Das Land in dem ich lebe – und was dafür zu tun ist

4. August 2020 | Glosse | 3 Kommentare

 

Deutschland – ein Land, das fast überall in der Welt hohes Ansehen genießt. Nicht nur aufgrund des guten Rufs seiner Produkte, sondern vor allem, weil es ein Land ist, das neben viel persönlicher Freiheit auch Wohlstand und eine damit einhergehende gute soziale Absicherung für jedermann bietet. Für internationale Studierende und Fachkräfte ist Deutschland nicht zuletzt deshalb eines der häufigsten Wunschziele.

„In Deutschland ist man pünktlich, gewissenhaft und organisiert“, so ein gängiges Klischee. Einziges Manko: Viel Bürokratie! In Deutschland gibt es für alles einen passenden Antrag und eine dazu passende Liste einzureichender Dokumente, damit es mit der Bewilligung auch klappt. Aber wenn alles vorhanden ist, steht einem Aufenthalt im Land der Denker nichts mehr im Weg – Oder etwa doch?

Schon während meiner Studienzeit bin ich viel in der Welt herumgekommen. Mir war es daher möglich, über den sprichwörtlichen Tellerrand hinauszuschauen und andere Kulturen, Menschen und ihre Denkweisen kennenzulernen. Dabei fühlte ich mich stets willkommen. Mein Anliegen ist es deshalb jetzt auch in meinem Land ausländischen Studierenden oder Fachkräften dabei zu helfen, ihre Angelegenheiten dem deutschen Staat gegenüber (und folglich mit der Ausländerbehörde) möglichst zügig und problemlos zu klären.

Doch meiner Erfahrung nach ist es häufig eben nicht die weltweit so bekannte und typisch deutsche Organisation und Bürokratie, die meinen Klienten letztlich den Weg zu ihrem Aufenthalt erheblich erschwert, sondern vielmehr ein hohes Maß an Willkür, persönlichen Ermessens und auch Inkompetenz.

Da stehe ich als Deutscher und eigentlich Helfende Hand oft einfach nur kopfschüttelnd daneben und fühle mich hilflos. Denn scheinbar kommt es einzig und allein auf die Gunst des jeweiligen Mitarbeiters einer Behörde an, ob es zu Problemen kommt oder nicht. „Machtmissbrauch“ schreit es da in meinem Kopf.

Schon oft musste ich es erleben, wie zwei völlig identische Fälle, gänzlich anders gehandhabt wurden. Das ging sogar so weit, dass einer meiner Klienten gezwungen war, sich zur Antragstellung eines neuen Visums in sein Heimatland zurückzubegeben, während es einer anderen Person bei gleichem Visum ermöglicht wurde, dieses direkt vor Ort anzupassen.

Natürlich müssen meine Fälle nicht den Großteil der alltäglichen Fälle in einer Behörde darstellen. Doch bei all der aktuellen Einwanderungsproblematik und sogenannten „Flüchtlingskrise“, kenne ich doch auch den stetigen Ruf jedes großen Unternehmers und unserer Wirtschaft nach gut ausgebildeten und verlässlichen Fachkräften. Denn an denen scheint es in Deutschland schon seit Langem zu mangeln, was den klassischen „Die nehmen mir den Job weg“-Spezialisten eigentlich den Wind aus den Segeln nehmen sollte. Man würde also meinen, genau deshalb müsste jemand mit hohem akademischen Abschluss und allen nötigen Papieren im Land mit Kusshand willkommen geheißen werden. Aber die Realität in der Ausländerbehörde sieht nun einmal nicht anders aus, als diejenige auf der Straße. Da werden ausländische Mitmenschen oft schließlich auch nur als Ausländer wahrgenommen, ohne dass sich für den persönlichen Hintergrund oder die individuelle Geschichte interessiert wird.

Als ein anonymer Fall von Hunderten ist also die erste Hürde, einen Termin im Online-Termin-Vergabe-Center zu ergattern. – Digitalisierung in allen Ehren, aber doch bitte nur, wenn es auch die dafür nötigen Kapazitäten gibt!

Die Ausländerbehörde erreicht man beispielsweise aktuell (natürlich coronabedingt) nicht einmal mehr über das Telefon. Auch in der Stadtverwaltung wird man nur auf eine Mailadresse verwiesen, über welche man sein Anliegen, wenn möglich schon Monate im Vorfeld, darlegen soll, weil auch sonst schon kaum Kapazitäten zur Bearbeitung bereitstehen.

Bei einer Antragstellung für die Verlängerung eines Aufenthaltstitels, dessen Gültigkeit noch knapp 6 Monate betrug, hieß es dann jedoch: „Viel zu früh! Kommen Sie in ein paar Monaten noch einmal vorbei!“ – Nach erneuter Terminsuche und dem Ergattern eines Vorsprechens, etwa 3 Monaten vor Ablauf der Aufenthaltsgenehmigung, hieß es wiederum: „Viel zu spät! Sie wissen doch, dass so etwas frühzeitig geplant werden muss!“

Jetzt blieb also wie so oft nur die Fiktionsbescheinigung, eine Art Übergangslösung bis zur Aushändigung des richtigen Dokuments, für welches aber natürlich zusätzlich bezahlt werden muss. Und auch der Erhalt dieses Dokuments war alles andere als einfach:

So sitzt man zunächst, trotz eines wegen Corona auf exakt 08:45 Uhr festgelegten Termins, bis etwa 10:00 Uhr in einem völlig überfüllten Wartebereich, der sich, statt sich zu leeren, nur immer weiter füllt, weil in mehr als einer Stunde des Wartens neben der eigenen auch keine einzige andere Wartenummer am Monitor aufgerufen wird.

