Die Erfindung der Germanen – neuer Abschnitt der Dauerausstellung im Landesmuseum eröffnet

19. Februar 2015 | Kultur, Nachrichten | 2 Kommentare

Germanen – so mancher Deutsche sieht in ihren vermeintlichen Vorfahren Grund nationalen Stolzes. Und nun sollen diese ehrwürdigen Stammväter deutscher Nation eine Erfindung sein ? Nichts als eine Fiktion südeuropäischer Völker, genauer gesagt, ihrer Erbfeinde, der Römer. Das irritiert, denn im Landesmuseum ist ein neuer Raum der Dauerausstellung entstanden, der sich um das Leben und Kultur genau dieser „erfundenen“ Menschen dreht.

Römisches Achatgefäß. Foto: J. Liptak. (c) LDA Halle

Römisches Achatgefäß. Foto: J. Liptak. (c) LDA Halle

„Germanen“ war römische Bezeichnung für all jene heterogenen Bevölkerungsgruppen, die um die Zeitenwende östlich des Rheins lebten, also außerhalb des sich in ständigem Expansionsbestreben befindlichen römischen Reiches. Die schriftliche Germannenüberlieferung ist ein „Leben der Anderen“, Ergebnis einer Betrachtung von Außerhalb, denn die „Germanen“ selbst verfügten weder über eine eigene Schriftsprache noch verstanden sie sich als ethnische Einheit.

Ein Ziel der Politik des ersten römischen Kaisers Augustus (reg. 27 v. Chr.–14 n. Chr.) war es, das römische Reich bis an die Elbe auszudehnen; dieses Vorhaben wurde jedoch durch die Niederlage dreier römischer Legionen in der Varusschlacht 9 n. Chr. aufgegeben. In der Folgezeit entwickelten sich jedoch vielgestaltige Kontakte zwischen Römern und Germanen, die von einzelnen kriegerischen Auseinandersetzungen, friedlichen Handelsbeziehungen bis zu Bündnispartnerschaften reichten.

 

Bronzekessel aus Quezdölsdorf. Foto: J. Liptak. (c) LDA Halle

Bronzekessel aus Quezdölsdorf. Foto: J. Liptak. (c) LDA Halle

Fiktion ist auch das Interieur der römischen Villa, das mit seinen aufwändig restaurierten Wandmalereien in feinstem pompejanischen Stil vorgibt, ein bedeutender archäologischer Befund zu sein. Die teils nur fragmentarisch erhaltenen Wandmalereien zeigen in antiker Manier verfaßte „germanisierende“ Lebensbilder. Sie sind liebevoll museal inzeniert, wie man dies etwa aus westdeutschen Provinzialmuseen wie etwa Trier oder Köln kennt. Der Raum nennt sich „Schreibstube des Tacitus“. Den Besucher trifft der eindringliche Blick der aus Silber-und Kupfereinlagen gebildeten Augen des Bronzebildnis des Drusus. (38–9 v. Chr.), der auf einer Expedition in die innergermanischen Gebiete tödlich verunglückte. Der Überlieferung zufolge hatte eine Riesin ihm an der Saale seinen baldigen Tod prophezeit – möglicherweise irgendwo bei Halle ?
Natürlich ist die Büste ebenso meisterlich gefälscht wie die „pompejanischen“ Fresken und die die schweren römischen Inschriftentafeln, die aus römischen und griechischen Quellen stammende Schriftzeugnisse über die Germanen darstellen.

