Von der Scheinheiligkeit der Stadt im Umgang mit der Corona-Krise
21. Januar 2021 | Glosse, Soziales | 9 Kommentare
Schon seit Wochen liegt der Wert der 7-Tage-Inzidenz in Halle (Saale) auf einem so hohen Niveau, dass die Stadt bundesweit als Hotspot und inzwischen sogar Hochrisikogebiet geführt wird. Folglich gelten für Halle und seine Bürgerinnen und Bürger diejenigen Regeln zur Eindämmung der Corona-Pandemie, die von Bund und Ländern erst vor wenigen Tagen getroffen wurden.
Unter anderem gilt es, den berühmten „15 km – Radius“ zu beachten, den alle Stadtbewohner nur noch aus triftigen Gründen verlassen dürfen. Außerdem sind sowohl in der Öffentlichkeit wie auch im Privaten nur noch Treffen von Personen eines Haushaltes mit einer weiteren Person gestattet. Außerdem gilt schon seit Dezember eine Maskenpflicht in der gesamten Innenstadt. Den Marktplatz zu überqueren und an geschlossenen Geschäften vorbeizueilen ist demnach nur noch mit Mund-Nasen-Bedeckung erlaubt.
Und während die täglichen Neuinfektionen trotzdem nicht weniger werden, wird sich im Hintergrund weiter um die richtigen Maßnahmen gestritten. Im Vordergrund steht dabei natürlich der Oberbürgermeister und sein sogenannter Katastrophenstab, welcher täglich die schier unkontrollierbare Aufsässigkeit vieler Bürgerinnen und Bürger rügt und den Appell „Bleiben Sie zuhause!“ zu seinem persönlichen Motto gemacht haben scheint. – Allerdings nur auf dem Marktplatz, auf dem „immer noch zu viel Mobilität herrscht!“ – Dabei wurde doch nun wirklich alles dafür getan, den Marktplatz im Herzen der Stadt so ungemütlich wie nur möglich zu gestalten! Sogar die mobilen Markthändler wurden ohne ersichtlichen Grund vertrieben, einigen sogar die Lizenz zum Verkauf ihrer Waren entzogen …
Gegenüber kritischen Nachfragen ist man bei der Stadt jedoch taub. Warum es also nur der Marktplatz ist, unter dessen freiem Himmel sich der Virus zu tummeln scheint, nicht aber die vielen geschlossenen Supermärkte, die vollen Straßenbahnen, die Buchläden in unmittelbarer Umgebung oder die Kioskstände in anderen Teilen der Stadt, bleibt dieser Tage unbeantwortet. Kommuniziert wird nur: “Jegliche Mobilität muss raus …“ aus dem Platz vorm Büro des Oberbürgermeisters!
Einen besonders widersprüchlichen (um nicht zu sagen scheinheiligen) Charakter bekommen all jene Aussagen und Maßnahmen nun aber, wenn man sich einmal das Geschehen in den Behörden der Stadt dazu ansieht. So möchte man doch zumindest meinen, dass man wenigstens dort mit gutem Vorbild vorangeht, Hygienekonzepte verfolgt und die Kontakte auf ein absolutes Minimum beschränkt, oder etwa nicht?
Nun; eher das Gegenteil war im folgenden Beispiel der Fall:
Schon vor einiger Zeit wurde über die nahezu unzumutbaren Zustände in der Ausländerbehörde der Händelstadt berichtet. ( https://hallespektrum.de/nachrichten/glosse/das-land-in-dem-ich-lebe-und-was-dafuer-zutun-ist/379223/ ) Vom Umgang der Mitarbeiter und ihrer scheinbar grenzenlos vorhandenen Unlust zur Arbeit soll deshalb an dieser Stelle gar nicht mehr berichtet werden. Allerdings erreicht ihr Handeln bzw. Nicht-Handeln in Zeiten der täglichen Machtdemonstration zur Eindämmung der Pandemie seitens des Oberbürgermeisters nochmals eine ganz andere Dimension:
Denn vom Versuch die Kontakte zu beschränken, ein Hygienekonzept umzusetzen oder sich zumindest hinsichtlich der Gesundheit der ausländischen Mitbürgerinnen und Mitbürger zu sorgen, die dem Behördengang aufgrund drohender Ausweisung gar nicht entgehen können, selbst wenn sie wollten, fehlt weiterhin jede Spur! So bleibt es schlicht bei den Hinweisen auf der städtischen Internetseite: Für alle Vorsprachen ist ein Termin erforderlich! Kein Einlass ohne Terminzettel! Kein Einlass ohne Mund- und Nasenbedeckung!
Vor allem die Hinweise auf den unbedingt nötigen Termin führen jedoch nur dazu, dass sich eine lange Schlange am Einlass des Gebäudes bildet, damit der Sicherheitsdienst auf den stapelweise ausgedruckten Listen von Namen derer, die einen Termin online gebucht haben, diese suchen und handschriftlich abhaken kann. Anschließend wird jede einzelne Person dazu aufgefordert mit ein und demselben Kugelschreiber das wichtige Hygieneformular mit all seinen Daten auszufüllen, bevor man dann, in einen völlig überfüllten Wartebereich geführt wird, an dessen Eingängen weitere hilflos überforderte Sicherheitsbeamte versuchen, nicht-vorhandene freie Plätze zu erspähen und sie den ankommenden Personen zuzuweisen.
