Tagung der Uni Halle thematisiert rechte Gewalt der Wendejahre

20. September 2021 | Bildung und Wissenschaft, Soziales | 2 Kommentare
In den 1990er Jahren kam es in vielen Orten Deutschlands zu einem Anstieg rechter Gewalttaten: Mehrere Hundert fremdenfeindliche Straftaten wurden allein für September und Oktober 1991 registriert. Eine Tagung an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg (MLU) geht den Ursachen, Wahrnehmungen und Auswirkungen dieser Entwicklung nun nach. Neben zahlreichen Vorträgen sind auch eine öffentliche Vorführung des Dokumentarfilms „Zeinabs Wunden“ und eine öffentliche Podiumsdiskussion geplant. Die Tagung findet am 1. und 2. Oktober im Löwengebäude am Universitätsplatz statt.

Am 3. Oktober 1991 beging Deutschland zum ersten Mal den Tag der Deutschen Einheit. „Die Feierlichkeiten fielen in eine Zeit der rasanten und unerwarteten Zunahme rechter Gewalt“, sagt Prof. Dr. Till Kössler von der MLU, der die Tagung gemeinsam mit seinem Mitarbeiter Dr. Janosch Steuwer organisiert. Bereits Mitte September 1991 kam es zu mehreren rassistisch motivierten Übergriffen im sächsischen Hoyerswerda, auf die weitere Angriffe gegen Geflüchtete, Migrantinnen und Migranten in der gesamten Bundesrepublik folgten. Fast 1.300 fremdenfeindliche Straftaten, darunter allein 220 Brandanschläge, registrierten die Sicherheitsbehörden für September und Oktober 1991 – mehr als fünf Mal so viele wie im gesamten Jahr 1990.

„Alle Parteien appellierten an die Bevölkerung und riefen zu Solidarität, zu einem friedlichen Miteinander auf. Doch die Lage eskalierte am ersten Tag der Deutschen Einheit weiter“, sagt Janosch Steuwer. Die größte mediale Aufmerksamkeit fand damals ein Brandanschlag auf eine Flüchtlingsunterkunft in Hünxe in Nordrhein-Westfalen, der in der Nacht zum 3. Oktober stattfand und bei dem zwei libanesische Mädchen schwer verletzt wurden. „Hünxe wurde gemeinsam mit Hoyerswerda im Herbst 1991 zur politischen Chiffre für die Welle rassistischer Gewalt“, sagt Kössler.

Die Tagung geht den Ursachen und Auswirkungen dieser Gewaltwelle nach: Welche Entwicklungen machten diese überhaupt möglich? Wie nahmen Migrantinnen, Migranten und die zusammenwachsende Mehrheitsgesellschaft in Ost und West die weitgehend unerwartete Zunahme rechter Gewalt wahr? Welchen Einfluss hatte sie auf ihre jeweiligen Vorstellungen vom vereinigten Deutschland? Und wie prägte die Gewalt politische und gesellschaftliche Debatten der folgenden Jahre? Diese Fragen stehen im Zentrum der Tagung.

„Die dramatische Verdichtung der rassistischen Gewalt im Herbst 1991, so die grundlegende These unserer Tagung, schuf wie im Deutschen Herbst 1977 einen historischen Moment, der intensive Diskussionen über das Selbstverständnis des vereinten Deutschlands und die Frage aufwarf, wie Staat und Gesellschaft der Gewalt begegnen sollten. Die Frage gehört zu den drängendsten Herausforderungen der Gegenwart, wie die Anschläge von Halle und Hanau zeigen“, so Steuwer. Der Begriff „Deutscher Herbst 1991“ nimmt Bezug auf den „Deutschen Herbst 1977“, mit dem eine Reihe terroristischer Anschläge, Entführungen und Morde der Roten Armee Fraktion bezeichnet werden, die zu einer der schwersten Krisen der Bundesrepublik führten.

Zusätzlich zum wissenschaftlichen Programm findet am Freitag, 1. Oktober, ab 20 Uhr eine öffentliche Filmvorführung im Puschkino statt. Gezeigt wird der Dokumentarfilm „Zeinabs Wunden“, der die Geschichte eines der Mädchen nacherzählt, die bei dem Brandanschlag in Hünxe verletzt wurden. Im Anschluss findet ein Gespräch mit der Filmemacherin Esther Schapira statt. Mit der Frage „Wie wollen wir an den ‚Deutschen Herbst‘ 1991 erinnern?“ befasst sich zudem die Abschlussdiskussion der Tagung, die am Samstag, 2. Oktober, um 15 Uhr im Audimax am Universitätsplatz beginnt. Daran teilnehmen werden Thomas Krüger (Präsident der Bundeszentrale für politische Bildung), Uta Bretschneider (Direktorin des Zeitgeschichtlichen Forums Leipzig), Prof. Dr. Ralph Jessen (Vorstand der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur), Dr. Massimo Perinelli (Rosa-Luxemburg-Stiftung) und Anetta Kahane (Amadeu Antonio Stiftung), moderiert wird die Runde von Prof. Dr. Fabien Virchow von der Hochschule Düsseldorf.

Die Tagung wird von der Bundeszentrale für politische Bildung und der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur gefördert. Sie ist Teil des Programms zu den Einheitsfeierlichkeiten der MLU zum Tag der Deutschen Einheit.

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