Schon gewusst? Fluch und Segen der Chemiefarben

19. Januar 2020 | Bildung und Wissenschaft, Natur & Gesundheit | 5 Kommentare

Historische Farb-Probensammlung TU Dresden

Bis ins 19.Jahrhundert war der Mensch auf Farben aus Naturstoffen angewiesen. Mineralien und Extrakte aus Pflanzen und Tieren wurden verwendet, um Kleidung, Gegenstände und Gebäude farblich zu gestalten. Das war aufwändig und teuer. Doch schon 1844 hatte der bekannte Chemiker Justus von Liebig vorausgesagt, man werde schon bald Methoden entdecken, um aus Steinkohleteer Farb- und Arzneistoffe synthetisch herzustellen. Er sollte Recht behalten. Der junge Chemiestudent William Perkin fand durch Zufall einen violetten Farbstoff, den er aus dem Steinkohleteerprodukt Anilin gewann. Dabei wollte er eigentlich das Arzneimittel Chinin gewinnen. Der von ihm „Mauvein“ genannte Farbstoff wurde ein großer Erfolg, Perkin brach sein Studium ab und machte sich als Farbenfabrikant selbstständig. Die um 1860 bekannten englischen violetten Penny-Briefmarken wurden z.B. mit Mauvein-Farbe gedruckt, aber auch der Queen gefielen die neuen, lila Kleider. Durch eine Reihe weiter zufälligen Entdeckungen zu Beginn der Industrialisierung fand man weitere synthetische Farbstoffe, die natürlicherweise nicht vorkommen. Ermutigt durch solche Erfolge begann man, systematisch und planmäßig die chemischen Grundlagen zu erforschen. Das ermöglichte alsbald die Synthese von natürlichen Farbstoffen, wie z.B. den im Krapp enthaltenen Farbstoff Alizarin. Der bisher profitable Anbau von Krapp kam dadurch umgehend zum Erliegen. Der Kreis der Teerfarbstoffe wuchs ständig. Auch die größte Gruppe der heute noch verwendeten synthetischen „Teerfarben“, die „Azofarben“, haben ihre Wurzeln in dieser frühen Zeit. Anilingelb entstand 1860 durch Einwirkung salpetriger Säure auf Anilin. Bei der Herstellung des Azofarbstoffs Kongorot fand man, dass man damit zeit- und kostensparend Baumwolle direkt färben konnte. Farbenfabriken wurden gegründet und lieferten profitabel und preiswert die neuen Farben, z.B. die „Actien-Gesellschaft für Anilin-Fabrication (AGFA)“ mitgegründet von Paul Mendelsson-Bartholdy (geb. 1841 in Leipzig; ein Sohn des Komponisten Felix Mendelssohn Bartholdy, wuchs im Hause seines Onkels in Berlin auf, studierte Chemie an der Universität Heidelberg, gründete 1867 in Berlin Firma für die Anilinherstellung, Produktion von Farbstoffen wie Fuchsin, Anilinblau und Methylviolett, Malachitgrün, Azofarbstoffe) oder die Badische Anilin- und Sodafabrik BASF. Deutsche Firmen waren 1913 mit einem Anteil von 87% weltweit führend in der Herstellung von Farbstoffen. Der plötzliche Überfluss an billigen Farben führte dazu, dass sich die Mode änderte: da sich nun jeder bunt kleiden konnte, verzichteten die höheren Stände nun auf Farbe als Statussymbol, man kleidete sich nun deutlich „gedeckter“. So hat die Chemieindustrie mit ihrem „Kessel Buntes“ die Farben demokratisiert.
Die neuen Farben fanden und finden je nach Löslichkeit nicht nur für Textilien Verwendung. Bis heute sind sie in zahlreichen Produkten zu finden: Autolacken, Buntstiften, Kosmetikartikeln, Pharmaka, Druckerpatronen u.v.m.. . Und sogar in Lebensmitteln ! Nicht alle Azo-Farbstoffe sind harmlos. Allen Azofarben ist gemein, dass Sie eine „Stickstoff-Stickstoff-Doppelbindung“ enthalten. Die verleiht ihnen jedoch nicht nur die schöne Farbe. Zerfällt diese Molekülgruppe, so entstehen Radikale, die Krebs erzeugen können. Das bereits erwähnte Anilingelb z.B. wird nach Aufnahme in den Körper von Bakterien in toxische Verbindungen aufgespalten. Andere dagegen sind gut wasserlöslich und werden umgehend mit dem Harn ausgeschieden. Ein Beispiel hierfür ist Azorubin, auch unter dem Kürzel E122 bekannt. Es wird für Getränke, Süß- und Zuckerwaren, Marzipan, Puddingpulver, Götterspeise, Fruchtkonserven, Fertigsuppen, Fertigprodukte, braune Sauce, Paniermehl, Färbemittel für Tabletten und anderes verwendet. Im Ausland geht man mit solchen Farbstoffen schon mal großzügig um und frischt Lebensmittel unerlaubterweise durch Farbzusatz auf: Buttergelb in Currygewürzen, Nitroanilinrot in Paprikapulver oder Sudanrot in Chili. Gesundheitsgefährlich können auch farbige Bekleidung und Lederprodukte sein, von denen bei Hautkontakt Farbmoleküle aufgenommen werden können. Durch Tätowierung können Azopigmentfarben leicht in den Körper gelangen. Bedenklich ist auch das Weglasern von Tätowierungen, da dabei reaktive Amine entstehen. Die überaus bunte Welt, die uns die Chemie beschert, ist schön, aber nicht ohne Risiken.
(Siehe dazu auch folgende Beiträge:
https://hallespektrum.de/nachrichten/bildung/schon-gewusst-der-mensch-liebt-es-bunt-von-farben-und-vom-faerben/353563/;
https://hallespektrum.de/nachrichten/bildung/schon-gewusst-der-mensch-liebt-es-bunt-farben-aus-tieren/354474/;
https://hallespektrum.de/nachrichten/schon-gewusst-der-mensch-liebt-es-bunt-farben-aus-pflanzen/354992/ )
(H.J.Ferenz, Foto H.Wunderlich)

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