Warum die Menschen in Afrika zur letzten Eiszeit ins Hochgebirge geflohen sind

14. August 2019 | Bildung und Wissenschaft | Ein Kommentar

Zur Studie „Ossendorf G. et al. Middle Stone Age foragers in the glaciated Bale Mountains, Ethiopia. Science (2019)“ äußert sich die Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg folgendermaßen:

Während der letzten Eiszeit lebten die Menschen in Äthiopien nicht in tief gelegenen Tälern, sondern im unwirtlichen Hochgebirge der Bale-Berge. Dort hatten sie ausreichend Wasser, bauten Werkzeuge aus einem Vulkangestein und ernährten sich überwiegend von Riesennagern. Herausgefunden hat das ein internationales Forschungsteam unter Leitung der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg (MLU) in Zusammenarbeit mit den Universitäten Köln, Bern, Marburg, Addis Abeba und Rostock. In der aktuellen Ausgabe von „Science“ präsentieren die Wissenschaftler die ersten Beweise dafür, dass unsere Vorfahren in Afrika bereits in der mittleren Steinzeit vor etwa 45.000 Jahren in den Bergen sesshaft waren.

Sesshaft bereits vor 45.000 Jahren

Die Bale-Berge im Süden Äthiopiens sind keine besonders menschenfreundliche Region: Das Gebiet liegt zwischen 3.700 und 4.100 Meter über dem Meeresspiegel. Der Sauerstoffgehalt in der Luft ist relativ gering. Hinzu kommen stark schwankende Temperaturen und viel Regen. „Wegen dieser schlechten Lebensbedingungen ging man bislang davon aus, dass der afro-alpine Raum erst sehr spät vom Menschen besiedelt wurde und dies häufig nur für kurze Zeiträume“, sagt Prof. Dr. Bruno Glaser, Experte für Bodenbiogeochemie an der MLU. Gemeinsam mit einem internationalen Forscherteam von Archäologen, Bodenkundlern, Quartärforschern und Biologen konnte er nun zeigen, dass diese Annahme nicht stimmt: Bereits im mittleren Pleistozän, vor etwa 45.000 Jahren, ließen sich Menschen für längere Zeit in eisfreien Plateaus der Bale-Berge nieder. In den tiefer gelegenen Tälern war es dagegen zu trocken, um zu überleben.

Das Forscherteam untersuchte in den vergangenen Jahren einen Felsvorsprung bei der Siedlung Fincha Habera in den Bale-Bergen, die im Süden Äthiopiens liegen. Die Wissenschaftler fanden bei ihren Feldkampagnen mehrere Steinartefakte, Tonscherben und eine Glasperle. „Für unser Teilprojekt haben wir außerdem den Boden als Informationsquelle verwendet“, sagt Glaser. Anhand der Sedimentablagerungen im Boden konnten die halleschen Forscher umfangreiche Biomarker- und Nährstoffanalysen sowie Radiokarbondatierungen durchführen und so Rückschlüsse ziehen, wann wie viele Menschen in der Region gelebt haben. Für die Arbeit entwickelten die Wissenschaftler zudem ein neuartiges Paläothermometer, mit dem sich das Wetter in der Region – beispielsweise Temperatur, Luftfeuchtigkeit und Niederschlagsmengen – grob nachzeichnen lässt. Derartige Analysen sind nur mit möglichst unbelasteten Naturflächen möglich, da das Bodenprofil sonst zu sehr durch jüngere Einflüsse verändert wird. Die relativ unwirtlichen Bedingungen in den Bale-Bergen sind daher die idealen Rahmenbedingungen für die Forschung: Der Boden wurde in den letzten Jahrtausenden nur oberflächlich verändert.

Ernährung durch die Jagd auf Riesennager

Anhand der Daten können die Forscher nicht nur zeigen, dass sich dort Menschen über einen längeren Zeitraum aufgehalten haben. Die Analysen liefern womöglich auch die Gründe dafür: Die Siedlung Fincha Habera lag während der letzten Eiszeit außerhalb des Eisrandes der Gletscher. Durch die phasenweise Abschmelzung der Gletscher sei genügend Wasser vorhanden gewesen, so Glaser. Sogar über die Ernährung der Menschen können die Forscher Aussagen treffen: Damals ernährten diese sich überwiegend von Riesennagern. Diese waren leicht zu jagen und lieferten relativ viel Fleisch und damit die nötige Energie, um in der rauen Gegend zu überleben. Vermutlich besiedelten die Menschen das Gebiet auch deshalb, weil in der Nähe eine Obsidian-Lagerstätte lag, aus der sie Obsidian, ein vulkanisches Gestein, abbauen und daraus Werkzeuge herstellen konnten. „Die Siedlung war also nicht nur vergleichsweise wohnlich, sondern auch praktisch“, so Glaser zusammenfassend.

Die Bodenproben verraten zudem ein weiteres Detail der Besiedlungsgeschichte: Ab einem Zeitraum, der circa vor 10.000 Jahren vor unserer Zeitrechnung begann, besiedelten Menschen die Stelle ein zweites Mal – dann wurde der Ort auch vermehrt als Feuerstelle genutzt. Und: „In der Bodenschicht aus dieser Zeit finden sich auch erstmals Exkremente von Weidetieren“, sagt Glaser.

Anpassung an neue Umweltbedingungen

Die neue Studie in „Science“ liefert laut dem Forscherteam nicht nur neue Erkenntnisse über die Siedlungsgeschichte des Menschen in Afrika. Sie gebe auch wichtige Aufschlüsse über das menschliche Potential, sich körperlich, genetisch und kulturell an wechselnde Umweltbedingungen anzupassen: So leben im äthiopischen Hochgebirge heute einige Menschengruppen, denen zum Beispiel der geringe Sauerstoffgehalt der Luft keine Probleme bereitet.

Zur Studie: Ossendorf G. et al. Middle Stone Age foragers in the glaciated Bale Mountains, Ethiopia. Science (2019). doi: 10.1126/science.aaw8942

Pressemitteilung Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg

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