Tres Culturas: Judensau-Plastik in Wittenberg darf weiter schmähen!

26. Mai 2019 | Bildung und Wissenschaft | 2 Kommentare

Das Landgericht in Dessau hat vorläufig entschieden: Die antisemitische Judensau-Plastik an der Wittenberger Stadtkirche darf weiter hängen blieben. Sie würde heute lebende Juden nicht beleidigen, so die Urteilsbegründung kurz und knapp.  Der Kläger Michael Düllmann hat bereits Berufung angekündigt und sieht Judenspott nicht als kirchliche Aufgabe.

Judensau-Plastik an der Cadolzburg nahe Nürnberg. Etwa 30 Darstellungen sind noch in Deutschland nachgewiesen. Foto: Tok

Judensau-Plastiken waren seit dem 13. Jahrhundert im deutschsprachigen Raum weit verbreitet. Juden (an ihren Hüten erkennbar) saugen an den Zitzen einer Sau und verehren sie als „Mutter“. Damit wurden die Juden verhöhnt, denn das Schwein ist nach dem mosaischen Gesetz ein unreines Tier.

Was sagen Betroffene dazu? Hallespektrum hat im nichtrepräsentativen jüdischen Bekanntenkreis auf Twitter herumgefragt:

Eliyah Havemann‏ aus Tel Aviv antwortete uns: „Ich finde, sie gehört abmontiert und entsprechend kommentiert ins Museum.“

Herr Treiner aus München schrieb uns: „Die „Judensau“ ist ohne Zweifel antisemitisch und gehört deshalb abmontiert und kann selbstverständlich in einem Museum als zeitgeschichtliches Objekt präsentiert werden.“

Der Starrsinn der Wittenberger befremdet

Jenny Havemann schloss sich ihren Mann an und teilte uns mit: „Auch wenn man die historischen Zusammenhänge des kirchlichen Antisemitismus nicht vergessen darf, gehört es abmontiert. Für die heutige Kirche sollte es kein Kirchensymbol mehr sein. Das gehört in die Geschichtsbücher, nicht auf eine Kirche!“

Chajm Guski sagte: „Ja na klar – eine »Judensau« beleidigt Jüdinnen und Juden in jeder Generation, auch wenn sie historisch ist.“

Aber auch Stimmen aus der evangelischen Kirche haben uns erreicht: „Hab schon öfter überlegt, aufgrund dieser „Judensau“ aus der Evang. Kirche auszutreten. Für mich nicht mal unter dem Deckmantel „Geschichte“ vertretbar. Mit ’ner Mahntafel tut sich’s meiner Meinung nicht. Dafür ist der Antisemitismus in d Geschichte d Evang. Kirche zu präsent.“, schrieb uns Hannah.

Tobias Graßmann, auch nicht jüdisch, sondern evangelisch, kommentierte: „Auch, wenn ich die Empörung über solche historischen Zeugnisse und den Ruf nach Bereinigung des öffentlichen Raums nicht immer teile: Finde das hier grundsätzlich auch die beste Lösung. Der Starrsinn der Wittenberger befremdet mich.“

Juden fühlen sich von der Plastik beleidigt, dies dürfte klar sein. Was ist Ihre Meinung? Sollte die Schmähung abmontiert und in ein Museum gestellt werden?

ToK

Hintergrund:

Unter dem Titel „tres culturas“ (drei Kulturen) stellt Hallespektrum in Anlehnung an die „Stadt der drei Kulturen – Toledo“ die kulturellen Wurzeln Europas vor, bestehend aus Judentum, Christentum und Islam.

Weitere Beiträge der Reihe Tres Culturas:

  1. Was bedeutet Weihnachten für Christen, Muslime und Juden?

  2. „Von guten Mächten wunderbar geborgen…“

  3. 6. Januar: Dreikönigsfest

  4. Frauen treffen sich zum interreligiösen Dialog

  5. Huysburg: Ein Wochenende im Kloster

  6. Besuch bei der Synagogengemeinde in Halle-Trotha

  7. Purim oder das Losfest

  8. Osternacht auf dem Petersberg

  9. Gott ist schön und liebt das Schöne

  10. Beginn des islamischen Opferfestes

  11. Ein süsses Leben Euch allen!

  12. Jom Kippur, das jüdische Versöhnungsfest

  13. Die Alte Synagoge in Erfurt

  14. Sankt Nikolaus

  15. Lichter in der Dunkelheit: Der erste Tag von Chanukka und der erste Advent

  16. Un-sichtbares Halle

  17. Rabbinerin? Geht gar nicht

 

 

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