Schweißperlen der Wartenden rinnen über Stirn und Nase in den Mundschutz hinein und angestrengtes Atmen ist zu vernehmen. Hin und wieder durchqueren einige Behörden-Mitarbeiter mit auffällig angestrengtem Blick und einer Kaffeetasse in der Hand die Flure, in ansonsten absoluter Stille blinkt ab und zu nur immer wieder dieselbe Wartenummer einer scheinbar nicht existierenden Person auf – vermutlich als Alibi, damit sich nicht wirklich eine ganze Stunde lang nichts bewegt; und, um sagen zu können, dem nicht erschienenen Menschen auch wirklich jede Minute seines gebuchten Termins eingeräumt zu haben, wenngleich diese nach Terminbeginn schon gar nicht mehr an den Sicherheitsbeamten vorbei ins Gebäude hätte gelangen können…

Nach und nach stellt sich somit bei jedem, ganz egal aus welchen Gründen er dort sitzt, das Gefühl ein, nicht wirklich ernst genommen und wertgeschätzt zu werden. Zu welchem Zweck muss Wochen, gar Monate früher so sehr für das Recht einer Terminzuweisung gekämpft werden, wenn dieser Termin am besagten Tag für über eine Stunde und ohne erkennbaren Grund hinausgezögert wird? – Dem sich zusehends anstauenden Ärger wird nur keine Luft gemacht, weil das Wissen um die Abhängigkeit vom Wohlwollen des jeweiligen Bearbeiters diesem noch Einhalt gebietet.

Auch ich beginne fast zu glauben, die Mitarbeiter der Ausländerbehörde stellvertretend für meinen Klienten um etwas anbetteln zu müssen, was nur aufgrund ihrer Güte und Kulanz überhaupt genehmigt werden kann. Dabei sind es doch klare Regeln und Gesetze, die über jedem von uns stehen und für die wir in der ganzen Welt so bekannt sind. Es ist schlicht der Job des jeweiligen Mitarbeiters, die Dokumente zu sichten, zu sammeln und für die weitere Entscheidung weiterzuleiten…

Als nach einer Ewigkeit und wie durch ein Wunder dann doch die passende Wartenummer aufblinkt und uns in ein Büro zitiert, wird meinem in Deutschland seit mehreren Jahren lebenden und arbeitenden Klienten, der Steuern zahlt und einen vermutlich höheren akademischen Titel als jeder Mitarbeiter der Behörde trägt aber zunächst erklärt, weshalb eine Verlängerung seines Aufenthalts, trotz gültigem Arbeitsvertrag und gesichertem finanziellen Einkommen, vermutlich nicht möglich sein wird. So werden nacheinander die mit dem Antrag einzureichenden Dokumente nicht etwa zur Ansicht gefordert, sondern als Stolpersteine instrumentalisiert, die der Bewilligung des Antrags doch noch einen Riegel vorschieben könnten. Da wird nachgefragt, ob das Passbild wirklich in den letzten Monaten geschossen wurde, der Arbeitgeber auch wirklich das im Vertrag angegebene Geld überweist oder nicht doch ein polizeilicher Haftbefehl vorliegt, der nur verschwiegen wird.

All diese Fragen kann ich auf eine seltsame Art sogar nachvollziehen, aber die Summe ist es, die aus einfachen Fragen Anschuldigungen werden lässt und dem ganzen Unterfangen einen bitteren Beigeschmack verleiht. Auch die Frage nach dem Mietvertrag macht dies deutlich: Da ist es egal, ob dieser bereits in der Akte als Kopie vorliegt. – Nein! Es geht darum, dass sein Fehlen die Verlängerung des Aufenthaltstitels unmöglich macht und der Mitarbeiter sogleich dazu rät, einen neuen Termin zu vereinbaren, wenn eines Tages wirklich alle Dokumente vorliegen würden. Erst nach mehrfachem Bitten ist er dann doch dazu bereit, einen Blick in die Akte zu werfen, der ihn sogleich einsehen lässt, dass auch dies keinen Grund darstellt, meinen Klienten abzuweisen und ihm letztlich die Fiktionsbescheinigung auszustellen, für die er ja außerdem bis zur Ausstellung des tatsächlichen Dokuments bezahlt.

Ein weiteres Mal verlasse ich erschöpft und voller Groll die Ausländerbehörde.

Warum werden Probleme gesucht wo es keine gibt? Warum wird erfolgreichen und fleißigen Mitmenschen mit Ausreise gedroht? Warum werden Informationen nur nach Lust und Laune gegeben? Wo sind die deutsche Produktivität und Effektivität, für die wir in der ganzen Welt so bekannt sind? Was habe ich dafür getan, an einem Fleck Erde geboren zu sein, der mich zum Führen eines Passes berechtigt, mit dem ich in nahezu jedes Land reisen kann, ohne dies jemals in Frage zu stellen? Warum stellt das Gespräch mit Menschen nicht die Hauptaufgabe der Arbeit, unterbrochen von wenigen Kaffeepausen, dar, sondern andersherum? – Fragen, die nicht auf- sondern anregen sollen …

Am Ende sind alle Menschen Ausländer, fast überall!

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