 

Beigaben aus dem Grab eines germanischen Gefolgschaftsführers aus Schkopau. Foto: G. Preuß / R. Ulbrich © LDA Sachsen-Anhalt

Beigaben aus dem Grab eines germanischen
Gefolgschaftsführers aus Schkopau.
Foto: G. Preuß / R. Ulbrich
© LDA Sachsen-Anhalt

Doch ganz ohne Originale muss die Ausstellung über ein fiktives Volk nicht auskommen. Dass zwischen Elbe und Saale Menschen lebten, die eine beachtliche Kultur hervorbrachten, zeigen denn auch die ausgestellten archäologischen Funde aus Mitteldeutschland aus der Epoche, die die Prähistoriker als „römische Kaiserzeit“ bezeichnen – auch wenn sich dieser Begriff auch auf Kulturen jener Gebiete bezieht, die niemals Teil des römischen Kaiserreiches waren.
Auf einer Präsentationsfläche von etwa 160 m² werden mehr als 260 ausgewählte und aussagefähige Fundkomplexe präsentiert, die das Spannungsfeld zwischen beiden Welten illustrieren. So können um die Zeitenwende geprägte Münzen, die meist als Einzelfunde auf uns gekommen sind, als Niederschlag von Vorstößen römischer Truppen unter den Heerführern Tiberius und Drusus, den Stiefsöhnen des Augustus, bis an Elbe und Saale gewertet werden. Dieser Abschnitt der Ausstellung endet mit der Wende vom 2. zum 3. Jahrhundert und gewährt einen Ausblick auf die Folgeentwicklung

Prachtvolle Kernexponate des neuen Abschnitts der Dauerausstellung sind beispielsweise die Funde aus dem Urnengrab einer hochadeligen Frau, das mit weiteren 600 Bestattungen erst vor wenigen Jahren im Tagebau Profen entdeckt und in der Restaurierungswerkstatt des Landesamtes für Denkmalpflege und Archäologie untersucht wurde. Die sterblichen Überreste der um die Mitte des 1. nachchristlichen Jahrhunderts im Alter von 30 bis 40 Jahren verstorbenen Frau waren zusammen mit prunkvollen Beigaben aus Gold und Silber in einem römischen Bronzekessel beigesetzt worden. Der exquisite Goldschmuck mit einem Gesamtgewicht von 430 g setzt sich aus zwei Fibeln, zwei Armringen, zwei Halsketten und Anhängern zusammen. Die Trachtbestandteile weisen auf eine fremde Herkunft der Frau aus dem Gebiet der Westkarpaten hin, etwa 450 km von ihrem Bestattungsplatz entfernt.

Kernstück des neuen Abschnitts: Das Frauengrab von Profen. Foto: G. Preuß / R. Ulbrich © LDA Sachsen-Anhalt

Kernstück des neuen Abschnitts:
Das Frauengrab von Profen.
Foto: G. Preuß / R. Ulbrich
© LDA Sachsen-Anhalt

Gestalterisch beschreitet das Landesmuseum auf jeden Fall neue Wege. Manch ein Besucher, der sich den von Leichen gesäumten Weg durch die finster gehaltenen Räume der Bronzezeit und Eisenzeit gebahnt hat, wird hier eine wohltuende Erleichterung erfahren. Und das doppelbödige Spiel mit Originalen und „Fälschungen“ wird dem Thema, das mehrfach zwischen den Metaeben umherspringt, allemal gerecht.
Eröffnet wird der neue Abschnitt der Ausstellung heute abend um 19.00 h durch Kultusminister Stephan Dorgerloh.

 

 

 

Der neue Raum der Dauerausstellung wurde als römisches Studierzimmer inszeniert. Foto: G. Preuß / R. Ulbrich © LDA Sachsen-Anhalt

Der neue Raum der Dauerausstellung wurde
als römisches Studierzimmer inszeniert.
Foto: G. Preuß / R. Ulbrich
© LDA Sachsen-Anhalt

Detail des neuen Ausstellungsraums. Foto: G. Preuß / R. Ulbrich © LDA Sachsen-Anhalt

Detail des neuen Ausstellungsraums.
Foto: G. Preuß / R. Ulbrich
© LDA Sachsen-Anhalt

Print Friendly, PDF & Email
2 Kommentare

Kommentar schreiben