Bohrende Frage in Coronazeiten: Popeln verboten?

17. April 2020 | Glosse | 3 Kommentare

Fast jeder tut es, und trotzdem ist es verpönt, ja anstößig, das Bohren in der Nase, gemeinhin als „Popeln“ bezeichnet. Zwar werden wir schon als Kleinkinder angehalten, zur Nasenreinigung ein Taschentuch zu benutzen. Aber wenn keiner guckt und die Nase juckt, wandert der Zeigefinger bohrend in den Gesichtserker. Raserradarfotos belegen offenbar häufig dieses Verhalten. Erstaunlich, wieviel man von dem teils verkrusteten, teils noch schleimigen Schnodder manchmal erfolgreich rausholt. Das wirft umgehend die Frage auf „Wohin damit?“ Vorbildlich wäre es, wenn man ein Taschentuch zücken kann. Ja, wenn man eins hätte! Irgendwo den Finger abwischen, hinterlässt meist hässliche Spuren. Also ab in den Mund. Wirkt eklig, wenn man es bei anderen sieht. Das Eigenprodukt bewertet man aber nicht so kritisch. Eingetrocknet schmeckt der Nasenschleim sogar etwas salzig. Wissenschaftlich wird der Popelverzehr als Mukophagie bezeichnet. Affen tun es auch. Popel essen soll sogar gesund sein, weil die im verfestigten Sekret enthaltenen Mikroorganismen vor anderen schädlichen Mikroben schützen und die Immunabwehr stärken. Aber gilt das auch für Coronaviren? Wahrscheinlich nicht.

Im Nasenschleim bleiben eingeatmete Partikel hängen. Dieser Schleim fließt in den hinteren Rachenraum und wird meist unbemerkt einfach verschluckt. Das schützt zwar die Lunge, ermöglicht aber so die Aufnahme von aus der Luft gefilterten Bakterien und Viren, auch COVID-19. Atemschutzmasken können die Gefahr reduzieren.
Gelegentliches Nasenbohren ist, wenn mit Vorsicht ausgeführt, eigentlich unschädlich. Ständiges Bohren kann sich aber auch zu einer Verhaltensstörung entwickeln, die der Facharzt als Rhinotillexomanie bezeichnet. Eine Schädigung der nasalen Blutkapillargefäße (Blutung, Entzündung) ist dadurch möglich.

Erkältungen sind oft von Fließschnupfen (= Tropfnase) begleitet. Viren sind die Auslöser. Sie werden per Tröpfchen- oder Schmierinfektion übertragen. Allergiebedingter Fließschnupfen ist dagegen nicht ansteckend. Zum lästigen Schnupfen dichtete Christian Morgenstern einst: „Ein Schnupfen hockt auf der Terrasse, auf dass er sich ein Opfer fasse – und stürzt alsbald mit großem Grimm auf einen Menschen namens Schrimm. Paul Schrimm erwidert prompt: „Pitschü!“ und hat ihn drauf bis Montag früh.“ „Gesundheit!“ wünschen wir dem Niesenden und Verschnupften bei solchen Gelegenheiten.

Unsere Nase dient nicht nur dem Riechen. Wir brauchen sie auch zum Atmen. Beim Einatmen strömt die Luft über die Nasenschleimhaut und die sie bildenden kapillaren Blutgefäße. Dabei wird sie angefeuchtet und angewärmt oder auch gekühlt. Beim Ausatmen kondensiert hier die Feuchtigkeit in der Atemluft und geht nicht verloren. Bei manchen Wüstentieren und heißblütigen Antilopen sind solche nasalen Gegenstromkühler in heißer und trockener Umwelt überlebenswichtig.
Bei einigen Völkern gehört Nasenreiben zum Begrüßungsritual. Da sollte die Nase schon gut geputzt sein. Übrigens, erst die Evolution der Nasenatmung ermöglichte uns ausdauerndes Küssen. Fischen entgeht trotz „Kussmaul“ dieser intime Kontakt, da sie sauerstoffreiches Frischwasser über das Maul aufnehmen und zu den Kiemen leiten müssen.

Nicht nur in der jetzigen Corona-Pandemie verbietet sich das Popeln. Zu einer vernünftigen, nachhaltigen Nasenpflege wird geraten.
(H.J. Ferenz)

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