Guten Morgen, Dänemark?

16. Oktober 2017 | Kultur, Rezensionen | Ein Kommentar

Ein Mann ist dieser Prinz von Dänemark noch nicht, eher ein Halbwüchsiger (mit der ganz und gar unmännlichen Stimme der großartigen Ines Heinrich-Frank), einer, der mit seinen Kumpels gern mal ein Ballerspiel abdrückt. Nun aber zunehmend verstört und bedrückt ist von dem, was um ihn herum passiert. Es kann doch nicht wahr sein, dass seine Mutter seinen Onkel heiratet, nur zwei Monate nach dem Tod des Vaters! Der erscheint nachts als Geist und behauptet, von seinem Bruder Claudius – dem neuen König – vergiftet worden zu sein!  Und auch wenn von launigen Studio-Moderatoren jeden Tag die heile Welt angesagt wird –  Guten Morgen, Dänemark! – da ist doch was faul im Staate?

Um der Wahrheit auf die Schliche zu kommen, beschließt Hamlet, sich wahnsinnig zu stellen. Doch der tote Vater verlangt Rache: Wie ein Gewalttäter umklammert der muskulöse alte Hamlet (Lars Frank) den schmächtigen kleinen Prinzen und zwingt ihm das Versprechen dieser Rache ab.

Das ist nur eine andere Form des Machmissbrauchs und der Manipulation, die auch der Mörderkönig Claudius praktiziert. Und zugleich einer der großen, unheimlichen Momente in dieser schönen, schlüssigen Inszenierung von Christoph Werner. Der schon einmal „Hamlet“ in Halle inszeniert hat, 2008, auf der großen Bühne und mit dem Ensemble des nt.  Dieses Mal braucht er nur sechs Darsteller, um in der minimalistisch auf Schwarz-Weiß reduzierten Ausstattung von Angela Baumgart dieses größte aller Dramen auf die kleine Bühne seines Puppentheaters zu stellen. Zu diesem Zweck hat Dramaturgin Bernhild Bense die Fortinbras-Handlung gestrichen und den Abend auf straffe anderthalb Stunden verkürzt. Die Figuren sind in zwei Gruppen geteilt: die Jugendlichen und die Erwachsenen. Letztere treten ohne Puppe auf: Christian Sengewald als redlich-begrenzter Polonius, Nils Dreschke als smart-scheinheiliger Claudius und  Louise Nowitzki als Königin, die immer, wenn es brenzlig wird, ins Zappeln verfällt. Die Jugendlichen hingegen (Hamlet, Ophelia, Laertes, Horatio, Rosenkranz und Guldenstein) werden von Puppen dargestellt. Kleiner und schmaler als die Erwachsenen und geführt von ihren Spielern scheinen sie gefährdeter, hilfsbedürftiger in einer Welt, über die per Knopfdruck eine andere, zweite Welt gelegt werden kann: die der Bilder nämlich.

Die Videografie von Conny Klar war für mich die große ästhetische Entdeckung dieses Abends. Sie ähnelt den z.B. in Medien-Märkten laufenden Bilder-Mosaiks vieler TV-Kanäle, die im gleichgültigen Nebeneinander des Disparaten ein Abbild der Wirklichkeit suggerieren. In der Inszenierung von Christoph Werner werden solche Bilder auf eine Gaze-Wand projiziert, hinter der das „wirkliche“ Geschehen am dänischen Hof zwar sichtbar bleibt, die Wahrheit aber so eher verschleiert als erkennbar gemacht wird.

Das macht die Sache für Hamlet & Co. auch heute nicht eben leicht. – Unbedingt ansehen!

Obwohl die nächsten Vorstellungen (19., 20., 21. Oktober) bereits ausverkauft sind. Aber vielleicht erwischt man ja noch eine Restkarte.

  Eva Scherf

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