Während draußen also mindestens 25 Personen, trotz des verbindlich gebuchten Termins, stundenlang im Regen warten, sind es im Innenbereich mindestens doppelt so viele. Sie sitzen auf festinstallierten Sitzplätzen, die nicht auf Abstand angeordnet sind, während die Heizung läuft und es keinerlei Möglichkeit zur Lüftung oder andersartigen Belüftung gibt. Ferner sind auch Händedesinfektionsspender nicht vorhanden.
Der Blick eines jeden wandert also wieder einmal nur auf die Anzeigetafel, die einem die verheißungsvolle Nummer und das Büro anzeigen soll, in welchem man den vor Stunden gebuchten Termin endlich wahrnehmen möchte.
Es ist 16 Uhr, der Termin war um 14 Uhr. Ein Sicherheitsbeamter beginnt mit seinem Chef zu diskutieren, dass die Situation nicht tragbar wäre. Schließlich kommen immer mehr Menschen in den Warteraum, stehen an die Wände gedrängt eng aneinander. Es gäbe sogar Personen, die noch einen Termin für 13 Uhr haben und noch nicht aufgerufen worden seien, sagt er. – „Ich kann es nicht ändern, dann müssen eben noch mehr Leute draußen im Regen stehen bleiben!“, ist die Antwort.
Dann öffnet sich die Tür eines Büros. Die Köpfe heben sich erwartungsvoll. Zwei Mitarbeiterinnen treten gleichzeitig hinaus und machen ihre Raucherpause.
Man kann über alles diskutieren und unterschiedlicher Meinung sein. Aber wenn zeitgleich die Appelle des Oberbürgermeisters auf seiner täglichen Pressekonferenz zu hören sind, man möge doch bitte die Bewegung auf dem Marktplatz – dem zentralen Knotenpunkt der Stadt – einschränken und den Bürgerinnen und Bürgern ein schlechtes Gewissen wegen der noch immer nicht gekauften FFP2-Maske eingeredet wird, kann man doch zumindest erwarten, dass zuvor in allen Bereichen der städtischen Verwaltung für eine gewisse Ordnung gesorgt wurde.
Bevor der finanzielle Ruin von Freiluft-Markthändlern ohne erkennbaren Grund in Kauf genommen wird, sollte also dringlichst ein Konzept für die im Angesicht der Pandemie wirklich unzumutbaren Situationen geschaffen werden.
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Dass bei einer Ausländerbehörde Personen mit Übersetzern vorsprechen, dürfte eigentlich nicht überraschend sein.
Nunja, eine Erklärung für uberfüllte Warteräume könnte auch sein, dass 1 Person einen Termin macht aber dann 2 oder 3 Begleiter mitbringt, das können auch Dolmetscher sein, aber wenn 10 Personen mit Termin dann halt wiederum 10 Personen zum übersetzen mitbringen ist es halt voll. Es werden halt nur Plätze für die Personen mit Termin vorgehalten nicht für etwaige Begleitpersonen. Die Erfahrung aus anderen Ämtern, Pass und Meldewesen ist tatsächlich die wenn ich vorab einen Termin habe bin ich exakt zum Termin dran plus maximal 5 Minuten. So zumindest beim abholen von Pass und Ausweis, beim beantragen war ich sogar vor dem Termin fertig.
Das glaube ich Dir. Werde ich aber hier nicht verraten.
„Was in dem Bericht steht, glaube ich nicht so ohne weiteres. Ich habe Anderes erlebt.“
Was denn? Ich war nie bei der Ausländerbehörde in Halle. Dein Erfahrungsbericht würde mich richtig interessieren.
Was in dem Bericht steht, glaube ich nicht so ohne weiteres. Ich habe Anderes erlebt.
Wenn es zu viele Termine sind, um sie rechtzeitig abarbeiten zu können, muss entweder die Mitarbeiterzahl erhöht werden oder eben die Anzahl der zu vergebenen Termine reduziert werden.
Termin um 14.00 Uhr, um 16.00 Uhr ist der/die Terminhabende immer noch nicht dran, so zumindest der Bericht.
Wie ist jetzt dein Vorschlag, Einlass des/der Wartenden 10 Min. vor dem vereinbarten („ihrem“) Termin, zu verstehen und zu realisieren?
I. Ü. dürfte schon das zweistündige oder noch längere Warten trotz Termins an und für sich ein Problem sein.
Worin besteht das Problem, wenn die Wartenden erst ca 10 Minuten vor ihrem Termin eingelassen werden? Und danach wieder rausbegleitet werden. Sollte es trotzdem zu einem Stau im Gebäude kommen, dann weniger Termine vereinbaren.
Hauptsache, vor dem Rathaus steht das schicke, teure Feuerwehrauto mit der „Einsatzzentrale“. Das vermittelt dem Bürger Sicherheit und soll den Eindruck stimulieren, der OB als oberster Krisenmanagaer habe die Katastrophe im Griff.
Aber leider geht es hinter der Fassade alles andere als professionell zu.
Wenn die drei da sitzen und der Verkünder in der Mitte verkündet – welch ein ästhetischer Genuss.