Studie zu Auswirkungen der Geburtsumgebung mit halleschen Wisseschaftlern

19. Oktober 2017 | Bildung und Wissenschaft | Keine Kommentare

In Deutschland kommt fast jedes dritte Kind durch einen Kaiserschnitt zur Welt. Vor fast 30 Jahren, 1991, wurden in Deutschland 126.297 Frauen per Kaiserschnitt von ihren Kindern entbunden (Rate: 15,3 Prozent). Innerhalb von etwa 25 Jahren stieg die Kaiserschnitt-Rate kontinuierlich auf etwa 30 Prozent und stagniert seitdem auf diesem Niveau. Die Rate in Deutschland liegt damit deutlich über der von der Weltgesundheitsorganisation WHO empfohlenen Höhe. Gegenüber der natürlichen Geburt geht der Kaiserschnitt mit einer höheren mütterlichen Komplikationsrate einher. Die möglichen negativen Folgen der operativen Entbindung für das Leben der Kinder, welche per Kaiserschnitt auf die Welt kamen, sind nun Gegenstand intensiver Forschung.

„Keine der bekannten Studien zu Maßnahmen, die die natürliche Geburt fördern wollen, verfügt über eine ausreichend belastbare Datengrundlage, um die unabhängige Wirkung der Gebärumgebung auf den Geburtsmodus zu belegen“, sagt Dr. Gertrud M. Ayerle vom halleschen Institut für Gesundheits- und Pflegewissenschaften. Die Hebammenwissenschaftlerin will im Rahmen einer multizentrischen Studie herausfinden, ob die Gebärumgebung einen Einfluss darauf hat, wie ein Kind zur Welt kommt. „Die klinische Studie möchte national und international einen wichtigen wissenschaftlichen Beitrag leisten, der im Sinne des Deutschen Nationalen Gesundheitsziel Gesundheit rund um die Geburt die Bedürfnisse der werdenden Mütter in den Vordergrund rückt“, so Dr. Ayerle, die die Koordinatorin des Projektes ist.

Die Studie mit dem Titel „Effekt der Geburtsumgebung auf den Geburtsmodus und das Wohlbefinden von Frauen am Geburtstermin: eine randomisierte kontrollierte Studie“ ist eine klinische Studie mit zwei parallelen Studienarmen. Sie wird durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung bis September 2020 mit 1,1 Millionen Euro gefördert. Das Ziel der Studie ist, die Wirksamkeit eines alternativ gestalteten Gebärraums (Intervention) auf die Rate natürlicher (vaginaler) Geburten in zwölf geburtshilflichen Abteilungen in Sachsen-Anhalt, Nordrhein-Westfalen, Thüringen, Sachsen und Berlin zu prüfen. Die Teilnehmerinnen der Studie sind Frauen, die am Geburtstermin ihr erstes oder ein weiteres Kind erwarten und eine natürliche Geburt anstreben. Jeweils ein Gebärraum der geburtshilflichen Abteilung (Kreißsaal) einer Klinik wird alternativ gestaltet (Intervention). Dabei werden sowohl Materialien zur mobilen Wehenarbeit, eine Ruhezone und entspannungsfördernde Angebote bereit gestellt als auch die Möglichkeiten der Frau erhöht, selbstbestimmt für ihr Wohlbefinden während der Wehen zu sorgen. Der alternative Gebärraum wird sich deutlich vom Standard-Kreißsaal (Kontrollgruppe) unterscheiden, der die übliche Ausstattung samt Kreißsaalbett vorhält.

Die zufällige Zuteilung in einen der zwei parallelen Studienarme wird durch das Koordinierungszentrum für Klinische Studien Halle zentral koordiniert, das auch das Datenmanagement übernimmt. Die Qualität der Datenerhebung in den Kliniken wird durch unabhängige Monitore geprüft. Eine Erhebung drei Monate nach der Geburt sowie eine gesundheitsökonomische Evaluation durch das Institut für Versorgungsforschung und Gesundheitsökonomie der Heinrich-Heine Universität Düsseldorf sind vorgesehen, um auch Auswirkungen der Geburt und des mütterlichen Geburtserlebens über diesen Zeitraum zu erfassen. Zum Abschluss der Studie wird die Arbeitszufriedenheit der Hebammen und Fachärzte für Gynäkologie und Geburtshilfe an den beteiligten geburtshilflichen Abteilungen erhoben und eine gesundheitsökonomische Evaluation vorgenommen.

Nach Beendigung der Studie wird eine Aussage über die Wirksamkeit und Kostenwirksamkeit einer alternativ gestalteten Gebärumgebung auf die Selbstbestimmung der Frau, die geburtshilflichen Interventionsraten sowie den Geburtsmodus möglich sein. „Wenn sich die Intervention als effektiv erweist und zukünftig bundesweit eingesetzt würde, könnten in Deutschland zusätzlich etwa 21.000 Gebärende pro Jahr eine natürliche Geburt erleben“, vermutet Dr. Ayerle.

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