbad, das leider verschlossen ist (Corona), also keine Zugang zum See bietet. Man kommt kaum an den See heran. Erst am Nordufer gibt es eine kleine Weg, der auf einem Steg mündet, von wo man den See überblicken kann.

 

Legendär sind aber die „Maränen“. Das sind kleine Süßwasserfische, so etwa 15-25 cm lang, die in dem See seit alters her gefangen werden. In Ziessau gibt es einen unscheinbaren Dorfgasthof, drei-vier Tische, Sonnenschirme, keine Reservierung notwendig. Die Fische stehen auf der Karte.  Kein Tamtam, einfach gebraten, etwas Zitrone, keine Wagyu-Schwanzspitzen als Dekoration. Recht festes Fleisch, der Geschmack erinnert fast an Mittelmeerfische.  Na also, geht doch. Was will man mehr.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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